Valentin Inzko, Vorsitzender des Rates der Kärntner Slowenen - „Schlussendlich wird es von der Volksgruppe abhängen, ob sie die Kraft aufbringen wird, die nächsten hundert Jahre zu überleben und kreativ zu gestalten.“ - © Leonhard Foeger / Reuters / picturedesk.com

Valentin Inzko: „Klein, aber viel Potenzial“

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Die Situation der Volksgruppe sei heute unvergleichlich besser als früher, sagt Valentin Inzko, Vorsitzender des Rates der Kärntner Slowenen und Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina. Doch Traumata der Vergangenheit belasteten die Gegenwart bis heute.

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Die Situation der Volksgruppe sei heute unvergleichlich besser als früher, sagt Valentin Inzko, Vorsitzender des Rates der Kärntner Slowenen und Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina. Doch Traumata der Vergangenheit belasteten die Gegenwart bis heute.

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DIE FURCHE: Herr Botschafter, was sind Ihre ersten Erinnerungen an den 10. Oktober?

Valentin Inzko: Eher negative. Denn gefeiert wurde in der Volksschule immer der Sieg, und dementsprechend gibt es Verlierer: Das waren die Kärntner Slowenen. Nur sehr zaghaft oder überhaupt nicht wurde erwähnt, dass die slowenischen Stimmen den Ausschlag für den Sieg gegeben haben – rund 12.000 Stimmen. Denn abgestimmt wurde nur im zweisprachigen Gebiet Unterkärntens. Nehmen Sie die Gemeinde Gallizien: Dort sprachen 98 Prozent Slowenisch, aber 71,5 Prozent stimmten für Österreich. In Gallizien leben heute bedauerlicherweise nur mehr ein Prozent Slowenen.

DIE FURCHE: Wie war die Situation bei Ihnen zu Hause?

Inzko: Wir gehen davon aus, dass sich meine Großmutter, die Lehrerin Maria Einspieler, das Zusammenleben aller Slowenen im SHS-Staat (dem 1918 gegründeten Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, Anm.) gewünscht hat; andererseits hat mein an der Gendarmerieschule in Triest ausgebildeter Großvater für Österreich gestimmt. Beide haben ihren Job verloren, die Lehrerin und der Gendarm. Er, nur weil er sie geheiratet hat. Später lebten sie von einer Gnadenpension und einem kleinen Bauernhof.

DIE FURCHE: Vergleicht man das heurige Gedenken mit früheren, so ist es unstrittiger und stiller um den 10. Oktober geworden.

Inzko: Stimmt, die Debatte ist unaufgeregter, der Beitrag der Volksgruppe zur Einheit Kärntens wird anerkannt. Pionierarbeit leistete die Kärntner Kirche. Und zwar in der Zeit des vom Kärntner Heimatdienst angeführten Ortstafelsturms. In den Jahren 1972/73 kam es im Rahmen der Kärntner Diözesansynode zur großen Versöhnung der beiden Volksgruppen – und seit diesem Zeitpunkt ist Slowenisch in der Kirche Kärntens amtlich die zweite Landessprache. Seit damals hat sich das Klima in Kärnten kontinuierlich verbessert. Das wird auch mit der erhofften Anwesenheit des slowenischen Staatspräsidenten Borut Pahor bei den Feierlichkeiten zum Ausdruck kommen.

DIE FURCHE: Viel Harmonie nach mitunter schwierigen 100 Jahren. Gibt es auch etwas, was die Feierstimmung trübt?

Inzko: Einen negativen Beigeschmack gibt es im Zusammenhang mit der Aufstellung von zwei Denkmälern für einen der Organisatoren des Abwehrkampfes, das spätere NSDAP-Mitglied Hans Steinacher. Ein schweres Trauma ist – aufgrund der systematischen Germanisierungsbestrebungen der Heimatverbände – die demografische Situation der Volksgruppe: Von 100.000 sind nur noch rund 10.000 Volksgruppenangehörige vorhanden. Wer weiß, wenn es statistisch so weitergeht, ob wir beim 200. Jahrestag noch dabei sein werden. Das andere Trauma sind die nicht oder nur zögerlich eingehaltenen Versprechungen, wie die Staatsverträge von Saint-Germain (1919) oder jener aus dem Jahre 1955. Auch die Zusagen des Landtages 1920 sind teilweise noch nicht erfüllt. Laut Landesverfassung ist Deutsch die Landessprache. Im Jubiläumsjahr wäre diesbezüglich eine Korrektur am Platz, denn bereits das Staatsgrundgesetz aus 1867 spricht von der Anerkennung der „landesüblichen Sprachen“.

DIE FURCHE: Was erwarten Sie sich von der Politik nach diesem Feiertag?

Inzko: Die Situation ist, mit Ausnahme der Volkszählungsergebnisse, unvergleichlich besser. Nobelpreisträger Peter Handke sprach von seiner Mutter als „reiner Kärntner Slowenin“. Auch auf den Burgtheaterdirektor Martin Kušej sind wir mächtig stolz – oder auf den Kärntner Bischof Josef/Jože Marketz. Und auf die Bachmann-Preisträgerin Maja Haderlap, auf Valentin Oman oder Florjan Lipuš. Auch sonst wächst die Zuversicht. Außerdem ist nun Slowenisch eine EU-Sprache. Erfordernisse gibt es viele, etwa die finanzielle Förderung der Volksgruppe, die bereits 25 Jahre stagniert. Für den Fortbestand wäre ein qualitativ hochwertiges, durchgehend zweisprachiges Bildungsangebot essenziell, von der Krippe und dem Kindergarten hin bis zur Hochschule. Schlussendlich wird es aber von der Volksgruppe selbst abhängen, ob sie die Kraft aufbringen wird, die nächsten hundert Jahre zu überleben und kreativ zu gestalten. Statistisch betrachtet bin ich pessimistisch – aber wenn ich mir das gewaltige intellektuelle Potenzial dieser klein gewordenen Volksgruppe anschaue, bin ich zuversichtlich.

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