Den Generationen-Kuchen GERECHTER TEILEN

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Wird es künftig noch eine ausreichende Pension für alle geben? Woran krankt das österreichische Pensionssystem wirklich? Und welche politischen Maßnahmen wären in Zukunft dringend nötig?

DIE FURCHE: Leider hat sich niemand gefunden, der die Interessen der Pensionisten in dieser Debatte vertritt. Die FURCHE erhielt Absagen vom SPÖ-Pensionistenverbandspräsidenten Karl Blecha, seinem Wiener Pendant Rudolf Edlinger, von ÖVP-Seniorensprecherin Gertrude Aubauer, SPÖ-Seniorensprecherin Sabine Oberhauser, dem gesamten SPÖ-Klub sowie von ÖVP-Seniorenbund-Obmann Andreas Khol -in Khols Fall mit der Begründung, nicht mit Ihnen, Herr Marin, diskutieren zu wollen, weil Sie mit falschen Zahlen hantieren würden.

Bernd Marin: Ziemlich skurril, dass jemand kneift und Journalisten ausrichten lässt, was er nicht für richtig hält. Das zeigt großen Argumentationsnotstand. Präsident Khol mutierte vom Chef-Architekten der Schüssel'schen Pensionsreformen zum "späten Zwilling", wie es Franz Fischler ausgedrückt hat, vom Genossen Blecha. Er muss seine jeweilige "Wahrheit als Tochter der Zeit" alle paar Jahre völlig umschminken.

DIE FURCHE: Der Seniorenbund dementiert ja, dass es ein Finanzierungsloch im Pensionsbudget gibt. Diese fehlenden 3,6 Milliarden Euro bis 2018 würden nicht stimmen. Zitat Khol: "Die Prognosen zu den Pensionszahlen sind regelmäßig deutlich überzogen. Es gibt keinen Grund zur Panikmache und Hetze. Überhaupt kann von Kostenexplosion im Pensionsbereich keine Rede sein."

Beate Meinl-Reisinger: Nein, hier klafft sehr wohl eine Lücke. Man muss sich ja nur die Berechnungen der Pensionskommission zum Pensionsantrittsalter anschauen, das nur sehr langsam steigt. Hinzu kommen die steigende Lebenserwartung und dass die Babyboomer-Generation bald auch noch in Pension geht. Deshalb sehen wir budgetär ein enormes Problem auf Österreich zukommen. DIE FURCHE: Stichwort Klientelpolitik: Wie schätzen Sie denn die politische Macht der Pensionistenvertreter ein?

Marin: Das Bündnis der Seniorenvertreter macht den zuständigen Ministern die Mauer - für handfeste Gegenleistungen.

Meinl-Reisinger: Das ist auch logisch, wenn man die Wählerstruktur sowohl von SPÖ als auch ÖVP anschaut. Die Seniorinnen und Senioren sind eine große Gruppe, die es nicht zu verschrecken gilt.

DIE FURCHE: Es wird sogar schon das Schreckgespenst einer "Gerontokratie" an die Wand gemalt: 2040 sollen 40 Prozent der Wähler über 60 Jahre alt sein.

Meinl-Reisinger: Das hat man bei der Abstimmung über die Wehrpflicht-Reform gesehen. Da haben wir eigentlich darüber abgestimmt, ob der Zivildienst und letztlich die Pflege in der jetzigen Form erhalten bleiben sollen. Insofern kann man durchaus von einer Gerontokratie sprechen. Deshalb habe ich auch Sympathien für Überlegungen über ein Familienwahlrecht, bei allen verfassungsrechtlichen Problemen, die ich sehe.

DIE FURCHE: In der OECD-Vergleichsstudie zur Generationengerechtigkeit wird ein Familienwahlrecht vorgeschlagen: Eltern könnten pro Kind eine halbe Wahlstimme zusätzlich erhalten.

Meinl-Reisinger: Wir diskutieren das in der Partei. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, wie man die Stimme der Jungen stärken kann. Es gibt auch eine Plattform, wo Kinder und Jugendliche ein Wahlrecht fordern.

Marin: Ich halte eine Art Kurienwahlrecht für Vielkind-Familien weder für wünschenswert noch machbar. Das demografische Ungleichgewicht ist aber demokratiepolitisch bedenklich. Man müsste eine starke kommunale Mitbestimmung bis zu Vetorechten für Eltern und Kinder einrichten und könnte auch eine weitere Herabsetzung des aktiven Wahlalters überlegen. Jugendliche sind zu allem Möglichen fähig, das weit über die Bewertung der politischen Lage hinausgeht.

