Peter Kaiser: „Slowenisch ist heute ein Wert“
Am 10. Oktober 1920 stimmten in Südkärnten 59 Prozent der Bürger für den Verbleib bei Österreich – und gegen einen Wechsel ins Königreich Jugoslawien. Wie prägt dieses Ereignis die Identität? Landeshauptmann Peter Kaiser im Gespräch.
Am 10. Oktober 1920 stimmten in Südkärnten 59 Prozent der Bürger für den Verbleib bei Österreich – und gegen einen Wechsel ins Königreich Jugoslawien. Wie prägt dieses Ereignis die Identität? Landeshauptmann Peter Kaiser im Gespräch.
Der SPÖ-Landeshauptmann plädiert für einen breiten Heimatbegriff, möchte einen möglichst objektiven Blick auch auf die dunklen Seiten der Kärntner Geschichte werfen – und streut seinem FP/BZÖ-Vorgänger Gerhard Dörfler Rosen.
DIE FURCHE: Herr Landeshauptmann, welche frühen Erinnerungen verbinden Sie mit dem Kärntner Feiertag am 10. Oktober?
Peter Kaiser: Schon in meiner Jugendzeit fiel mir auf, dass das keine gemeinsamen Feiern waren, sondern es vor allem um die einseitige Darstellung eines militärischen Sieges ging. Das demokratiepolitische Element ist nie besonders herausgekommen. Dieses Ereignis war ja in seiner Bedeutung etwas Großartiges: Auf Initiative der internationalen Ebene bekam ein Volk die Chance, selber über sein Schicksal und seine Zugehörigkeit zu entscheiden – und hat sich für die junge Republik Österreich entschieden.
DIE FURCHE: Die Kärntner Landesausstellung zum Jubiläum betont, dass sich die slowenische Volksgruppe 1920 mehrheitlich für Österreich ausgesprochen hat. Ist diese Dankbarkeit heute Konsens in Kärnten?
Kaiser: Es ist der Versuch exzellenter Historikerinnen und Historiker einer umfassenden Aufarbeitung der Geschichte, die man zumindest die letzten 90 Jahre nicht so dargestellt hat. Ohne falsche Rücksichtnahmen beleuchten wir auch kritische Phasen unserer Geschichte, von der Vertreibung der Slowenen bis zum Ortstafelsturm 1972. Wir setzen uns mit unserer Geschichte so objektiv wie möglich auseinander, um zu sehen, wie weit wir uns auch positiv entwickelt haben …
DIE FURCHE: … und damit den Heimatbegriff für alle Kärntnerinnen und Kärntner zurückgeholt haben?
Kaiser: Das sehe ich lange schon so. 1989 habe ich als damals jüngster Abgeordneter im Kärntner Landtag dem an diesem Tag zum Landeshauptmann angelobten Jörg Haider widersprochen: Denn Haider hatte Heimat im Sinne des Anschluss-Verklärers Bertl Petrei und des Grenzland-Jahrbuchs der FPÖ dargestellt. Ich habe ihm hingegen den Heimatbegriff eines Peter Turrini, der viel breiter ist, entgegengehalten: Heimat ist überall dort, wo ich mich wohlfühle, wo ich mich mit Arbeit vergegenständliche. Also Heimat, die nicht primär mit der Scholle, sondern mit Erlebtem zu tun hat. So wie ich generell der Meinung bin, dass der Heimatbegriff nicht politisch zu sehen ist.
DIE FURCHE: „Ein Land sagt Ja“ lautet das Motto der heurigen mobilen Jubiläums Landesausstellung (vgl. rechts). Entspricht das dem heutigen Kärntner Bewusstsein – ist die frühere Zerrissenheit überwunden?
Kaiser: Es ist ein gemeinsames Bekenntnis, wie es im Untertitel prägnant heißt: „Eine Zeitreise in Perspektiven“. Der Blick nach vorne ist uns wesentlich. Mir geht es darum, dass wir unsere Chancen gemeinsam nützen, dass wir unsere auch durch die Zweisprachigkeit vorhandene Vielfalt einsetzen.
DIE FURCHE: Sie sind ressortmäßig für die Volksgruppen zuständig – wo gibt es Verbesserungsbedarf?
Kaiser: Mein besonderes Augenmerk geht in Richtung von Verbesserungen im Bereich der Elementarpädagogik, weil Spracherwerb und Sprachanwendung in den ersten Bildungsjahren am besten zu verankern ist. Entgegen allen anderen Trends nehmen die Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht zu. Die steigende Bereitschaft, auch außerhalb des Minderheitenschulwesens eine zweite Landessprache zu lernen, heißt für mich, dass die Sprache nicht mehr als Stigma, sondern als zusätzlicher Wert gesehen wird. Das war vor 20, 30 Jahren noch nicht der Fall. Und noch etwas möchte ich an der Stelle festhalten, weil es mir ein Anliegen ist.
DIE FURCHE: Nämlich?
Kaiser: Ich bin meinem Vorgänger im Amt, Landeshauptmann Gerhard Dörfler, unendlich dankbar, dass er die historische Chance nützte und die wichtigste Frage, jene der Ortstafeln, einer Lösung zuführte.
DIE FURCHE: Solche Fairness ist selten …
Kaiser: Das ist 2010 bzw. 2011 nur in der Konstellation mit einem freiheitlichen Landeshauptmann gegangen. Jemand aus der Sozialdemokratie hätte das nicht zustande gebracht, es wäre automatisch zu Abwehrreaktionen von nationaler Seite gekommen. Wir haben damals viele Bürgermeister überzeugen müssen – auch aus der Sozialdemokratie. Das war kein leichtes Unterfangen. Aber das gelang mir auch deswegen, weil sie niemanden hatten, mit dem siesich zusammentun konnten. Sie wären isoliert gewesen. Dieses Momentum zu nützen war eine großartige Leistung. Das war die Basis für all das, was sich in den Jahren seither sehr positiv entwickelt hat.
Der Autor ist freier Journalist.
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