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Aufputsdidroge Inflation

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In den jüngsten Jahren ist die Bereitschaft, mit der Inflation zu leben, immer größer geworden. Die große Angst und damit die zunehmende Bereitschaft, ernsthaft gegen die Inflation anzukämpfen, traten erst auf, als die Inflation in den meisten westeuropäischen Ländern Ausmaße erreicht hatte, die bis dahin nur in exotischen Ländern zu verzeichnen gewesen waren, und als durch das Auftreten von Wachstumsschwierig-keinen und zunehmender Arbeitslosigkeit bei anhaltender Inflation (Stagflation) die These von der wirtschaftsbelebenden Wirkung der Geldentwertung widerlegt wurde. Schon vor zehn und noch mehr Jahren hat es warnende Stimmen gegeben, die den Einfluß der Inflation auf die Wirtschaftstätigkeit mit einer Aufputschdroge verglichen haben, die dem Organismus in immer größeren Mengen zugeführt werden muß, um dann schließlich zum allgemeinen Kollaps zu führen; dennoch huldigten maßgebende Wirtschaftspolitiker der irrigen Auffassung, man- könne den Verteilungskampf der modernen Industriegesellschaft unter dem Geldschleier der Inflation reibungsloser gestalten und man könne diese unter Bedingungen der Vollbeschäftigung und des hohen Wirtschaftswachstums in erträglichen Ausmaßen halten.

Nun ist die Ernüchterung da und die schärfste Rezession der Nachkriegszeit fällt in den meisten Industrieländern mit höchsten Teuerungsraten zusammen. Bedeutende Wirtschaftswissenschaftler vertreten die Meinung, der gegenwärtige Rückschlag sei vor allem eine Folge der Eskalation der Geldentwertung.

Fragen wir nach dem Zusammenhang zwischen Währungsstabüität

und Wirtschaftswachstum und nach der Rolle, die der Spartätigkeit hie-bei zukommt, so ist zunächst festzuhalten, daß für den Erwerb von Gütern, deren Bezahlung aus den laufenden Einkommen nicht gedeckt ist, jedenfalls ein Sparvorgang notwendig ist. Die Frage ist, ob dem Ansparen oder dem nachträglichen Konsumverzicht infolge der Einkommensbelastung durch Kreditrückzahlung der Vorzug gegeben wird. Der wesentliche Grund für die Habenzinserhöhung und für die Anleihen-boniflkation im Frühjahr 1974 war wohl die Tatsache, daß die Geldentwertung zu einen Aushöhlung der Realverzinsung der Geldanlagen ge-

führt hatte, und damit der Kreislauf der Geldkapitalbildung und Investitionsfinanzierung gestört wurde.

Für kreditfinanzierte Investitionsvorhaben ist die mangelnde Währungsstabilität bei oberflächlicher Betrachtungsweise kein Hindernis. Im Gegenteil, das Nominalwertprin-zip erleichtert solche Vorhaben, werden doch die Kredite mit entwertetem Geld zurückgezahlt. Man könnte hieraus den gefährlichen Rückschluß ziehen, daß die mit Krediten finanzierte Realvermögensbildung durch die Geldentwertung erleichtert wird. Daß dies nicht stimmt, daß vielmehr, vor allem durch die Besteuerung von Scheingewinnen, die Substanz zahlreicher Unternehmen

leidet, zeigen uns die Bilanzstatistiken.

Zu nennen ist aber noch ein wichtiger Mechanismus, der das Gleichgewicht zwischen Sparen und Investieren stört. Es ist das Verhalten, das durch die Inflationserwartungen ausgelöst wird. Vorgezogene Käufe privater Haushalte sowie der Unternehmen bewirken einen Nachfrage -druck, der Kostenüberwälzungen auf die Preise und einen gewissen „Vorhalteeffekt“ zur vorsorglichen Berücksichtigung erwarteter Kostensteigerungen ermöglicht.

