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Randbemerkungen zur Kärntner Volkszählung 1846

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Der Vertreter Jugoslawiens bei der Londoner Konferenz der vier Sonderbeauftragten für den Staatsvertrag mit Österreich, Dr. Joze Vilfan, stützte die Ansprüche Jugoslawiens auf Teile Kärntens mit den Ergebnissen der österreichischen Volkszählung vom Jahre 1846. Ist es an sich schon merkwürdig, daß ein Staat auf eine so weit zurückliegende Periode zurückgreifen muß, um seine Ansprüche einigermaßen zu fundieren, so mutet es noch sonderbarer an, wenn man die tatsächlichen Zählungsergebnisse von 1846 mit der von Dr. Vilfan geschätzten Zahl von angeblich 120.000 bis 130.000 Slowenen in Kärnten vergleicht.

Die Originalakten dieser Volkszählung sind heute nicht mehr erhalten, die Zählungsergebnisse jedoch in verschiedenen, wenige Jahre später erschienenen amtlichen und halbamtlichen Werken veröffentlicht, wobei geringfügige Differenzen aufscheinen. Jedenfalls ist aber die Zahl der damals in Kärnten gezählten oder, richtiger gesagt, geschätzten Slowenen wesentlich geringer als die von Vilfan angegebene Zahl, nämlich 95.544, beziehungsweise 95.735. Aber auch diese Zahl darf nicht zur Gänze für das heutige Kärnten herangezogen werden. Durch den Friedensvertrag von Saint-Ger-main sind drei Gebiete von Kärnten abgetrennt worden: das Mießtal mit Unter-drauburg, die Gemeinde Seeland und das Kanaltal mit Tarvis, wovon die beiden erst-

genannten rein slowenisch sind, das Kanaltal gleichfalls von einem beträchtlichen Prozentsatz Slowenen bewohnt wird. Nach den Ergebnissen der letzten Volkszählungen beträgt die Einwohnerzahl dieser Gebiete über 25.000, die also noch in Abzug gebracht werden ' müssen. Da die Bevölkerungszunahme in Kärnten, von den Städten abgesehen, in den letzten Dezennien teilweise eher einen Rückgang zu verzeichnen hatte, ergibt die Volkszählung von 1846 also im besten Fall rund 70.000 Slowenen und nicht 120.000 bis 130.000. Aber auch diese Zahl ist unverläßlich, schon wegen der Methode der damaligen Volkszählung.

Die älteren österreichischen Volkszählungen wurden nach vorwiegend militärischen Gesichtspunkten, im Interesse der R e k r u-tenaushebung, vorgenommen. Eine Zählung nach N a t i o n a 11 ä t e n erfolgte nicht. Erst durch das in Zusammenhang mit der Romantik neuerwachte Nationalgefühl wurde auch das Interesse für den nationalen Besitzstand der einzelnen Völker Österreichs rege. Bei der Volkszählung des Jahres 1846 wurde daher das erstemal auch die Frage nach der Abstammung erhoben, aber — und das ist für die Beurteilung des Ergebnisses von wesentlicher Bedeutung — nicht auf Grund der Einzelbefragung, sondern lediglich nach der kumulativen Schätzung ganzer Ortschaften

durch die Beamten der politischen und Jurisdiktionsbezirke, ohne daß dabei die Mischungsverhältnisse in zahlengemäß 'exakter Weise ermittelt worden wären. Daß man schon seinerzeit erkannt hatte, wie ungenau die Zählungsergebnisse von 1846 waren, beweist die Tatsache, daß man in der Folge von einer Zählung nach der nationalen Abstammung wieder absah. Erst •1880 wurde neuerdings danach gefragt, und die Ergebnisse dieser und der folgenden Zählungen haben die ungenauen Zahlen von 1846 daher auch entsprechend korrigiert.

Soviel über den Wert der Volkszählung von 1846. Aber auch wenn diese einwandfrei gewesen wäre, geht es nicht an, mit solch veralteten Zahlen zu operieren. Nach dem ersten Weltkrige waren auch die Jugoslawen selbst anderer Meinung hinsichtlich der Auswertung veralteter Zählungen.

