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Halbe Abkehr?

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Das Frauenzentralkomitee der Sozialistischen Partei Oesterreichs veranstaltete zum .Wochenende eine Aussprache über den Themenkreis „Mutter und Kind“. Die Enquete betraf wohl eines der größten Anliegen unserer Zeit. Durch Fachexperten wurden erschütternde Tatsachen aufgezeigt und drängende Forderungen formuliert. Manches, was in dieser Studientagung gesagt wurde: über Säuglingssterblichkeit, über die Unersetzlichkeit der Mutter-Kind-Beziehungen, über die Ueberbeanspruchung der berufstätigen Mutter, über die Unterbewertung der Hausfrauenarbeit, über die Kleinfamilie von heute und die schweren Störungen im Familienleben der Gegenwart, muß jede Frau, jeden denkenden Menschen tief berühren.

Diese Enquete ist aber auch in einem bestimmten Sinn keiner anderen Frauengruppe so sehr zu Recht zugestanden wie der sozialistischen. Denn, historisch gesehen, war diese Studientagung eine laute Anklage einer verführten Generation, die heute vor Ruinen steht. Was immer an unheilvollen Zeiterscheinungen zur Debatte stand — es ist die Drachensaat sowohl jener Ideen, die das liberale Bürgertum als sinkendes Unkultur-gut dem fünften Stand hinterließ — erstaunlich lange erhielt sich die gesunde kinderreiche Arbeiterfamilie neben der Einkinderfamilie der Bürgerlichen —, als auch jener materialistischen und atheistischen Schlagworte, mit denen der Marxismus selber durch Jahrzehnte die breite Masse verwirrt und die Urzellc der menschlichen Gemeinschaft, die Familie, von innen her ausgehöhlt hat.

Manche Aeußerungen, die — nach den Berichten des sozialistischen Zentralorgans — auf dieser Studientagung fielen, lassen auf eine halbe Abkehr von den einst fanatisch verbreiteten Ideen schließen. Im ganzen gesehen, ist aber diese Enquete von einer tiefen Tragik überschattet. In keiner Frage wagte man sich zu den letzten Ursachen vor. Immer blieb man bei den äußeren Geschehnissen, bei Kriegsfolgen, Wohnungsschwierigkeiten und materieller Not stehen. Diese Nöte hat es zu allen Zeiten gerade bei uns in Oesterreich gegeben, und doch sind die Familien nicht daran zerbrochen. Die tieferen geistigen und seelischen Ursachen standen nicht zur Debatte. Ihre Erkenntnis hätte wohl zu einem erschütternden Eingeständnis führen müssen.

Da berichtete der Zentralinspektor der Wiener Kindergärten, Dr. Ernst K o t h-b a u e r, daß 75 % der Kinder in Kindergärten und Horten aus einem gestörten Familienmilieu kommen, nicht eingerechnet jene Familien, bei denen die Störungen nicht meßbar sind. Damit hat man bewiesen, aber natürlich nicht ausgesprochen, daß die Lockerung, ja das Zerreißen des ehelichen Bandes durch die einst so beliebten Schlagworte, wie „Freie Liebe“, „Ausleben“, „Recht der freien Persönlichkeit“, „Recht auf den Körper“, die Propaganda der unverbindlichen weltlichen Trauung, der erleichterten Scheidungsmöglichkeit, letzten Endes nicht nur ein Abfall von der gottgesetzten Ordnung, sondern auch der unheilvollste verrat am Kinde war.

Wenn Oberkommissär Rutschka besänftigend erklärte, daß die Geburtenzahlen in Oesterreich mit der Entwicklung in anderen Ländern Europas im Einklang stehe, so mußte er doch zugeben, daß die Zahl der Lebendgeburten in Wien mit 7,1 auf 1000 Einwohner „abnormal tief“ sei. Der Referent hätte sein Blickfeld erweitern müssen; wenn man nebeneinanderstellt, daß in Oesterreich jährlich 17,5 Geburten auf 1000 Menschen kommen, in Rußland aber 40 bis 50 Geburten auf 1000 Menschen, dann hätte dies mehr besagt. Erschreckend klar hätte sich auch die großzügige Planung des Kommunismus auf nachfolgenden Zahlen, die aus Vorträgen des Universitätsprofessors K i n z 1 in Innsbruck stammen, erweisen lassen: Um 1880 lebten in Europa 35% slawischer Völker, 31% germanischer, 35% romanischer Völker; 1948 leben in Europa 51% slawischer, 27% germanischer, 22% romanischer Völker. Der Kommunismus entdeckt, daß „die Idee des Kindes in die Idee der Herrschaft des Menschen über die Erde“ einbezogen ist und alles, was der Mensch in Kultur, Zivilisation und Macht erreichen kann, nur seinen Sinn in bezug auf die kommende Generation hat. Und darum reguliert der Kommunismus seinen Nachwuchs „vom Schaltbrett einer obersten Planungskommission“ aus. Dem marxistischen Materialisten aber ist das Kind bislang nur der Freudenstörer gewesen. Wer den Himmel den Spatzen überläßt und sein Paradies auf Erden sucht, der findet es natürlich nicht in der vollen Kinderstube, die Vater und Mutter Sorgen und Opfer auferlegt. Wer das Kind nur als Mehrverbraucher im Bereich menschlicher Güter wertet, der hat keinen Grund zur Geburtenbejahung. Kinderreichtum kann heute nur aus einem ganz tiefen Verantwortungsbewußtsein bejaht werden, das sich letztlich dem göttlichen Gebote, aber auch der Idee eines lebensfähigen christlichen Europas verpflichtet fühlt.

