Mehr Geld für Sozialdienstleistungen

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Gerade in Zeiten der Krise ist es klug, in Sozialdienstleistungen zu investieren. Sie sorgen für Wachstum, festigen die Wirtschaft und stiften sozialen Ausgleich.

Mittlerweile versuchen uns Kommentatoren glauben zu machen, dass es sich bei der Finanzkrise bloß um einen „Topathleten mit Muskelkater“ handle, der mit etwas Ruhe und Physiotherapie den Kater schon auskuriere – anstatt die Krise als Herzattacke eines sechzigjährigen Rauchers zu verstehen, für dessen Heilung eine Operation und massive Veränderungen im Lebenswandel vonnöten wären, analysiert treffend der Ökonom Robert Wade von der London School of Economics.

Wenn uns die Krise etwas gelehrt hat, dann dass es leistungsfähige Kontrollinstrumente für die Finanzmärkte braucht. Der wirtschaftlichen Globalisierung muss eine wirtschaftspolitische Globalisierung folgen. Der deutsche Bundespräsident Horst Köhler, früher Chef des Internationalen Währungsfonds, nannte letzte Woche einige konkrete Schritte: Erstens müssten Banken gezwungen werden, ausreichend hohes Eigenkapital aufzubauen, nur noch genehmigte Derivate dürfen gehandelt werden und die Finanzakteure müssen an den Kosten der Krise beteiligt werden.

Wir erleben ganz aktuell keine kleine Krise, keinen Muskelkater, sondern einen ordentlichen Herzinfarkt. Ein Systembeben. Das ist eine historische Chance für eine neue Finanzarchitektur. Nur wo ist sie? Statt eines Finanzpakets werden jetzt von denselben Akteuren von vor der Krise Sparpakete vorbereitet. Während die Finanzmärkte sich wieder auf „Business as usual“ einstellen, soll die Bevölkerung nun mit Sparpaketen bezahlen, was das Finanzdesaster an Löchern in die öffentlichen Haushalte gerissen hat.

„Business as usual“

Die soziale Ungleichheit wird in und nach Wirtschaftskrisen größer, wie der renommierte britische Sozialwissenschafter Tony Atkinson anhand von vierzig Wirtschaftskrisen beobachtet hat. Der World Wealth Report berichtet bereits wieder von einem Anstieg des Reichtums der Reichsten um ein Prozent, bei gleichzeitiger steigender Armut und Arbeitslosigkeit. Wer sozialer Polarisierung mit all ihren negativen Folgen für die ganze Gesellschaft gegensteuern will, muss nicht nur für die Stabilisierung des Finanz- und Bankensektors eintreten, sondern auch für die Stabilisierung des sozialen Ausgleichs. Noch mehr soziale Ungleichheit heißt noch mehr Krankheiten und noch geringere Lebenserwartung, mehr Teenager-Schwangerschaften, mehr Status-Stress, weniger Vertrauen, mehr Schulabbrecher, vollere Gefängnisse, mehr Gewalt und mehr soziale Ghettos. Mehr soziale Probleme verursachen auch volkswirtschaftliche Kosten. Eine höhere Schulabbrecher-Quote beispielsweise bringt durch steigende Sozialausgaben, höhere Gesundheitskosten und entgangene Steuereinnahmen Kosten von drei Milliarden Euro bei 10.000 Drop-outs.

Auf dem Weg von der alten Industriegesellschaft in eine moderne Dienstleistungsgesellschaft ist es vorausschauend klug, in die Zukunftssektoren zu investieren, zu denen Kinder, Schule und Bildung sowie Pflege zu rechnen sind. Investitionen in soziale Dienstleistungen zahlen sich aus. Gerade in der Krise. Und es profitieren alle. Investitionen zahlen sich aus, weil es sich um einen beschäftigungsintensiven Sektor handelt, der zukunfts- und ausbaufähig ist. Jetzt schon arbeiten 350.000 Menschen hierzulande im Sozial- und Gesundheitssektor. Das sind gleich viele wie im Bauwesen oder im Gastgewerbe.

