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Die verschwundenen Windischen

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Kürzlich legte der Kärntner Landeshauptmann die Ergebnisse der Volkszählung von 1971 dar, darunter das besonders interessierende Zahlenmaterial jener 50 Gemeinden, in welchen es zweisprachige Volksschulen gibt, die man also als deutlich gekennzeichnetes „gemischtsprachiges Gebiet“ betrachten kann. Die Vorlage war mit großer Spannung erwartet worden, konnte man sich von ihr doch einen Fingerzeig für die Antwort auf die Frage versprechen, wo denn ein „Anspruch auf Erfüllung“ des Artikels 7 des Staatsvertrages bestehe.

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Kürzlich legte der Kärntner Landeshauptmann die Ergebnisse der Volkszählung von 1971 dar, darunter das besonders interessierende Zahlenmaterial jener 50 Gemeinden, in welchen es zweisprachige Volksschulen gibt, die man also als deutlich gekennzeichnetes „gemischtsprachiges Gebiet“ betrachten kann. Die Vorlage war mit großer Spannung erwartet worden, konnte man sich von ihr doch einen Fingerzeig für die Antwort auf die Frage versprechen, wo denn ein „Anspruch auf Erfüllung“ des Artikels 7 des Staatsvertrages bestehe.

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Wie schon bei allen Volkszählungen zuvor in diesem Gebiet, wurde auch 1971 versucht, durch eine verwirrende Anzahl von „Sprachkombinationen eine Art „Minderheitenfeststellung vorzunehmen. Gefragt wurde nach den „Umgangssprachen: Deutsch-Windisch,Windisch-

Deutsch, Windisch; Deutsch-Slowenisch, Slowenisch-Deutsch, Slowenisch und Deutsch und sonstige“. Erfaßt wurden von dieser Fragestellung 110.712 Landesbewohner (1961, bei der zuletzt vorangegangenen Volkszählung, waren es 103.997). Dabei ergab sich gegenüber 1961 folgender „Sprachbestand“:

Jene, die „Slowenisch“ in irgendeiner Kombination als „Umgangssprache“ angegeben hatten, stiegen von 13.857 (1961) auf 15.615 (1971) oder von 13,3 auf 14,1 Prozent. Ein Zuwachs um 1758 Personen oder 0,8 Prozent, der selbst dann die Mär von der „Unterwanderung“ entschieden widerlegt, wenn man berücksichtigt, daß es Kärntner Slowenen, wenn auch in geringerer Anzahl, auch außerhalb dieses „kritischen Gebietes“ gibt.

Bei der „Sprachgruppe der Windischen“ (in irgendeiner Kombination) ergab sich hingegen ein wahrer „Erdrutsch“. Waren es 1961 noch 11.357 oder 10,9 Prozent, so sind es 1971 nur noch 3914 oder 3,5 Prozent. Ein unaufhaltsamer Prozeß, erinnert man sich daran, daß es 1951 noch 19.502 oder 19,5 Prozent gewesen sind.

Jene, die als „Umgangssprache Deutsch und sonstige“ (ohne „Windisch“ oder „Slowenisch“) angegeben hatten, vermehrten sich in diesem Gebiete zwischen 1961 und 1971 von 78.783 (75,8 Prozent) auf 91.183 (82,4 Prozent), was es wiederum schwer macht, von „bedrohtem Volkstum“ zu reden.

Freilich ist zu berücksichtigen, daß es ebenso wie Kärntner Slowenen auch Kärntner Windische außerhalb des „kritischen Gebietes“ gibt, aber auch dort zeigt das nun vorliegende Zahlenmaterial die gleiche Tendenz. Was heißt das nun alles?