Meinl-Reisinger: Ich würde das Wahlrecht auf jeden Fall verknüpfen mit einer besseren politischen Bildung an Schulen. Aber es gibt auch andere Formen der Partizipation: Wenn man einen Stadtentwicklungsplan schreibt, warum lädt man nicht Kinder und Jugendliche ein, ihre Bedürfnisse einzubringen? DIE FURCHE: De facto fehlt Geld für Kindergärten, Bildung, Unis, Forschung und Entwicklung. Bleibt die Zukunft auf Kosten der Pensionen auf der Strecke?

Marin: Die Nachmittagsbetreuung der Sechs-bis 14-Jährigen ist ein Fiasko in Österreich, auch, weil wir sehr viel Geld für Frühpensionen verbrennen. Da nehmen wir 15 Milliarden Defizit jährlich in Kauf, während wir ein paar hundert Millionen für Kinderbetreuung nicht aufbringen. Ich würde Elternrechte stark ausbauen: mindestens das Recht auf Ganzjahres-und Nachmittagsbetreuung sowie Einspruchsrechte gegen Betriebssperren kommunaler Betreuungseinrichtungen aller Art.

Meinl-Reisinger: Eine in Oberösterreich lebende Freundin klagt, dass die Kinder erst mit zweieinhalb im Kindergarten genommen werden! Es heißt immer, es gebe den Bedarf nicht -klar, weil sich die Leute anders organisieren müssen. Als der Gratis-Kindergarten in Wien kam, war die Nachfrage plötzlich enorm. Bei der frühkindlichen Betreuung geht es nicht um schlichte Aufbewahrung, sondern um qualitative Bildung. Da schneidet Österreich im internationalen Vergleich schlecht ab.

DIE FURCHE: Der Seniorenbund bezeichnet das Vergleichen von Bildungsausgaben und Pensionsausgaben als ein "völlig unzulässiges Auseinanderdividieren der Generationen".

Marin: Selbstverständlich kann und muss man aufwiegen. Denn Pensionsausgaben sind Konsumschulden und insoweit gefährlich. Wenn ich jährlich 15 Milliarden zu den Pensionen zuschießen muss, fehlt dieses Geld in Zukunftsbereichen wie Bildung, Gesundheit, Kinderbetreuung, aber auch für Pflege. Allein die Luxusrenten kosten jährlich soviel wie die Nachmittagsbetreuung für 100.000 Kinder.

DIE FURCHE: Den NEOS wird ja öfters vorgeworfen, die Generationen gegeneinander auszuspielen.

Meinl-Reisinger: Das wollen wir nicht. Es gibt viele empathische Großeltern, die sehen, dass sich das nicht ausgeht für die Kinder. Es geht uns nicht darum, den Alten etwas wegzunehmen -außer bei den Luxuspensionen. Wir fordern nur jetzt Reformschritte, damit wir in zehn, 15 Jahren nicht im absoluten Desaster enden. Diese nötigen Reformen werden kommen, aber zu spät.

Die Furche: Sozialminister Rudolf Hundstorfer hat in einem "Presse"-Interview erstmals zugegeben, dass künftige Generationen nicht annähernd dieselben Pensionsleistungen erwarten können wie heute.

Marin: Was bisher absolut tabu war, wird plötzlich vom Sozialminister in einem Nebensatz-Sager zugestanden: Künftig werden wir froh sein müssen, das erreichte Niveau halbwegs zu halten. Die Jungen können da nichts tun außer politisch aktiv zu werden. Bei den Luxuspensionen, wo Leute für jeden eingezahlten Euro bis zu vier Euro herausbekommen, wird ein Unrechtsregime betrieben. Da beträgt der Zuschussbedarf auf Steuerzahler-Kosten Hypo-Milliarden, damit die Herren Pensionsmultimillionäre viele Jahre früher auf den Golfplatz können. Meinl-reisinger: Dieses System bezeichnen wir übrigens als strukturelle Korruption. Es ist ja kein Zufall, dass das in diesen staatsnahen Betrieben geschieht, wo man die Leute hoch dotiert versorgen kann.

