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Unerfüllter Artikel 7

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Als schon vor längerem, und dann im Laufe des Jahres 1974, besonders anläßlich der von der Regierung der Provinz Triest im Juli durchgeführten monströsen „Internationalen Konferenzen über die Minderheiten” deutlich wurde, daß die Kärntner Minderheitenfrage vor internationale Gremien gebracht, jedenfalls aber in irgendeiner Weise durch Jugoslawien oder einen mehr oder minder für Jugoslawien handelnden dritten Staat (in der UNESCO war dies dann Kuwait) internationalisiert werden würde, zeigte sich da und dort Unbehagen. Dieses Unbehagen wurde vor allem im Bereich der österreichischen Bundesregierung, zumindest der mit diesen Problemen befaßten hohen Beamtenschaft deutlich, ebenso aber auch in Kärnten bei der deutsch-kärntneri- schen Mehrheit, soweit sie nicht deutschnational oder österreichisch- nationalistisch ist (welch letzteres es nämlich, jedenfalls in der ÖVP, auch gibt). Die antislowenisohen natio- listischen Kreise in Kärnten, deren Exponenten man zwar immer wieder da und dort auf internationalen Minderheitentagungen aller Art begegnet, die aber vom internationalen Minderheitenrech’t nicht das geringste verstehen (dies schon mangels Kenntnis fremder Sprachen) und oft genug auch nichts verstehen wollen, waren natürlich von der drohenden „Intemationalisie- rung” nicht weiter beeindruckt, da sie solchen Aktionen keinerlei Bedeutung belmessen und überdies glauben, Jugoslawien sei äim UNO- Welttheater völlig isoliert und könne Österreich nichts anhaben. Daß das kleine Österreich in der Südtirolfrage schließlich doch gegen das bei der UNO ungleich besser verankerte Italien sich durchsetzte, wird hiebei vergessen. Überhaupt hat man in Kärnten ja wegen der antislowenischen Grundhaltung breiter Kreise für Südtirol und die Südtiroler Anliegen nie viel übrig gehabt — mit Ausnahme gewiß des Abgeordneten Scrinzi — und auch in der Blütezeit des Bergisel-Buodes war es nicht möglich, in Kärnten einen Landesverband aufzubauen, weil immer die Angst bestand, wenn man für die Südtiroler eintrete, müsse man auch für die slowenische Minderheit in Kärnten Aufgeschlossenheit zeigen.

Nun ist die Kärntner Slowenenfrage durch Jugoslawien internationalisiert worden, und zwar durch die Vebalnote Nr. 450’985 vom Oktober 1974.

Gewiß mutet manches an der jugoslawischen Note kurios an und entbehrt auoh der Grundlage. So wird in Punkt 4 die Erfüllung des Artikels 7 des Staatsvertrages (Minderheitenschutzartikel) hinsichtlich der slowenischen Minderheit in der Steiermark urgiert. Zwar ist im Staatsvertrag von einer solchen Minderheit die Rede, aber kein Mensch weiß, wie die Steiermark, wo die bodenständigen Slowenen in den Bezirken Leibnitz und Badkersburg schon 1955 weniger als 1000 Personen waren und von den bodenständigen Slowenen bis heute keine Minderheitenrechte reklamiert worden sind, überhaupt in den Staats- vertragstext geraten ist.

Es geht auoh nicht an, daß Jugoslawien in seiner Note gegen Österreich unwissenschaftliche und auch im gehobenen diplomatischen Verkehr nicht übliche Ausdrücke gebraucht — wie „Neonazismus” oder „nazistische Kriegsverbrecher”. Der Ausdruck „nazistisch” und „Nazismus” gehört zum kommunistischen Jargon und ist sicherlich fehl am Platz, auch wenn damit nur gewisse deutschnationale Organisationen in Kärnten apostrophiert werden.

Es ist auch sicher unberechtigt, wenn sozusagen gleich in einem Aufwaschen Österreich vorgeworfen wird, daß es antijugoslawische Umtriebe „faschistischer” Ustasdha- Gruppen dulde, ja geradezu begünstige. Bei diesen Gruppen handelt es sich oft genug um jugoslawische Staatsbürger, auch katholische Priester, die hier Gastarbeiter betreuen und aus ihrem Bekenntnis zum kroatischen Volkstum und ihrer Ablehnung der serbischen „Herrschaft” über die Kroaten in Jugoslawien kein Hehl machen. In einem freien Land wie Österreich ist die Gesinnung der Angehörigen unterdrückter Völker aber frei. Man braucht nur an die kurdischen Studenten in Wien zu denken. Soweit solche Gruppen die außenpolitischen Beziehungen stören können, werden sie ohnehin verboten.

