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Wer sind gute Landesbürger?

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Die A. I. D. L. C. M. (Association internationale pour le defense des langues et cultures menacees — Internationale Vereinigung zur Verteidigung bedrohter Sprachen und Kulturen) hielt ihre sechste Generalversammlung in Klagenfurt ab. Daran nahmen auch führende Slowenen aus Kärnten und Italien teil. Wer die Verhältnisse in Kärnten kennt, wird es als sehr bemerkenswert bezeichnen, daß in Klagenfurt eine internationale Tagung stattfindet, auf welcher auch Slowenisch Verhandlungssprache ist. Es sind in Kärnten ja kaum gemeinsame Tagungen deutsch-kärntnerischer und slowenischer Kärntner möglich, wenn man von solchen der österreichischen Liga für Menschenrechte und von der letzten Diözesansynode des Bistums Gurk-Klagenfurt absieht.

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Die A. I. D. L. C. M. (Association internationale pour le defense des langues et cultures menacees — Internationale Vereinigung zur Verteidigung bedrohter Sprachen und Kulturen) hielt ihre sechste Generalversammlung in Klagenfurt ab. Daran nahmen auch führende Slowenen aus Kärnten und Italien teil. Wer die Verhältnisse in Kärnten kennt, wird es als sehr bemerkenswert bezeichnen, daß in Klagenfurt eine internationale Tagung stattfindet, auf welcher auch Slowenisch Verhandlungssprache ist. Es sind in Kärnten ja kaum gemeinsame Tagungen deutsch-kärntnerischer und slowenischer Kärntner möglich, wenn man von solchen der österreichischen Liga für Menschenrechte und von der letzten Diözesansynode des Bistums Gurk-Klagenfurt absieht.

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Auf dem Jahreskongreß der A. I. D. L. C. M. hielt für die Kärntner Landesregierung nicht etwa der Landeshauptmann die Begrüßungsansprache, sondern vielmehr Landesrat Rudolf Gallob. Dieser gehört der FPÖ an, die vielfach in der Ziellinie slowenischer Kritiken steht. Um so bemerkenswerter ist es, daß Landesrat Gallob Gedanken entwickelte, die von jedem Angehörigen einer Sprachminderheit nur unterschrieben werden können und nicht minder auch dem Mehrheitsvolk richtungweisend sein müssen. Er sagte, mit deutlichem Bezug zur Lage in Kärnten, wörtlich: „Wenn es eine Geisteshaltung geben könnte, die es als gegeben erachtet, daß eine Volksgruppe eine zweite Sprache, spricht, ein Brauchtum pflegt, das seit Jahrhunderten überliefert ist und dem gesamten Kulturkonzept des Landes nicht entgegensteht, dann hätte die sogenannte Mehrheit den besten Beweis ihrer Reife und Größe für die ihr übertragene Verantwortung erbracht. Es ist nicht wünschenswert, daß gefühlsbetonte Emotionen die sachliche Diskussion beeinflussen und zu einem von keiner Seite gewünschten Auseinanderleben unserer Mitbürger, die alle gute Landesbürger sind und sich ohne Vorbehalt zur gemeinsamen Heimat bekennen, führen könnte.“

Wenn auch das Wort vom „gesamten Kulturkonzept des Landes“ verschiedene Auslegungen zuläßt und die Slowenen hellhörig machen kann, da ja immer wieder deutschbetonte namhafte kulturelle Organisationen in Kärnten bis hinein ins Kärntner Landesarchiv behaupten, die Kultur in Kärnten sei eine ausschließlich deutsche Kultur, so ist doch die Betonung der „gemeinsamen Heimat“, zu welcher sich olle Landesbürger heute bekennen, geradezu ein Startsignal für ein neues Kärnten-Be-wußtsein, in welchem es nicht mehr Deutsche und „Tschuschen“, nicht mehr „gute“ Windische und heimatfeindliche Nationalslowenen gibt.