Chancen nicht wahrgenommen

In den österreichischen Konjunkturpaketen kommen hingegen die blinden Flecken des Ökonomen John Maynard Keynes zum Tragen. Kein Blick für Armut und für den sozialen Dienstleistungssektor. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen hat in einem interessanten Aufsatz in der New York Review auf diese Schwachstellen des Alt-Keynesianismus hingewiesen. In den Konjunkturpaketen hierzulande werden die Einkommensschwächsten zu wenig berücksichtigt und die Möglichkeiten im Dienstleistungssektor nicht wahrgenommen. So laufen zwei Drittel in die Steuerreform, und nur ein Drittel in Infrastruktur. Der große Rest ins Bankenpaket.

„Investiert man eine Million Euro in Kindergärten, schafft man 14 bis 15 Vollzeitarbeitsplätze“, hat Ulrike Schneider, Professorin an der Wiener Wirtschaftsuniversität, errechnet. Dieser Multiplikatoreffekt im sozialen Feld kann sich mit anderen Sektoren sehen lassen: Die Stromwirtschaft weist einen Beschäftigungsmultiplikator von 13 auf, der Bausektor von elf. Am höchsten schneidet die Tourismuswirtschaft mit einem Vielfachen von 19 ab. Am Beispiel der Wiener Kindergärten gemessen, bringt all das eine Steigerung der volkswirtschaftlichen Produktion um 520 Millionen.

Soziale Dienstleistungen sind eine Produktivkraft. Sie haben drei Funktionen: Sie sorgen für Wachstum, stabilisieren die Wirtschaft und stiften sozialen Ausgleich. Sie haben Wachstumsfunktion bei Beschäftigung und Produktivität. Sie haben stabilisierende Funktion, weil sie Teilhabe sichern und Nachfrage über den Konjunkturzyklus bereitstellen. Und sie erfüllen die Funktion des sozialen Ausgleichs. Besonders die Dienstleistungen in Pflege, Kinderbetreuung und Bildung reduzieren das Armutsrisiko und verteilen zu den Schwächeren um.

Es gibt noch viel zu tun

Österreich liegt mit seinen Sozialdienstleistungen unter dem EU-Durchschnitt. Sowohl bei der Pflege als auch bei der Kinderbetreuung. Mobile Dienste für Pflegebedürftige gibt es in Österreich im Verhältnis eins zu neun, in Deutschland eins zu fünf, in Dänemark eins zu zwei. Im Bereich der Kinderbetreuung liegt die Betreuungsquote der Drei- bis Vierjährigen in Österreich nur bei 45 Prozent, in Deutschland hingegen bei knapp 70 Prozent und in Dänemark bei 82 Prozent. Diese Dienste sind auch deshalb konjunkturell interessant, weil sie regional und in strukturschwachen Regionen wie im Waldviertel oder Südburgenland Jobs schaffen. Sie stützen die Kaufkraft und heben die Fraueneinkommen. Auch wenn hier noch viel zu tun ist, was Bezahlung und Attraktivität der Jobs angeht.

Investitionen in Sozialdienstleistungen würden der zukünftigen Nachfrage nach Pflegedienstleistungen bereits heute vorsorgen. Zukunftsszenarien gehen von einer höheren Inanspruchnahme von Pflegedienstleistungen in Österreich aus, durch einen höheren Anteil von älteren Menschen sowie einer geringeren Anzahl von informell pflegenden Personen. Insgesamt entstehen bei Kinderbetreuung wie bei der Pflege Win-win-Situationen zwischen Fraueneinkommen, Arbeitsplätzen, Frühförderung von Kindern und Pflegeentlastung Angehöriger.

* Der Autor ist Sozialexperte der Diakonie und Mitbegründer der Armutskonferenz

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