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Indexanpassungen fuhren zur Gewöhnung an die Inflation

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Geld und Geldwert haben seit al-tersher einen sozialen Kern, der in wirtschaftlichen Blütezeiten ebenso wirksam ist wie bei Drepression und Inflation Zwar gibt es schon viele Theorien und Untersuchungen über die wirtschaftlichen und strukturellen Ursachen dieser Erscheinungen, bis jetzt konnten die Wissenschaftler aber weder durch ihre Überlegungen noch durch zahlreiche statistische Untersuchungen zeigen, wie man das Problem praktisch in den Griff bekommen kann. Ein Grund dafür sind sicherlich die sozialen und soziologischen Faktoren, die sich - genauso wie das Verhalten des Menschen überhaupt - nur schwer in computergerechte Daten verpacken lassen. •

Diesen sozialen Kern hat nun Univ.-Prof. Dr. Anton Burghardt, Vorstand des Instituts für allgemeine Soziologie und Wirtschaftssoziologie an der Wirtschaftsuniversität Wien, genauer unter die Lupe genommen und seine Ergebnisse mit den bestehenden Theorien und Ansichten über Wirtschafts- und Geldentwicklung verglichen. In einer Veröffentlichung „Soziologie des Geldes und der Inflation“ - Verlag Böhlau, Wien, 142 Seiten, öS • 240,— analysiert der Wissenschaftler vor allem das Inflationsverhalten der privaten Haushalte, wobei er die Ergebnisse einer gesamtösterreichischen Repräsentativumfrage von 1976 mitverwertet.

Geld ist zwar als Tauschmittel für den Erwerb von Waren und später auch von Dienstleistungen entstanden, hat sich aber mit der kulturellen Entwicklung und dem Aufblühen des weltweiten Handels von seiner ursprünglichen Funktion emanzipiert. Geld ist zugleich Ware als Gegenwert für Produkte, hat aber auch den Charakter eines Gutes angenommen, dessen Besitz allein schon Reichtum, Macht und Einfluß ermöglicht. Dadurch wurde es zum Leistungsanreiz für die Verbesserung des eigenen Sozialstatus. Weil Geld in gewisser Weise ein frei verfügbares Gut ist, das jeder-

mann erwerben und besitzen kann, wirkt es insoferne demokratisch, als es keiner Bevölkerungsschicht allein vorbehalten bleibt. Durch seine Funktion als Kredit schafft es aber anderseits Klassen von Schuldnern und Gläubigern und führt zu sozialer Ungerechtigkeit, weil sich durch unterschiedliche Erwerbsmöglichkeiten verschärft Einkommensklassen ausbilden.

Heute sind es insbesondere “sozio-ökonomische Funktionen des Geldes, wie die Kaufkraft der Währung und das in sie gesetzte Vertrauen, die Möglichkeit durch genügend Geldmittel Macht bis hin zur Fernsteuerung ganzer Sozialsysteme (oft die Lohnpolitik multinationaler Konzerne), die das Verhalten der Bevölkerung zum Geld entscheidend prägen.

Vor allem aber leitet der Staatsbürger aus der Realität des Geldes ein soziales Versprechen, eine Anweisung auf das Sozialprodukt ab. Dieses Versprechen soU eine mögüchst gerechte Preisgestaltung für die notwendigen Konsumgüter ebenso einschließen wie soziale HüfesteUungen, Pensionen und Krankenfürsorge, und es soll die wertgesicherte Entlohnung der Arbeit garantieren.

Diese Ansprüche haben einerseits ein primäres Motiv, das Selbsterhaltungsbedürfnis, das dem Menschen zwar nicht als Instinkt angeboren, aber doch sehr ursprüngüch ist, und eine

sekundäre Wurzel, das Motiv des Geldbesitzes, das ein kulturhistorisch gewachsenes, erlerntes Gefühl dar-steUt Diese Grundmotive sind Ausgangspunkt einer eigenen „Geldethologie“, die die spezifischen Umgangsformen der Menschen mit dem Geld zu erforschen sucht.

Deshalb zeigen sich etwa schon bei den Kaufgewohnheiten und ihren Motiven schichtenspezifische Unterschiede. Haushalte mit gesichertem, relativ hohem Einkommen sind flexibler und besser informiert als Konsumenten mit geringem monatlichen Einkommen, die sich in ihren Kaufentscheidungen und Verbrauchergewohnheiten viel konservativer und starrer zeigen, weü der überwiegende Teil ihrer Einkünfte für lebensnotwendige Güter verbraucht werden muß. Besonders kraß können sich solche Konsumtraditionen in Armenge-seUschaften ausbüden, die deshalb oft über Generationen starr in ihrem schlechten Sozialstatus verharren.

