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Unsere Volkszählung ist indiskret wie deutsche

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Im nachhinein erscheint auch die österreichische Volkszählung durch das Urteil der deutschen Verfassungsrichter in einem neuen Licht“, meint Kurt Bednar von der „Gesellschaft für Datenschutz und Schutz der Privatsphäre“.

Am 13. April hat der erste Senat des bundesdeutschen , Verfassungsgerichtshofes in Karlsruhe die für 27. April geplante Totalerhebung abgeblasen und bis zur endgültigen Entscheidung über hunderte Verfassungsbeschwerden ausgesetzt. Die Begründung: Die Bürger fühlten sich durch den umfangreichen Fragenkatalog in ihrem Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre verletzt (siehe FURCHE Nr. 16/1983).

Auch die österreichische Volkszählung vom 12. Mai 1981 hatte ein höchstgerichtliches Nachspiel: Am 18. Dezember 1982 gab der Verfassungsgerichtshof einer Beschwerde des Bundeslandes Wien statt und hob das Ergebnis der Volkszählung auf.

Insgesamt waren nach der Volkszählung rund 50.000 Reklamationen beim Statistischen Zentralamt eingebracht worden. Die Mehrzahl der Einsprüche kam von der Bundeshauptstadt Wien. Von den etwa 20.000 Personen, deren Hauptwohnsitz schließlich einer Revision unterzogen wurde, entfielen drei Viertel (genau 15.680 Personen) auf die Bundeshauptstadt.

Grundlage für das „Verrei- hen“ (das heißt, daß die reklamierten Personen der einen Gemeinde ab- und der anderen Gemeinde hinzugerechnet wurden) war die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, daß Wochenendhausbesitzer und Inhaber ständiger Sommerwohnungen ihren ordentlichen Wohnsitz nicht am Ort ihrer Freizeitwohnungen haben.

Der Verfassungsgerichtshof anerkannte zwar das Vorlieben von mehreren ordentlichen Wohnsitzen — was dem einzelnen das Recht einräumt, seinen Hauptwohnsitz nach eigenem Gutdünken zu wählen und zu benennen —, hat dieses Recht aber nur wenigen Ausnahmefällen zugestanden. Denn gleichzeitig erstellten die Verfassungshüter erstmals umfassende Kriterien für die Bestimmung des ordentlichen Wohnsitzes.

Als Hauptkriterium wurde jener Wohnsitz bestimmt, von wo aus der tägliche Weg zur Arbeit und zur Schule angetreten wird. Allein die Tatsache, daß nur ein Viertel aller österreichischen Gemeinden von einer Veränderung des ursprünglichen Volkszäh lungsergebnisses verschont geblieben ist, zeigt, wie brüchig und widerspruchsreich die Definition des Verfassungsgerichtshofes ist.

Dieser „Seelenhandel“ (so Datenschützer Bednar) rund um das Volkszählungsergebnis 1981 hatte allerdings seine handfesten politischen und ökonomischen Hintergründe:

Weil ja die Volkszählung unter anderem auch Basisdaten für die Neuregelung des Finanzausgleiches zwischen Bund, Ländern und Gemeinden liefern sollte, wurde um jeden Bürger verbissen gekämpft. Nicht immer agierten dabei die Behörden zimperlich.

Im Verlauf der Volkszählung kam es denn sowohl in den niederösterreichischen Umlandgemeinden von Wien wie auch in der Bundeshauptstadt selbst zu massiven Einschüchterungsversuchen. Der Verlust der Wohnbauförderung, begünstigter Kanalanschlußgebühren ‘ oder der Rausschmiß aus der Gemeindewohnung wurden angedroht, wenn man nicht bereit wäre, den ordentlichen Wohnsitz entsprechend anzugeben.

Zum anderen bestimmt der or dentliche Wohnsitz die Zusammensetzung der Wählerlisten und damit die bundesländerweise Zuteilung von mehr oder weniger Nationalratsmandaten und Bundesratssitzen.

Eben diese Koppelung einer statistischen Erhebung mit der Erstellung von Wählerlisten und finanztechnischer Zurechnung von Personen läßt die Annahme zu, daß es um die Anonymität bei der Volkszählung in Österreich nicht vidi besser bestellt ist als in der Bundesrepublik. Entscheidend für die Qualität und Brauchbarkeit einer Statistik ist aber nach einer eisernen Regel der Statistikwissenschaft die absolute Anonymität der Befragten.

Auch was den Umfang der österreichischen Volkszählung anlangt, brauchen wir den Vergleich mit Deutschland nicht zu scheuen.

Fragen nach der Religion, der Art des Haushaltes oder dem genauen Bildungsweg bis hin zur Größe der WC-Anlage findet man auf beiden Erhebungsbögen. Auch die Frage, ob man in einer z. B. psychiatrischen Anstalt Bewohner oder Pfleger ist (was in der Bundesrepublik viel Staub aufgewirbelt hat), mußten sich die österreichischen Volkszähler beantworten lassen und aufzeichnen.

Für den aufgeblasenen Fragenkatalog gibt es eine einfache Erklärung: Umfang und Art der Fragen sind durch internationale Vereinbarungen festgelegt und standardisiert, um sie später länderweise vergleichen zu können.

Warum es angesichts vergleichbarer staatlicher Neugier nicht auch in Österreich zu einer massenhaften Volkszählungsboykott-Bewegung gekommen ist, dafür hält Datenschützer Kurt Bednar eine politpsychologische Erklärung parat: Die Österreicher sind in ihrem Verhältnis zu Staat und Bürokratie mehr als andere Europäer stark „obrigkeitsstaatlich“ orientiert. Zudem, so Bednar, habe die Sensibilisierung für Fragen des persönlichen Datenschutzes erst in jüngster Zeit — auch weltweit — über Expertenkreise hinaus an Bedeutung gewonnen.

Daß die Skepsis gegenüber statistischen Erhebungen in der Bevölkerung zunimmt, muß auch der Präsident des österreichischen Statistischen Zentralamtes, Josef Schmidl, zur Kenntnis nehmen: „Da die Nachfrage nach statistischen Daten in allen Bereichen steigt, die Bereitschaft, bei statistischen Erhebungen auf Fragen zu antworten, jedoch sinkt, ist es hoch an der Zeit, die Funktion, aber auch den Wert der Statistik in der breiten Öffentlichkeit besser darzustellen.“

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