In einem zuerst 1920 erschienenen Artikel über Grenzen und Zusammensetzung des jugoslawischen Staates (wiederabgedruckt in den „Aufsätzen und Vorträgen“, Band I, Belgrad 1921) kommt Jovan Cvijic, der bedeutendste, auch im Ausland geschätzte jugoslawische Geograph und seinerzeitige jugoslawische Vertreter bei der Kärntner Abstimmungskommission, auf prinzipielle Grenzziehungsfragen zu sprechen. Angesichts der Tatsache, daß jetzt der jugoslawische Vertreter in London auf die erste, vor mehr als hundert Jahren durchgeführte österreichische Volkszählung zurückgreift, die die ethnischen Verhältnisse berücksichtigt, gewinnen Cvijic' Ausführungen wieder aktuelle Bedeutung. Der Belgrader Gelehrte, eine gewiß maßgebende Persönlichkeit, die auch das heutige Jugoslawien anerkennen dürfte, spricht in dem erwähnten Aufsatz über ethnisch gemischte Gebiete und fährt dann fort:

„Für dies Gebiete gibt es keine unverdächtigen ethnographischen Daten, auf Grund deren man mit Überzeugung saj-o

könnte, wohin diese Gebiete gehören. Die Statistiken sind ungenau, ja sogar falsch, die ethnographischen Karten und ethnographischen Schriften in der Regel chauvinistisch! fast alle ihre Verfasser zählen die Übergangsgebiete zu jener Nation, der sie selbst angehören. In wissenschaftlichen Kreisen schenkt man ihnen keinen Glauben, aber et gibt genug nichtinformierte Kreise, in die sie damit Verwirrung tragen. Ja, die Chauvinisten sind sogar geneigt, den Assimilierungsproue, der in den Übergangsräufnen erfolgte, nicht so berücksichtigen und, indem jie in die Vergangenheit rurjidtgrenfen, rekonstruieren sie sogleich ganz willkürlich einen alten ethnographischen Zustand, der ihnen gerade paßt, und übertragen diesen in die Karte, als ob er noch heute gelten würde. Sie geben noch weiter, indem sie sich auf die Geschichte berufen, atsf einstige Eroberunigen und ,historische Rechte', ohne den heutigen Zustand anzuerkennen.“

Daß Cvijic; hier an die Kärntner Frage denkt, zeigt die Anmerkung z diesen Sätzen:

„Durch solche Daten verleitet, die ich von Dr. Ehrlich (dem seinerzeitigen jugoslawischen Experten für Kärntner Fragen bei der Pariser Friedenskonferenz 1919) erhielt, habe ich das Gebiet der slowenischen Bevölkerung aaa

den Wörthersee in meiner Karte weiter gezogen, als es ihnen zukommt und ebenso auf Grund von Angaben des bunj;wa-zischen Geistlichen Blasko Rajic das Gebiet der Bunjewazen um Baja und nördlich davon. An Ort und Stelle konnte ich mich indes in dem einem wie in dem anderen Falle überzeugen, daß die Angaben insofcrne ungenau sind, als sie auf Grund älterer, heute geänderter ethnographischer Verhältnisse erfolgten.“

Cvijic' denkt d* aa die von ihm entworfene ethnographische Karte und die dazugehörige Broschüre „La frontiere sep-tentrionale des Yougoslaves“, die der Pariser Konferenz vorgelegen hatte.

Und Cviji£ sagt weiter in dem zitierten Artikel:

„Entgegen diesen Anschauungen (der Chauvinisten) ist ausschließlich der heutige ethnographische Zustand von Bedeutung, wenn zwischen Staaten und Völkern nach der ethnographischen Methode die Grenzen gezogen werden. In Westeuropa und Amerika ist man schon lange zur Überzeugung gekommen, daß man sich bei Übergangsgebieten auch nicht nach den besten ethnographischen Karten und Werken richten

kann, da diese nur nach (subjektiven) linguistischen und ethnischen Daten verfaßt sind. An Stelle dessen gilt dort der Grundsatz, daß völkische Fragen in Übergangsgebieten in gerechter Weise einzig und allein nur auf Grund des Volksbewußtseins und des Volkswillens gelöst werden können, das heißt, daß die Völker dorthin zu gehören haben, w o-hin sie es selbst wünschen. Alle anderen Argumente haben keinen praktischen Wert dafür, wie die Staaten untereinander abzugrenzen sind.“

Cvijic hatte immer und jederzeit einen klaren Blick und Sinn für reale Tatsachen und hat dies auch klipp und klar herausgesagt, wenngleich es seinen Landsleuten oft nicht angenehm war. So darf hier zum Abschluß noch ein anderes Wort von ihm stehen:

„Völker, die in der Vergangenheit viel von ihrem nationalen Besitzstand verloren haben, werden habgierig und kennen keine Rücksicht, und sei es auch, daß sie sich damit fremdes Gebiet aneignen, das ihnen und ihrem ganzen Staate in der Zukunft einmal die größten Unannehmlichkeiten bereiten könnte.“ —a—

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