Die Furche: Laut Umfrage von meinungsraum.at haben 75 Prozent der jungen Arbeitnehmer bis 30 Jahre kein Vertrauen in eine ausreichende staatliche Pension. Mehr als die Hälfte sorgt bereits privat vor. Ist diese Angst berechtigt?

Marin: Die Angst ist übertrieben, Vorsorge dennoch meist ratsam. Es wird immer etwas geben, das Pension heißt. Ob diese eine vergleichbare Kaufkraft schafft und man davon leben kann, ist die Frage. Aber 69 Prozent der Frauen haben heute eine Pension von unter 1000 Euro brutto.

Die Furche: Bei den Frauen liegt das gesetzliche Pensionsalter bei 60 Jahren, fünf Jahre unter jenem der Männer. Halten Sie das noch für eine zeitgemäße Regelung?

Meinl-reisinger: Nein. Es ist nicht fair, aber auch frauenpolitisch dumm. Wir kappen so den Frauen die letzten fünf Jahre, wo sie ein höheres Einkommen erzielen könnten, weil die Kinderbetreuung in diesem Alter wegfällt. In der Praxis ist eine Frau mit 50 schon alt am Arbeitsmarkt. Der Arbeitgeber denkt sich, die Arbeitnehmerin geht bald in Pension, in sie investiere ich nicht mehr.

Marin: Da hat sich ein faschistoider Jugendwahn breit gemacht. Unser Arbeitsmarkt kollabiert ab 50, während man sich anderswo mit Anfang 60 problemlos bewerben kann. Bei den Männern geht das Einkommen in der letzten Berufsphase stark hinauf, die Frauen fallen um die Karrierechancen des letzten Erwerbsdrittels um und verlieren bis zu einem Viertel der Pension. Es ist eine zutiefst reaktionäre Idee, die Ungleichheit in anderen Bereichen über ein herabgesetztes Pensionsalter ausgleichen zu wollen. Es gibt keinen anderen westlichen Wohlfahrtsstaat, der das tut.

Die Furche: Was können Sie sich in punkto Generationengerechtigkeit noch für politische Schritte vorstellen? Intergenerationell wirksame Steuern wie Umweltabgaben?

Meinl-Reisinger: Die Nachhaltigkeit im Steuersystem abzubilden halte ich für essentiell. Generell sollte man bei Staatsausgaben darauf schauen, ob es sich um Zukunftsinvestitionen handelt oder um systembewahrende Maßnahmen? Wir würden letztere kürzen und die Zukunftsinvestitionen in die Höhe schrauben.

Die Furche: Der Seniorenbund fordert genau das Gegenteil: eine Steuerentlastung für Pensionisten.

Marin: Senioren haben unzählige Vorteile, von der Krankenversicherung bis zu den Verkehrstarifen. Es sollte jedoch keinen Pensionistenpreisindex und andere Sonderrechte geben, sondern Unterstützung für alle sozial Schwachen oder Kranken, aber nicht alle Älteren.

Meinl-reisinger: Ein Beispiel: Bevor mein Vater in Pension gegangen ist, hat er als Sechzigjähriger einen reduzierten Ticketpreis für die Wiener Linien bezahlt. Ich hingegen war in Karenz und habe voll gezahlt. Das hat er selbst als unfair betrachtet.

Die Furche: Zum Klischee, ältere Menschen würden leben wie Gott in Frankreich: Die Durchschnittspension in der gesetzlichen Pensionsversicherung lag 2012 bei 1023 Euro. 30 Prozent unterstützen ihre Nachkommen regelmäßig finanziell.

Marin: Die Zahlen der Pensionistenvertreter geben nicht das Haushalts-und Nettoeinkommen wieder. Die Älteren haben eine doppelt so hohe Sparrate wie die Durchschnittsbevölkerung. Ein durchschnittliches Pensionistenehepaar verfügt über mehr als 34.000 Euro netto jährlich. Aber es gibt auch eine beängstigende Altersdiskriminierung. Die Art, wie teils über "die Alten" hergezogen wird, hat rassistischen Charakter: "alte Weiber, alte Säcke". Niemand wagt, "keine Araber" oder "keine Juden" in eine Stellenausschreibung zu schreiben, aber zu sagen "über 50 (oder 35) brauchen Sie sich nicht zu bewerben" ist gang und gäbe.

