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Ein nach dem Westen orientiertes Volk

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Der von der modernen Arbeitswelt verursachte Bildungshunger der Österreicher dokumentiert sich in einem ständig wachsenden Andrang zu mittleren und höheren Bildungsanstalten. So ist es nicht verwunderlich, daß auch die slowenische Volksgruppe in Kärnten von diesem Bildungssog miterfaßt wurde. Dies um so mehr, als es gilt, ein durch Jahrhunderte bestehendes Bildungsdefizit auszugleichen. Der Priester, eventuell noch einzelne Lehrer, waren in allen eher leidvollen Epochen der Kärntner Slowenen die einzigen Intellektuellen, die daher neben Lehr-und Priesteramt auch die Aufgabe von Volksgruppenpolitikern im weitesten und besten Sinn des Wortes wahrzunehmen hatten. Erst die Gründung der Ersten, vor allem aber die Gründung der Zweiten Republik machte die Schaffung eines eigenen Minderheitenschulkodex für die Restvolksgruppe im Friedensvertrag von Saint Germain und im Staatsvertrag von 1955 notwendig.

Überlegungen für die Gründung eines slowenischen Gymnasiums in Klagenfurt reichen in das Schuljahr 1948/49 zurück. Damals schon hat der damalige Landesschulinspektor Hugo Schwendenwein nach internen Beratungen einen Entwurf für eine slowenische Mittelschule ausgearbeitet. Am 15. Mai 1955 bestimmte der Staatsvertrag im Absatz 2 des Artikels 7: „Sie haben Anspruch auf Elementarunterricht in slowenischer oder kroatischer Sprache und auf

„Sie haben Anspruch ... auf jf| eine' verhältnismäßige Anzahl eigener Mittelschulen ...“

eine verhältnismäßige Anzahl eigener Mittelschulen; in diesem Zusammenhang werden Schullehrpläne überprüft und eine Abteilung der Schulaufsichtsbehörde wird für slowenische und kroatische Schulen errichtet werden.“

Am 1. September 1955 fand die erste Beratung bei Landeshauptmann Ferdinand Wedenig in Anwesenheit des Landesschulinspektors Franz Arnold statt. Schließlich dekretierte am 9. Mai 1957 Unterrichtsminister Heinrich Drimmel das „Slowenische, Realgymnasium in ' Klagenfurt“. Schon am 7. Juni 1957 veröffentlichte die Kärntner Landeszeitung die Ausschreibung der Aufnahmsprüfungen für die drei ersten Klassen in beiden Landessprachen. Die Leitung des neuen slowenischen Gymnasiums wurde Josko Tischler überantwortet. Am Anfang des Schuljahres 1957/58 zählte die Schule 101 Schüler, das Professorenkollegium umfaßte elf Personen. Heute, im Schuljahr 1978/79, besuchen dieses Gymnasium in 21 Klassen 530 Schülerinnen und Schüler, das Professorenkollegium umfaßt 34 Mitglieder.

Die Lehrpläne des Bundesgymnasiums für Slowenen sind so erstellt, daß sie der Bildungs- und Lehraufgabe anderer ähnlicher österreichischer Bildungsinstitutionen entsprechen, nur daß die Lehrinhalte in der slowenischen Muttersprache vermittelt werden. Dieses Spezifikum österreichischer Bildungspolitik bringt die Notwendigkeit eigener in slowenischer Sprache verfaßter Lehrbücher und vor allem im Fach Geschichte die Notwendigkeit eines ergänzenden Lehrplanes mit sich.

So hat sich der für das Bundesgymnasium für Slowenen zuständige Fachinspektor Hofrat Valentin Inzko entschlossen, eine Geschichte der Slowenen bis 1918 zu verfassen. Das Buch liegt seit einigen Wochen auf den Schreibtischen der Schüler und füllt damit eine spürbare Lücke, die den Geschichtslehrer am Bundes-

gymnasium für Slowenen immer wieder zum Improvisieren zwang.

Der Bogen historischer Ereignisse spannt sich von der Darstellung der slawischen Urheimat über die mittelalterliche Staatlichkeit der Alpenslawen bis hin zum Zerfall jenes Reiches, das einst so vielen slawischen Völkern einigendes Band war. Die Angelpunkte der Darstellung sind die Herzogseinsetzung im Frühmittelalter - eine Vignette des ge-schichtsträchtigen Fürstensteins, auf dem durch Jahrhunderte karantani-sche Fürsten in slowenischer Sprache aus der Hand des Bauern Macht erhielten, ziert den Einband - die Not mit Türken und Feudalherren und der aufkeimende Völkerfrühling zur Zeit der Romantik, kulminierend im Jahre 1848.