Derartige Erkenntnisse verflüchtigten sich in der Vergangenheit mit der Zunahme einer immer härteren Gangart zwischen Mehrheitsvolk und Minderheit, dies so sehr, daß die Slowenen von den offiziellen Veranstaltungen zur 50-Jahr-Feier der Kärntner Volksabstimmung 1970 ausgeschlossen waren oder sich aus Gründen einer ihnen entgegenbrandenden Antipathie seitens des Mehrheitsvolkes bewußt fernhielten.

„Heimattreu“ oder „Nationalslowenisch“?

Die 50-Jahr-Feier der Kärntner Volksabstimmung, die ja der Betonung der 1919/20 erkämpften Erhaltung der Landeseinheit diente, gab erneut Anlaß dazu, das böse Wort von den „heimattreuen“ und den „nationalen“ Slowenen ins Spiel zu bringen, das in der Zwischenkriegszeit, ja im deutschnationalen Jargon schon in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg propagiert wurde, um im Dritten Reich natürlich besonders herausgestellt zu werden. „Heimattreu“, also gute Kärntner, sind danach jene Slowenen, die sich assimilieren lassen, die man heute nicht selten „die Windischen“ nennt, obwohl „windisch“ und „Windische“ früher stets nur ein ausschließlich im deutschkärntnerischen Sprachgebrauch vorhandener Ausdruck für „slowenisch“ und „Slowenen“ war.

Die anderen Slowenen, die ihr Volkstum bewahren wollen, sind nach dieser Version als „Nationalslowenen“ der Heimat untreu, keine Kärntner, keine „guten“ Österreicher. Das Schlagwort von den „heimattreuen“ Slowenen, die heute einengend auch oft als „Windische“ bezeichnet werden, mußte notwendigerweise dazu führen, daß die anderen Slowenen, also die für gewöhnlich als „Nationalslowenen“ bezeichneten, sich diffamiert fühlten. Es muß als erstaunlich bezeichnet werden, daß sich diese Slowenen, die ihr Volk, Volkstum und ihre Sprache erhalten wollen, dennoch keineswegs einem so naheliegenden Irredentismus zuwandten, obwohl es unter ihnen doch solche gibt, die das politische System im heutigen Jugoslawien akzeptieren oder auch gutheißen und daher keinen Anlaß hätten, aus politisch-weltanschaulichen Gründen heute einem Irredentismus zu entsagen. Es dürfte heute nur einen, allerdings nicht maßgeblichen, führenden Slowenen Kärntens geben, der Südkärnten lieber im jugoslawischen denn im österreichischen Staatsverband sähe.

Staatsvertrag erfüllen

Man darf nun aber wirklich nicht übersehen, daß ein modernes Volksgruppenrecht, dessen Gewährung in Artikel 7 des Staatsvertrages von 1955 Österreich auferlegt ist, eine vollkommene Harmonie zwischen Mehrheit und Minderheit in Kärnten (wie im Burgenland, wo Österreich bisher seinen Staatsvertragsverpflichtungen so gut wie gar nicht nachgekommen ist und die dort maßgeblichen Landespolitiker — mit Ausnahme allerdings des derzeitigen Unterrichtsministers — das auch gar nicht wünschen) herzustellen hat. Es kommt, wie der führende Laibacher Volkstheoretiker Drago Druskoviö ausführlich dargetan hat, nicht auf die Erfüllung des Buchstabens, sondern auf den Geist der Minderheitenschutzbestimmungen an.