Ist aber Konsumieren um jeden Preis, auch bei den aktuellen Teuerungsraten, eine echte Alternative für Sparen? Konsumieren um jeden Preis heißt mehr verbrauchen, als man benötigt, also verschwenden. Ohne näher in die Psychologie des Anspruchsniveaus der Konsumenten einzugehen, läßt sich doch vermuten, daß bei den meisten ein Widerstand gegenüber unwirtschaftlichem Konsuraverhalten besteht Jüngste Meinungsforschungen bestätigen dies. So haben bei einer kontinuierlichen Befragung von Haushalten, zuletzt im April, 87 Prozent der Befragten erklärt, sie kauften keineswegs großzügiger ein, weil sie das Gefühl hätten, sparen lohne sich nicht mehr recht.

Über die Gründe, warum nach langen Jahren hohen Wirtschaftswachstums bei erträglichen Inflationsraten das mit den herkömmlichen und wissenschaftlich fundierten wirtschaftspolitischen Mitteln bewahrte Gleichgewicht bald nach Beginn der siebziger Jahre aus dem Lot gekommen ist, rätseln die Wirtschaftswissenschaftler. Eine einleuchtende Erklärung ist das zunehmende Anspruchsniveau der Wirtschaftssubjekte, das durch die gleichfalls zunehmende Vermachtung der Interessengruppen immer stärker und erfolgreicher nach Durchsetzung strebt, wodurch die Decke des Sozialprodukts zu kurz wird und die Einkommenszuwächse die Inflation alimentieren.

Durch die Inflation der Inflationsliteratur sind der Öffentlichkeit viele gutgemeinte Ratschläge und Analy-

sen bekanntgeworden. Es ist hier nicht möglich, auf sie zusammenfassend einzugehen. In dieser kurzen Stellungnahme soll aber eine wesentliche Überlegung angestellt werden. Es ist weiter oben dargelegt worden, weshalb auch in Inflationszeiten gespart und investiert wird. Es sind aber die Veränderungen im Spar- und Investitionsverhalten, die mit zunehmender Inflation zu gefährlichen Verzerrungen führen. So haben am Beginn der jüngsten Inflationsphase vorerst die Unternehmer ihre Investitionsneigung erhöht und erst später ist das private Sparen zugunsten der privaten Konsumneigung gesunken. Mit fortschreitender Geldentwertung und mit dem Abflauen der Konjunktur ist aber das Vorsorgemotiv (man kann es nach Keynes auch als Liquiditätspräferenz bezeichnen) stärker in den Vordergrund getreten, was die Investitionsbereitschaft sinken und die Sparbereitschaft steigen ließ. Daraus ergibt sich eine Gleichgewichtsstörung zwischen Sparen und Investieren. Früher hat man dies als „deflatorische Lücke“ bezeichnet, heute treffen die damaligen Annahmen nicht mehr ganz zu, wie es das Phänomen der Stagflation zeigt. Der Mechanismus ist, wie so viele andere der jüngsten Entwicklung, von der empirischen Nationalökonomie noch nicht geklärt. Es wurde aber mit aller Deutlichkeit die Illusion zerstört, daß sich die Wirtschaft an hohe Inflationsraten gewöhnen könne. Je weniger das Verhalten der Wirtschaftssubjekte unmittelbar an der Veränderung des Geldwertes orientiert ist, desto eher kann das Geld seine Aufgaben als Zahlungsmittel und Wertmesser erfüllen und desto weniger kann das Gleichgewicht von Sparen und Investieren durch monetäre Faktoren gestört werden. Aus diesem Grund registrieren wir mit einer kleinen Erleichterung — man ist eben schon bescheidener geworden —, daß die Inflationserwartungen, wie verschiedenen Meinungsumfragen zu entnehmen ist, sowohl der Unternehmer als auch der Konsumenten in der jüngsten Zeit deutlich gesunken sind.

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