Erfreulich, daß der Wirtschaftsund Sozialgeschichte annähernd jener Raum gewidmet wird, der für eine für die Gegenwart verfaßte historische Darstellung eine Selbstverständlichkeit sein muß. Den Intentionen eines Lehrbuches, das vor allem an österreichischen Minderheitenschulen Verwendung finden soll -wenngleich man es auch gerne auf dem Bücherbord jedes slowenischen Kärntner Buchliebhabers sehen würde -, entspricht es durchaus, daß

die Gewichte der Darstellung vor allem im Kärntner Raum angesiedelt sind, immer in Synopse mit gesamtslowenischen und gesamteuropäischen Entwicklungen.

Das Buch ist gut gegliedert und daher didaktisch durchaus zeitgemäß, wenngleich man sich, zieht man zum Vergleich entsprechende Lehrbücher der Geschichte österreichischer Schulbuchverlage heran, rein optische Mannigfaltigkeit - Bilder, Diagramme, Skizzen, Mehrfarbendruck, Platz für Zugaben, Bemerkungen -wünschen würde, doch würde dies das ohnedies recht kostspielige Werk angesichts der geringen Auflage unverhältnismäßig verteuern. Man sollte aber für den Fprtsetzungsband (von 1918 bis zur Gegenwart), der in einer völlig neuen Art in Zusammenarbeit zwischen Schulpraktikern, Historikern österreichischer Universitäten und Schülern im Entstehen begriffen ist, doch der didaktischen Komponente der kreativen Selbsttätigkeit des Schülers wesentlich breiteren Raum geben, mehr Dinge in Frage stellen, um so Schülerantworten zu provozieren.

Inzkos Geschichte der Slowenen bis 1918 ist alles in allem ein gediegenes, auch ideologisch-weltanschaulich ausgewogenes Buch. Es berücksichtigt den Beitrag der Kirche im nationalen Bildungsprozeß des Zwei-

millionenvolkes der Slowenen ebenso wie die zeitweise recht starken Abwehrkräfte der ethnischen Gemeinschaft gegen nationale und soziale Unterdrückungsmechanismen.

Daß es natürlich auch in diesem Buch Schönheitsfehler gibt, ist verständlich. Das erste slowenische Druckwerk, Trubars Katechismus, ist nicht 1551 erschienen, wie die ältere Literaturwissenschaft annahm, sondern bereits 1550. Das Literaturverzeichnis zeigt, daß sich der Autor vielleicht etwas zu spärlich deutschsprachiger Autoren bedient hat. So fehlt der für Nationalitätenfragen heute schon klassische Hugelmann.

„Die politische, kulturelle, wirtschaftliche und soziale Vergangenheit der Slowenen ist- die historische

„Die Vergangenheit der Slowenen ist an den mitteleuropäischen Raum gebunden“

Epoche in der Urheimat und die Wanderung aus dem Gebiet hinter den Karpathen in die neue Heimat ausgenommen - vor allem an den

mitteleuropäischen Raum gebunden. Wie sich die Slowenen im Herzen Europas in diesem Raum im Laufe der Geschichte behauptet haben, ist in diesem Lehrbuch bis zum Jahre 1918 dargestellt.“ Dieses Zitat aus dem Vorwort des Autors zu seinem Buch zeigt die historisch-ideologische Position der Abhandlung. Die Slowenen als nach der Mitte und dem Westen Europas orientiertes Volk im einmal harmonischen, dann wieder dissonanten Konzert politischer, kultureller und wirtschaftlicher Instrumente sind Gegenstand der Darstellung.

Wie wach auch bei den Schülern der Sinn für historisches Geschehen ist, zeigt der Eifer, mit dem eine Oberstufenklasse am Bundesgymnasium für Slowenen im Rahmen der ministeriellen Aktion „Schüler forschen: Zeitgeschichte“ Informationen, Materialien, Dokumente und Zeugnisse gesucht hat, um der Aussiedlung der Kärntner Slowenen im Rahmen einer Ausstellung jenen Stellenwert zu geben, der ihr in der gesamtslowenischen Geschichte Kärntens zukommt. Bücher sind für solche Aktionen willkommene Geburtshelfer. Inzkos Buch ist ein solcher Geburtshelfer und mehr als das.

(Der Autor ist Direktor des Bundesgymnasiums für Slowenen in Klagenfurt)

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