Aber ansonsten kann man nicht sagen, daß die jugoslawische Note im Kern unwahr sei. Ganz im Gegenteil, nahezu alles, was an sachlichen Vorwürfen an die Adresse Österreichs gerichtet ist, trifft zu. Österreich hat den Artikel 7 das Staatsvertrages. im Bur- genland überhaupt nicht und in Kärnten zu erheblichem Teil nicht erfüllt, wobei für das Burgenland noch die Bitternis dazukommt, daß die österreichischen Massenmedien eine Gruppe von Kroaten, die aus religiösen und parteipolitischen Gründen glauben, sich nicht mehr als Kroaten deklarieren zu können, als die Sprecher der Minderheit anerkennt, und für Käriten von sehr maßgebender Seite sogar verlangt wurde, man solle das Slowenische Gymnasium wieder schließen, da es staatsvertragswidrig sei.

Man hätte nun erwarten können und sollen, daß die österreichische Antwortnote zwar jene jugoslawischen Vorwürfe zurückweist, die unberechtigt oder politischer Jargon sind, im übrigen aber zugesteht, daß der Artikel 7 weithin noch der Erfüllung harrt. Statt dessen gibt Österreich mit Ausnahme einer Verklausulierten Formulierung zur Kärntner OrtsitafeJfrage und zur Nichtrückgabe von aus jugoslawischen Archiven stammendem Archivmaterial überhaupt nichts zu. Es wird zum Beispiel behauptet, daß auf dem Gebiet der Gerichtssprache Artikel 7 erfüllt sei, obwohl im Burgenland die Minderheitssprache vor den Gerichten überhaupt nicht zugelassen ist, in Kärnten die slowenische .aber nur in 3/ von 9 gemischtsprachigen Gerichtsbezirken und auch dies in einer Weise, daß kein Slowene ernstlich davon Gebrauch machen kann. Es wird von einer Verwirklichung der Doppelsprachig- keit im Bereich der Verwaltungsamtssprache gesprochen, obwohl im Burgeraland das Kroatische überhaupt nicht zugelassen ist und in Kärnten das Slowenische nur durch interne Diensterläase, die übrigens zehn Jahre lang geheimgehalten wurden und auch heute nirgendwo promulgiert und im übrigen völlig unzureichend sind. Österreich hat mit seiner Antwortnote, die sich auf der Linie der amtlichen österreichischen Erklärungen zur Kärntner Frage vor der UNO (und UNESCO) und der Erklärungen österreichischer Vertreter auf dem UNO-Semi- nar über den Minderheitenschutz 1974 und der Trichter Internationalen, Konferenz über die Minderheiten hält, den wahrheitswidrigen Anschein zu erwecken versucht, als sei Artikel 7 voll erfüllt und wisse man nicht, was da noch offen sei.

Mit jedenfalls teilweiser Berechtigung hat das jugoslawische Außenministerium auf’ diese Note am 28. Dezember 1974 geantwortet, daß Österreich einen „negativen Herantritt” an die Probleme erkennen lasse. Diese Replik ist freilich schärfer gehalten als notwendig und strapaziert zu Unrecht den Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg. Sie behauptet ebenso zu Unrecht, Österreich sei beim Abschluß des Staatsvertrages von Jugoslawien unterstützt worden. Wer die jugoslawischen Memoranden von 1945 und der’ Folgejahre ansieht, wird immer nur feststellen können, daß Jugoslawien halb Kärnten und weite Teile der Steiermark annektieren und Österreich damit lebensunfähig machen wollte und nur durch die UdSSR gezwungen wurde, auf seine Gebietsansprüche zu verzichten. Richtig ist freilich, daß die Alliierten den Artikel 7 des Staaftsvertrages (unter anderen) als Preis für die Wiedererlangung der Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs bestimmten. Österreich behauptet heute, diesen Preis schon gezahlt zu haben, kann dafür aber keinen Nachweis erbringen.

Der auffälligen Verschlechterung des außenpolitischen Klimas, in die Österreich geraten ist und immer mehr geraten dürfte, liegen echte österreichische Versäumnisse zugrunde. Die Studienkommission („Ortstafelkommission”) und die verschiedenen Kontaktkomitees können keine Abhilfe sohaffen, solange Österreich nicht die Voraussetzungen dafür schafft, daß die volksbewußten Slowenen und Kroaten sich darin als gleichberechtigte Österreicher unter heimat- treuen Österreichern fühlen können. Mit der Einrichtung dieser Kommissionen und Komitees wurde gewiß viel Nützliches geschaffen und das Fernbleiben der Slowenen von der Ortstafelkommission war ein Fehler, der kaum noch gutzumachen ist. Aber da man doch weiß, was die Minderheiten in Österreich für Sorgen haben — die Sorge um das Überleben nämlich, daß durch gezielte Assimilation gefährdet ist — müßte es doch möglich sein, von der These „Artikel 7 ist voll erfüllt, ja übererfüllt, was wollt Ihr denn noch!” abzurücken. Dazu müßten freilich auch die Massenmedien, vor allem die österreichischen Zeitungen, beitragen. Aber leider gibt es heute etwa in Kärnten keine einzige Tageszeitung mehr, die den Mut hat, irgend einen bescheidenen Wunsch der Slowenen überhaupt noch zu unterstützen.

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