Meinl-reisinger: Was schon stimmt, ist, dass viele die Jungen freiwillig unterstützen. Aber das zeigt nur, dass in einem funktionierenden privaten Gefüge ausgeglichen wird, was im staatlichen System nicht funktioniert. Wir haben letztes Jahr, um das zu verdeutlichen, die Aktion "Generationenkuchen" gemacht: Wir hatten eine große Torte und eine entsprechend kleinere für die jungen Menschen, um die Schieflage zu verdeutlichen. Was ist passiert? Die Alten haben gesagt, ich kann gar nicht soviel essen - und ein Stück an die Jungen weitergegeben. Marin: Das klappt nur in funktionierenden Familien, wo auch genug Geld da ist. Die junge Generation heute wird ihre Kinder und Enkel nicht mehr so gut unterstützen können. Aus dem aktuellen Pensionsmonitoring geht hervor, dass die Pensionen zu einem beachtlichen Teil nicht gedeckt sind. Das heißt, dass meine Generation den Folgegenerationen im Schnitt 100.000 Euro schuldet. Ein Beamter schuldet den Folgegenerationen 400.000 Euro.

Meinl-reisinger: Von einer Entlastung des Faktors Arbeit würden die Jungen profitieren. Vollzeit zu arbeiten und das Gefühl zu haben, dass davon nichts übrig bleibt, ist ein großes Problem.

Die Furche: Das heimische Pensionsantrittsalter beträgt 58,7 Jahre. Herr Marin, Sie sprechen von einer "Frühpensionskultur als Volkssport der Österreicher". Warum ist hier die Kluft zwischen faktischem und gesetzlichem Antrittsalter so hoch?

Meinl-reisinger: Weil es unendlich viele Möglichkeiten gibt, vor dem gesetzlichen Pensionsantrittsalter in Pension zu gehen. Es ist ja nicht so, dass die Leute bei uns fauler sind. Das System verlockt dazu. Man hat es auch den Unternehmen leicht gemacht, die Leute mittels Golden Handshake zu verabschieden.

Marin: Ein Beispiel: Österreichweit gehen nur noch fünf Prozent der Bauern regulär in die Alterspension, 24 Prozent vorzeitig, und 71 Prozent sind anerkannte Invaliditätspensionisten. Die Landwirtschaftskammer berät die Landwirte gut.

Die Furche: Bisher hat es sich ja oft gar nicht ausgezahlt, weiterzuarbeiten.

Marin: In Zukunft wird der Einkommenszuwachs für jene, die weiterarbeiten, weit höher sein, bei acht bis neun statt bisher einem Prozent jährlich liegen. Gleichzeitig geht die Eingangspension mittlerer Einkommen um rund 25 Prozent hinunter. Man hat etwa 400 Euro weniger mit 62 Jahren und deutlich mehr als bisher, wenn man im Korridor bis 68 arbeitet. Das neue Pensionskonto geht in die richtige Richtung.

Die Furche: Ist das ausreichend? Die durchschnittliche Rentenbezugsdauer hat sich seit 1971 ja fast verdreifacht und steigt weiter an.

Marin: Auch wenn wir jetzt verspätete Reformschritte setzen, die Situation ist wie bei Hase und Igel: Man rennt einem Ziel hinterher, aber ist immer zu langsam und fällt immer weiter zurück. Zu Beginn der Schüssel'schen Reformen lagen wir ein bis zwei Jahre hinter dem OECD-Schnitt zurück, jetzt liegen wir vier bis fünf Jahre zurück.

Die Furche: Das Pensionsmonitoring kommt im Herbst. Was erwarten Sie sich davon?

Meinl-reisinger: Damit kann man Transparenz in die Debatte bringen. Sonst ist man abhängig von Schönfärberei oder Alarmismus. In dieses Eck wurden wir oft gestellt. Aber es war wichtig, dieses Thema in einem Nationalrats-Wahlkampf anzugehen.

Die DiSkutAnten

Beate Meinl-Reisinger

Die Juristin ist Vize-Vorsitzende der NEOS und Wien-Chefin. Seit 2013 sitzt sie im Nationalrat und betätigt sich u. a. in den Ausschüssen für Familie, Justiz, Konsumentenschutz und Kultur. Zuvor war sie im Kabinett von ÖVP-Staatssekretärin Marek tätig.

Bernd Marin

Der Sozialwissenschaftler ist seit 1988 Executive Director des European Centre for Social Welfare Policy and Research in Wien. Marin war Gastprofessor an diversen ausländischen Universitäten und ist Berater internationaler Organisationen und NGOs.

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