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Sogar die Steuer schaut weg

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Die Zahl der auf Erden wandelnden Menschen nähert sich unaufhaltsam der Viermilli^rdengrenze. Irgendwann um die Mitte dieses Jahrzehnts könnte sie überschritten werden, aber der Zeitpunkt wird allenfalls auf einige Monate „genau” ermittelt werden. Immerhin wird die Menschheit gegenwärtig so exakt wie nie zuvor gezählt und dem Internationalen Statistischen Institut, das 1973 in Wien seinen nächsten Weltkongreß abhält, sollte bis dahin nicht nur die größte, sondern auch die genaueste Weltbevölkerungszahl vorliegen, die es je gab.

Ein Ungenauigkeitsfaktor von 1 Prozent würde ein Auf oder Ab von rund 40 Millionen Menschen ausmachen, aber eine Genauigkeit von 1 Prozent ist natürlich vollkommen unerreichbar.

Einer der vielen Gründe dafür ist eine Unbekannte namens China, wo rund ein Füntel der Weltbevölkerung lebt. Die letzten Angaben stammen aus dem Jahr 1953. Da China bisher nicht in die UNO auf- genommen wurde, konnte es nicht einmal eingeladen werden, sich am großen „Weltzensus” des Jahres 1970 zu beteiligen.

Einen Stichtag für die Weltbevölkerungszählung gibt es nicht. Es gibt viele Stichtage. Die teilnehmenden Länder, deren Zahl noch nicht einmal feststeht, veranstalten ihre nationalen Zählungen seit 1969, nur Frankreich prellte vor und zählte 1968. Die UdSSR und die USA haben zusammen mit rund 50 anderen Ländern im Vorjahr gezählt, Österreich zählt auf Grund eines Bundesgeset zes aus dem Jahr 1950 jeweils innerhalb von sechs Monaten vor oder nach der Wende jedes Jahrzehnts.

Der Stichtag (12. Mai 1971) wird Herrn und Frau Österreicher mit 17 Fragen konfrontieren (die Vereinten Nationen haben einen Mindestkatalog von 19 Fragen vorgeschlagen). Jede Frage ist ausdrücklich gesetzlich festgelegt, die Geheimhaltung gesetzlich verbürgt, und es wurde auch eine ausdrückliche Bestimmung, daß die Angaben keinesfalls für Besteuerungszwecke verwendet werden dürfen, in den Gesetzestext aufgenommen. Wer während der Volkszählung im Bundesgebiet anwesend ist, wird befragt. Man rechnet mit 7,4 Millionen Befragten. Wobei auch Angaben über alle vorübergehend aus dem Bundesgebiet abwesenden Personen eingeholt werden.

Schätzungsweise 40.000 Zähler werden je rund 60 Haushalte mit durchschnittlich drei Personen besuchen und der Bevölkerung beim Ausfüllen der Formulare so gut es geht behilflich sein: Die Papiere dürfen ausschließlich mit Bleistift ausgefüllt und keinesfalls geknickt werden, da die Personenblätter, die Haushaltslisten, die Unterlagen für die Häuser- und Wohnungszählung erstmals in elektronischen Lesegeräten verarbeitet werden sollen.

Tote Seelen mitgezählt

Dabei wird auch eine Anzahl „toter Seelen” mitgezählt, aber nicht aus den aus dem Gogolschen Roman bekannten Motiven; es entspricht nun einmal dem Wesen eines Stichtages, nicht nur für alle vor diesem Tag geborenen, sondern auch für alle nach diesem Stichtag gestorbenen Österreicher ein komplettes Personenblatt auszufüllen.

Die Kosten der Volkszählung werden mit zehn Schilling pro Person, insgesamt rund 70 Millionen, veranschlagt. Die vorläufige Bevölkerungszahl sollte um den 10. Juli, das — bis dahin natürlich überholte — Endergebnis des Jahres vorliegen. Und nicht möglicherweise nur zu Änderungen der Wahlzahl führen, sondern auch Gemeinden, deren Einwohnerzahl seit der letzten Volkszählung die Grenze von 20.000 Menschen überschritten hat, der Gebarungskontrolle des Rechnungshofes unterstellen. Das Ergebnis wird aber auch Konsequenzen für die Schulpolitik, für den Finanzausgleich, für die Vergabe der Wohnbauförderungsmittel usw. haben.

Die Verfasser des Fragebogens interessieren sich mehr als je zuvor für die Bildung der Befragten, um der

Bildungsplanung das so dringend benötigte statistische Material zu verschaffen. Auch sollen die Veränderungen, denen die berufliche und soziale Stellung der Frau im letzten Jahrzehnt ausgesetzt war, erfaßt werden. 3,9 Millionen Österreicherinnen stehen heute schätzungsweise 3,4 Millionen Österreicher gegenüber — der Anteil der Geschlechter in den verschiedenen Altersstufen kann bis zur Auswertung der Volkszählung nur grob geschätzt werden. 1961 waren 40 Prozent der berufstätigen Österreicher Frauen — es wird nun möglich sein, Aufschlüsse über Familienstand und Kinderzahl der erwerbstätigen Österreicherinnen oder über Zusammenhänge zwischen der Berufstätigkeit der Frau und der sozialen Stellung des Mannes zu gewinnen.

Übrigens werden die meisten

Arbeiten im Zusammenhang mit der Volkszählung ebenfalls von Frauen durchgeführt. Die ausgefüllten Blätter sollen zunächst von elektronischen Lesegeräten verarbeitet werden, die alle Angaben auf Magnetbänder übertragen, doch werden verschiedene weitere Auswertungen, für die das Statistische Zentralamt 250 zusätzliche weibliche Arbeitskräfte benötigt, so gegen eineinhalb Jahre in Anspruch nehmen.

Gut möglich, daß die Bevölkerung Österreichs in dieser Zeit um 100.000 Menschen wächst.

Indien freilich, das ebenfalls 1971 seine Menschenmassen zählt (oder zu zählen versucht), wird dann, wenn die Auswertung schnell vonstatten geht, beim Vorldegen der endgültigen Bevölkerungszahl schon wieder viel mehr Menschen haben, als es Österreicher gibt.

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