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Digital In Arbeit

Schlag auf zwei Pauken

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Das „Deja vu, dejä entendu” liegt wie ein bleierner Vorhang zwischen Präsident Fords Kampfruf gegen die Inflation und der pessimistischen Stimmung der amerikanischen Bevölkerung, die nach Watergate richtungslos dahintreibt. Als weitere Wand ist ein Kongreß dazwischen geschoben, der soeben seine Arbeit einstellt, weil er sich am 5. November in seiner Mehrheit den Wählern stellen muß. Es ist daher fraglich, was von Fords Antiinflationsprogramm wirklich die Bevölkerung erreicht und was der Kongreß — immer groß im Ausgeben und klein im Sparen — davon schließlich bewilligen wird.

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Das „Deja vu, dejä entendu” liegt wie ein bleierner Vorhang zwischen Präsident Fords Kampfruf gegen die Inflation und der pessimistischen Stimmung der amerikanischen Bevölkerung, die nach Watergate richtungslos dahintreibt. Als weitere Wand ist ein Kongreß dazwischen geschoben, der soeben seine Arbeit einstellt, weil er sich am 5. November in seiner Mehrheit den Wählern stellen muß. Es ist daher fraglich, was von Fords Antiinflationsprogramm wirklich die Bevölkerung erreicht und was der Kongreß — immer groß im Ausgeben und klein im Sparen — davon schließlich bewilligen wird.

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Fords Programm der 10 Punkte muß seinem Inhalt nach und in seinem Effekt als Paukenschlag beurteilt werden. Mir scheint die zweite Funktion wichtiger zu sein. Denn Inflationsbekämpfung muß beim Einzelnen beginnen und kann nicht in allen Details gesetzlich festgelegt werden. Ob einer die Heizung drosselt, weniger Lebensmittel verschwendet und weniger im Auto fährt, ist ein Problem, welches Gewohnheit gegen die Erkenntnis setzt, daß sich etwas ändern müsse, da man sonst der Katastrophe zusteuere. Ob aber Fords Aufruf diesen zur zweiten Natur gewordenen Konsumschlendrian beirren kann, bleibt zweifelhaft. Zu lange schon hat die Bevölkerung über ihre Verhältnisse gelebt, zu oft hat man sie mit dem Argument narkotisiert, daß Konsum Wachstum, und Wachstum Wohlstand bedeute. Jetzt soll es plötzlich anders sein? Drei Wochen vor den Wahlen sollen Abgeordnete, die in ihrer politischen Existenz bedroht sind, dem Wähler empfehlen, 5 Prozent mehr Steuern zu zahlen als bisher? Wohl hat das Weiße Haus eine Publizitätskampagne gestartet, deren Slogan „WIN” (gewinn den Kampf gegen die Inflation!) dem Durchschnittsamerikaner die Gefährdung seiner Existenz begreiflich ma chen soll. Aber es fehlt bei Ford das Charisma der Persönlichkeit und es fehlt beim Publikum der Patriotismus, der imstande wäre, das eigene Interesse hinter das der Allgemeinheit zu stellen.

Was nun den Inhalt der 10 Punkte betrifft, so erinnert er an das Wort: wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen. Es ist kein Programm aus einem Guß, es ist ein Potpourri von Maßnahmen, Dutzende von Wirtschaftsexperten unabhängig voneinander ausgebrütet haben, Experten, die man wochenlang in Seminaren sequestriert hatte.

Es soll „gegeben und genommen” werden: Zusätzliche Arbeitslosenunterstützung für die Opfer der Inflation — wer ist das nicht? —, dagegen Steuererhöhung von jährlich 5 Prozent für alle Einkommensträger, von über 15.000 Dollar im Jahr. Die Steuererhöhung soll auch für die Betriebe gelten, denen aber im gleichen Atemzug eine liberalisierte Abschreibung zugestanden wird. Die Produktion landwirtschaftlicher Produkte soll mit allen Mitteln vorangetrieben werden, um das Angebot an Lebensmitteln zu erhöhen und die Preise für den Konsumenten zu drücken. Niemand kann jedoch ab- sehen, wie sich diese Preise auf das Einkommen der Farmer auswirken.

Internationale Zusammenarbeit im Warenaustausch wird befürwortet. Aber 24 Stunden vor Fords Rede wurde ein großer Getreidekontrakt mit der Sowjetunion storniert, weil Verknappung und weitere Preisauftriebe befürchtet werden. Innerhalb der Regierung wird ein Energiepolitik-Forum gegründet. Seine Ziele: Reduzierung der Ölimporte um eine Million Barrels pro Tag. Bis 1980 sollen alle ölbetriebenen Energieerzeuger auf Atom- oder andere Treibstoffe umgestellt sein, alle Automobile auf einen um 40 Prozent reduzierten Treibstoffverbrauch. Doch scheut Ford vor der Rationierung zurück und überläßt das Energiesparqn der Einsicht des Einzelnen. Die Geldpolitik wird für den Wohnhausbau erleichtert und überhaupt so gestaltet, das es möglichst keine Zusammenbrüche geben kann. Aber ohne wesentliche Abkühlung, mit allen ihren Konsequenzen, können die Zinsen nicht sinken und die Börsen nicht Aufwind erhalten. Schließlich soll die Regierung einem rigorosen Sparprogramm unterworfen und das Budget 1975 im 300 Milliarden- Rahmen gehalten werden. Werden aber die Tausende von Anliegen, die an den Kongreß herankommen, zurückgestellt, oder im Interesse der Situation fallengelassen werden? Solche Anliegen zu vertreten — hier ein Damm, dort eine Straße — ist das tägliche Brot des Abgeordneten; nach solchen Erfolgen wird er gemessen.

Was aber vielleicht das wirkliche Dilemma der Situation reflektiert: die Wirtschaftsexperten sind sich noch gar nicht darüber im klaren, was gefährlicher ist: Inflation oder Rezession. Die einen meinen, die Inflation werde ganz von selbst zurückgehen und die eigentliche Gefahr liege in einer Rezession oder

Depression von weltweiten Ausmaßen.

Diese Leute wollen stimulieren und nicht abküfilen. Andere wollen die Wirtschaft durch den Wolf der Rezession drehen, weil nur das eine Gesundung bringe und ein echtes Nachlassen der Preisauftriebe bringen könne. So reflektiert Präsident Fords Programm beide Ängste, beide Rezepte zur Heilung und es ist zu befürchten, daß eine Maßnahme die andere auflieben wird. Anderseits ist es wahr, daß die amerikanische Wirtschaft unter Stagnation und In flation zugleich („Stagflation”) leidet und vielleicht muß man dieses Phänomen wirklich von zwei verschiedenen Seiten her bekämpfen.

Jedenfalls verbleibt mehr als ein Zweifel am gelingen einer an sich vernünftigen Wirtschaftsinitiative durch Präsident Ford, die jedoch ni^)t pur seine innenpolitische Schwäche reflektiert, sondern sogar schon die Frage laut werden läßt, ob parlamentarische Demokratien mit Wirtschaftskrisen dieses Ausmaßes ohne diktatorische Vollmachten fertig werden können.

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