Dieser Geist kann, auf Kärnten bezogen, das doch eine geistige, kulturelle, wirtschaftliche und geographische Einheit par excellence ist, nur darin erblickt werden, daß eine Vielfalt in der Einheit des Landes erhalten wird, daß alle Kärntner als Kärtner gesehen und behandelt werden, gleichgültig, ob sie nun Deutschkärntner oder Slowenischkärntner sind. Man sollte, was bisher freilich weder auf der einen noch auf der anderen Seite je- gesagt wurde, vom Kärntner Slowenen zum slowenischen Kärntner gelangen. Traditionell wird nur vom Kärntner Slowenen gesprochen. Das besagt, daß, ethisch gesehen, die Zugehörigkeit zum slowenischen Volk im Vordergrund steht. Dieses siedelt aber nicht nur in Jugoslawien (SR Slowenien), sondern auch in Italien (Provinzen Triest, Görz und Udine), ferner auch in Österreich (Südkärnten, ferner in nahezu assimilierten Dörfern im Radkersburger Winkel: Dedenitz/ Dedonci, Zelting/Zetinci, Sicheldorf/ Potrna, Goritz/Slovenska Gorica, Altdörfl/Stara Vasica, Neudörfl/ Nova Vasica, Pridahof/Pridova, Laafeld/Zenkovci, Pfarrdorf/Farovci) und in Ungarn. Das hat Edvard Kar-delj auch zu seinem Buch „Das viergeteilte Slowenien“ veranlaßt.

Man sollte es aber dem slowenischen Kärntner nicht so schwer machen, sich als Kärntner zu fühlen. Man sollte endlich damit aufhören, vorzuschlagen, ja gebieterisch zu fordern, daß eine Minderheitenfeststellung amtlich vorgenommen werde. Bedarf es denn, wenn die Angehörigen beider Völker „in ihrer Heimat“ sind, einer Feststellung, welchem Sprachzweig des Heimatvolkes sie angehören? Wobei eine Minderheitenfeststellung übrigens nicht auf die objektive Sprachzugehörigkeit abzielt und abzielen würde, die sich nach Artikel 7 des Staatsvertrages von 1955 als Hauptschutzobjekt darstellt, sondern auf ein Bekenntnis zu einem Volk, als ob man sich mit rechtsbegründendem Willensakt zu einem Volk bekennen oder über Nacht aus ihm austreten könnte! Das von im Grunde nur zwei, allerdings maßgeblichen Persönlichkeiten der SPÖ am 6. Juli im Nationalrat durchgesetzte Kärntner Ortstafelgesetz — von den Unterzeichnern des diesbezüglichen Initiativantrages wußte keiner, was er da eigentlich unterschrieb und mit einer halben Ausnahme war auch kein Kärntner SPÖ-Abgeordneter darunter — hat die slowenischen Kärntner leider keineswegs den Deutschkärntnern gleichgestellt.

Auch die gemeinsame Erklärung der beiden slowenischen Dachverbände zur beziehungsweise gegen die Gesetzwerdurtg dieses verfassungsrechtlich höchst bedenklichen Gesetzes, hat diese Problematik überhaupt nicht gesehen. Nach dem Gesetz sind die Slowenen nur in 205 kleinen und kleinsten Ortschaften und Fraktionen — fast keinen geschlossenen Gemeinden — existent und „in der Heimat“. Das Gesetz, das aus anderen und durchaus berechtigten Erwägungen auch von den deutschnationalen Organisationen Kärntens abgelehnt wird, die allerdings mit ihrer sinnlosen totalen Briefbombardierung der Nationalratsabgeordneten ihrem Standpunkt schwer geschadet haben, splittert die Kärntner Heimat als Heimat der Deutschkärntner und der Slowenisch-Kärntner in winzige Atome auf und wird erst recht vielen Slowenen nicht das Gefühl geben, in der Heimat aller Kärntner zu Hause zu sein.

Solange in der Gesellschaftswirklichkeit mit dem Wort „Minderheit“ auch die „Minderwertigkeit“, also ein nationaler Hochmut mitschwingt, den der deutsche Österreicher so bitter empfindet, wenn ihm in Italien die Oberdan-Denkmäler und die Gedenkstätten für den Kampf gegen die österreichischen „Barbaren“ in Bozen oder Genua in die Augen springen, kann es nur eine Pflicht für Deutschkärntner und Slowenisch-Kärntner geben: sich als Kärntner in der gemeinsamen Heimat zu empfinden und allem entgegenzuwirken, was dem aus Gründen einer leidvollen Vergangenheit noch entgegensteht.

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