Geld kann schüeßüch auch als Instrument zur sozialen Selbstdarstellung dienen, etwa bei den „Neureichen“. Dementsprechend unterschiedlich wirkt sich die Werbung.in den Massenmedien auf das Kaufverhalten der einzelnen Bevölkerungsschichten aus.

Die Bedeutung des menschüchen Verhaltens zeigt sich besonders deutlich bei der Inflation. Schon die Frage, ab wann man eine steigende Preisentwicklung als Inflation bezeichnen muß, läßt sich nicht so einfach beantworten, weü dies entscheidend vom

Konsumverhalten und der Beurteilung durch die Bevölkerung mitbestimmt wird. Zwar definieren die Ökonomen die Inflation als einen Zustand, in dem die Preise aüer wichtigen Güter viel rascher steigen als die Einkommen, doch wird diese klassische Definition der Geldentwertung, die heute in beträchtlichem Ausmaß unser Wirtschaftsleben begleitet, durch die Reaktionen der Konsumenten weitgehend verschleiert. Durch die garantierten Indexanpassungen der Einkommen und ein langjähriges Gefühl der Preis-stabüität hat sich der Bürger der Industrienation an Teuerung gewöhnt und damit kaum ein Preisbewußtsein entwickelt.

Wüd die Inflation von der Mehrheit der Konsumenten als Tatsache einmal erkannt, so kommt es ziemlich bald zur Flucht in Sachwerte oder zu Spekulationen auf einen Inflationsgewinn durch Kreditaufnahmen; dies sehen rund 40 Prozent aller, Österreicher als wirksame Gegenmaßnahmen an. Schließlich tritt eine Inflationsapathie ein, sobald die Mehrheit der Bevölkerung ihre persönüchen Konsumbedürfnisse durch eine Steigerung ihrer Löhne oder durch einen gewissen Teuerungsausgleich gesichert weiß; dieser Ansicht waren 13 Prozent aller Österreicher. Weü man sich aber daran gewöhnt hat, „daß einfach aües teurer wird“, breitet sich eine Inflationsmen-tahtät oder -ideologie aus, die keineswegs zu einer wünschenswerten Zurückhaltung beim Konsum führt.

Diese Analysen zeigen schon, welch wichtige Rolle die privaten Haus-

halte als mögliche Inflationsursache spielen können. Immerhin waren schon 1972 in der Bundesrepublik Deutschland die Haushalte zu 54 Prozent entscheidend an der Preisbildung nicht preisgeregelter Konsumgüter durch ihre Kaufgewohnheiten mitbeteiligt. Dabei hat natürlich die Haushaltsgröße als Strukturelement eine wichtige Funktion. Insbesondere können in städtischen Gebieten durch die Konsumgewohnheiten die Umlaufgeschwindigkeiten des Geldes und damit die Inflationsrate beschleunigt werden, vor allem durch Angst- und Vorziehkäufe oder durch Anschaffungen von Gütern, die durch ein entsprechendes Marketing den Anspruch sozialer Normen haben, die „Prestigegüter“.

Genaugenommen fühlen sich, meint Prof. Burghardt, die meisten Haushalte ab einer gewissen Einkommensgröße zum Konsum gezwungen, wobei auch Ansprüche auf Freizeit und Urlaub, auf statusgerechte Dienstleistungen genauso wie die Lohnansprüche letzten Endes zu Kostenüberwäl-zungen auf die Preise führen.

Diese Dynamisierung der Bedürfnisse aUer Einkommensschichten widerspricht aber in diesem wesentlichen Punkt der lange Zeit von John Maynard Keynes vertretenen Theorie, daß sich mit einer gewissen allgemeinen Einkommenshöhe die Konsumnachfrage beruhigen würde. Zumindest die Haushalte der Industrienationen zeigen deutlich das Gegenteil.

Die tiefere psychologische Ursache dafür dürfte vor allem in jenem weit verbreiteten Geldglauben zu suchen sein, meint Prof. Burghardt abschhe-ßend, der die Konsumenten dazu verführt, den Wert des Geldes als Wertillusion zu begreifen, so daß die Preise ihre Signalwirkung für ein vernünftiges Konsumverhalten - und damit auch ihre Funktion - weitgehend eingebüßt haben.

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