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Nur der „Restl-Esser” der Innenpolitik?

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Seit jeher ist die Frage nach der Form des menschlichen Zusammenlebens, nach dem Familienbüd, eine den Gesamtzustand der Gesellschaft entscheidende Grundfrage. Egal, ob der Zustand Familie und erst recht das Wunschbild Familie aus religiöser Grundeinstellung, aus philosophischer oder pragmatisch-parteipoliti- scher Motivation gezeichnet wird, immer werden Stellenwerte und Qualität der Familie zu den Hauptaussagen über die Qualität der gesamten Gesellschaft zählen.

Da in Österreich seit 1970 eine sozialistische Regierung am Ruder ist und gerade diese sozialistische Regierung soviel Wert darauf legt, daß sie eine grundwertorientierte Politik betreibt, eine Politik, die angeblich nichts mit Zufällen zu tun hat, ist es angebracht, einige Fragen zu stellen: Wie sieht das Familienbüd im Programm der SPÖ aus? Wie sieht es auf Grund der sozialistischen Regierungspraxis aus? Betreiben die Sozialisten eine gezielte Politik für die Familie? Gegen die Familie? Oder betreiben sie gar keine Familienpolitik? Uberlassen sie all das weiterhin an Funktionen der Familie, was die Gesellschaft der Familie nicht abnehmen kann oder was momentan als nicht finanzierbar erscheint? Ist die Famüie nur der „Restl-Esser” der österreichischen Innenpolitik?

Klar muß sein, daß das Problem nicht nur von der materiellen Seite her gesehen werden kann. Vielmehr ist es notwendig, eine Vielzahl von Detaüs aufzuzeigen und daran die entsprechende Frage nach der Familie zu knüpfen. Etwa, ob es richtig ist, daß in neugebauten Siedlungen zwar in einem bestimmten Verhältnis zu den Wohneinheiten Parkplätze errichtet werden müssen, daß aber fast nirgends die Vorschrift besteht, auch Raum für Kinderspielplätze vorzusehen. Wer ist mehr Wert: Auto oder Kind?

Der Wohnbau ist es wert, genauer analysiert zu werden: Soll der moderne (soziale?) Wohnbau bewußt zur Kleinfamilie hinfuhren, soll er das Zusammenleben mehrerer Generationen unmöglich machen?

Nicht zu leugnen sind auch Zusammenhänge zwischen den Trends der Bevölkerungsentwicklung und dem oft unwidersprochenen Zielsatz: Die Erwachsenen stehen in der Produktion! Eine Gesellschaft, in der die arbeitende Mutter nichts Ungewöhnliches, ja fast die Regel ist, kann keine sehr „famüiäre” Gesellschaft sein. Sicherlich wird es immer Familien geben, auch wenn beide Eltemteile grundsätzlich im Arbeitsprozeß stehen; doch wird diese Familie vielleicht nur die Hälfte oder 60 Prozent von jenen Familien „wiegen”, in der die Mutter ihre Kinder auch den Tag über betreut.

Auch die Diskussion über die Fünf- Tage-Woche an den Schulen ist eine zutiefst die Familien tangierende Sache. Bringt der freie Samstag ein Mehr an Famüie? Oder führt er nur dazu, daß die Schulkinder Montag bis Freitag für das Famüienleben zur Gänze ausfallen, weil eben die Ganztagsschule oder Tagesheimschule kommt?

Nahezu jede Maßnahme der Regierung oder des Parlamentes, vom Justizressort über die Sozialversicherung bis zur Gesundheit und zum Unterrichtswesen, hat auch Auswirkungen auf die Familie. Es ist oberflächlich, bei der Bewertung der Famüien- politik der Regierung lediglich papierene Ergüsse der Staatssekretärin Karl über diverse Methoden der Empfängnisverhütung gegen solche über erstrebenswertes Familienglück aufzuwiegen. Wenngleich ein solches Unterfangen zweifelsfrei auch seine Reize hätte.

Im Grundsatzprogramm der SPÖ steht unter dem Kapitel „Familien- und Bevölkerungspolitik” zu lesen: „Die Geborgenheit in der Familie ist eine wesentliche Voraussetzung für die harmonische Entwicklung der Kinder … Freie Menschen werden durch nichts stärker aneinander gebunden, als durch das Gefühl der Selbstverantwortung gegenüber den ihrem Schutz und ihrer Erziehung anvertrauten Nachkommen. Die Festigung der Famüie ist in erster Linie ein moralisches und soziales Problem des ganzen Volkes.” Es wäre interessant, der sozialistischen Programmtreue gerade in diesem Kapitel auf den Grund zu gehen.

Wenn man den Sozialisten vorwirft, daß sie eine schlechte oder daß sie gar keine Famüienpolitik betreiben, dann drängt sich die Frage auf, wie es wohl die Volkspartei mit der Famüie gehalten hat. Abgesehen von speziellen Gesetzen (wie’in der Wohnungsverbesserung mit der Möglichkeit der Wohnungszusammenlegung) und abgesehen vom Konservieren des überlieferten Farmlienrechts (was sich angesichts des linken Reformeifers nachträglich als Fehler erweist) hat auch die Volkspartei dem sich ankündigenden Zerfallen der Famüie ziemlich unbeteiligt zugesehen. Wie sie sich ja auch in der Frage der Abtreibung nicht übertrieben auf ihre weltanschaulichen Beine stellt Doch eine die Familien betreffende Politik wird nicht nur in Parteisekretariaten gemacht. Akzentverschiebungen in der Wertigkeit der Famüie sind überall, besonders deutlich in den Medien zu beachten. Wer hat noch keinen TV-Krimi gesehen, mit wohlhabender, gut funktionierender Familie (Vater ist Bankier oder Geschäftsmann) und mit einem mordenden Jüngling am Ende?

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