„Nur wenn es gelingt, aus letztlich religiöser Orientierung ein neues Menschentum zu formen, eine neue Ehe, eine neue Familie, einen bewußten schöpferischen Kinderreichtum auch auf spärlicher Scholle, die trotzdem festgehalten wird, nur dann kann den östlichen Massen ein Gegengewicht entgegengesetzt werden.“

Zu dieser tiefen Erkenntnis des den Sozialisten nahestehenden Gelehrten Ernst Karl Winter drang die Enquete, soweit die Berichte darüber vorliegen, nicht vor.

Von größter Bedeutung ist, was die Studientagung über das Erziehunsproblem Mutter und Kind“ feststellte. In dankenswertester Weise wurde mehrmals unterstrichen, daß die Kindererziehung jene Aufgabe der Familie, insbesondere der Mutter, ist, die durch keine andere Institution ersetzt werden kann. In seinen ersten Lebensjahren muß das Kind durch die Mutter, die Liebesbindung, das Akzeptiertwerden, seinen gesicherten Platz innerhalb der Familie und die Konstanz der menschlichen und dinglichen Umwelt erfahren, soll es nicht später als „seelischer Krüppel“ durch sein diffuses Kontaktstreben, seinen ungeordneten Geltungsdrang und seine gestörte Arbeitshaltung unangenehm auffallen.

Dr. Lotte Schenk-Danzinger, die Leiterin des Heilpädagogischen Kinderambulatoriums der Stadt Wien, die als Haupt-referentin dieser vielleicht wertvollsten Diskussion zeichnete, wies mit vollem Recht bei einer anderen Gelegenheit darauf hin, daß daher das brennende Zeitproblem der Mädchenbildung nicht so sehr die Berufsbildung sei, sondern die Vermittlung jener Fähigkeiten, die für Familiengründung und Kindererziehung am notwendigsten sind und die die Gesellschaft gerade heute von der Frau erwarten müsse. Damit ist das einst so betonte Lächeln gewisser Schulreformer über die Eigenart der Frau und ihre Sonderaufgaben, aber auch das große Getue um Koedukation und „gleiches Bildungsgut bei gleichem Bildungsziel“ abgetan.

Aber auch in der Behandlung der Erziehungsprobleme „Mutter und Kind“ fehlte der Mut bis zum letzten Schritt: die Erkenntnis, daß der jungen Frau, die ihren Beruf mit Anstrengung und Kosten erlernt hat, der Weg in die kleine Welt des Heimes und der häuslichen Kinderstube zurück nur dann möglich ist, wenn sie aus inneren Tiefen heraus den bescheidenen Dienst im kleinsten Kreis bejaht.

Und so ist zu befürchten, daß diese an sich so verdienstvolle und noch mehr aufschlußreiche Enquete, so wie sie in ihren Gedanken auf halbem und äußerlichem Wege stehenblieb, auch nur halbe und äußerliche Taten nach sich ziehen wird. Vielleicht werden Kindergärten und Horte vermehrt werden; vielleicht wird der berufstätigen Mutter manche Hilfe geboten werden; vielleicht wird die Hausfrauenarbeit von nun an besser bewertet, vielleicht wird das veraltete Familienrecht korrigiert. Das ist viel. Aber nicht das Entscheidende: Alle diese Maßnahmen würden die weitere Zersetzung der Familie und damit des Staates von innen her nicht aufhalten. Die klare Erkenntnis der geistigen Ursachen der Probleme und die Umkehr, die sich aus ihr ergibt, sind allein imstande, uns die Wege zur geistigen Erneuerung finden zu lassen.

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