Zunächst, daß die Kärntner Slowenen eine bescheidene, die deutschsprachigen Kärntner eine viel stärkere Aufwärtsentwicklung genommen haben, während die Kärntner Windischen von der Bildfläche nahezu verschwanden. Sieht man vom realen Bevölkerungszuwachs ab, so ergibt sich, daß diese Windischen offenbar zum überwiegenden Teil in der „Deutschen Umgangssprache“ und zu einem sehr geringen Teil in der „Umgangssprache Slowenisch“ aufgegangen sind. Sie, die nach dem Urteil des bedeutenden und international anerkannten Wissenschaftlers Prof. Issotschenko kein „eigenes“, sondern ein „schwebendes Volkstum“ bilden, sind der Polarisation gewissermaßen auf eigenen Wunsch zum Opfer gefallen. Sie haben sich ähnlich verhalten wie 1920 bei der Kärntner Volksabstimmung, nur mit vielleicht noch größerer und unheimlicherer Konsequenz, weil sie eine ansonsten hartnäckig bewahrte Eigenheit unter den Aspekten eines aufglimmenden Volkstumskampfes preisgeben, was kein schönes, die „Umwelt“ nicht auszeichnendes Ergebnis von allem ist, was da geschah und geschieht. Immerhin: Sie, die Windischer.dürften im Problemkreis keine bestimmende Rolle mehr spielen. Die Berufung eines „Sprechers der Windischen“ in die „Ortstafelkommission“, wenn auch nicht ausdrücklich, sondern augenzwinkernd vorgenommen, könnte sich ab nun als überflüssig erweisen.

Noch etwas ist auffällig und sollte in der öffentlichen Diskussion nicht untergehen: das deutschsprachige Element erwies sich als mehr oder weniger „einsprachig“, weil ja der Zusatz („und sonstige“) nicht viel Sinn hat. Unter den Kärntner Slowenen wiederum überwiegen jene, die „Slowenisch“ in irgendeiner Kombination mit „Deutsch“ brachten, die sich also dem Sinne nach als „zweisprachiges Landeselement“ fühlen. Diese Betrachtungsweise gilt wohl auch dann, wenn man bedenkt, daß da eine „selbstentäußernde Ehrlichkeit“ waltet. Denn mit der Umgangssprache „Slowenisch“ allein wüßten ja die Kärntner Slowenen in der sozialen, politischen, kulturellen und ökonomischen Umwelt, in der sie leben, nicht viel anzufangen. Jene wären daher schlecht beraten und „undankbar“ dazu, die daraus folgern wollten, es gäbe in Kärnten „fast keine wirklichen Slowenen“, denn auch die Kärntner Slowenen seien eine „Art slowenisch-deutsches Mischvolk“. Solchen Trugschlüssen sind viele Jahre lang — und noch dazu bewußt — jene nationalistischen Italiener „aufgesessen“, die aus ganz ähnlichen „Sprachbekenntnissen“ der Südtiroler deren zumindest teilweise schon gegebene „Italianität“ ableiten wollten ...

Für den „Ortstafelstreit“ ergeben sich aus der Volkszählung 1971 ebenfalls sehr interessante Aspekte. In sechs von 36 Gemeinden würde die gesetzliche Voraussetzung für zweisprachige Ortstafeln (20 und mehr Prozent Kärntner Slowenen) nicht mehr gegeben sein, dafür würden zwei Gemeinden, die bisher nicht unter diese Bestimmung gefallen sind, hinzukommen. Eine viel bedeutendere Umschichtung ergibt sich aber bei den Ortschaften (den Untergliederungen der Gemeinden). 54 würden die 20-Prozent-Grenze nicht mehr erreichen und fielen deshalb aus dem „Ortstafelgesetz“ in der bisherigen Form heraus. 65 Ortschaften kämen hingegen neu hinzu, womit sich die Gesamtzahl aller betroffenen Ortschaften von bisher 205 auf nunmehr 216 erhöhen würde!

Daraus kann gefolgert werden, daß es wahrscheinlich klüger gewesen wäre, mit der Festlegung des betroffenen Gebietes zuzuwarten, bis die Ergebnisse der Volkszählung vorlagen; man hätte ja sehr gut ein Rahmengesetz beschließen können, dessen „Ausfüllung“ später vorzunehmen gewesen wäre. Anderseits müssen sich nun wohl auch der „Heimatdienst“ und jene rund 80.000 Unterzeichner der von der FPÖ organisierten „Protestlisten“ sagen, daß gegen das vorliegende „harte Zahlenmaterial“ nichts Vernünftiges unternommen werden kann.

In der „Ortstafelkommission“ will man mittlerweile, und von diesem Zahlenmaterial sichtlich nicht unbeeindruckt, herausgefunden haben, daß „auch Volkszählungen das Kriterium einer Minderheitenfeststellung erfüllen können, wenn sie auch nicht das einzige Kriterium sind“. Das hat einiges für sich. Der Artikel 7 spricht freilich nicht von solchen „lokalen Feststellungen“, sondern weitläufiger von einem „gemischtsprachigen Gebiet“, freilich, ohne zu definieren, was darunter zu verstehen sein soll. Und hier setzt die Politik der Vertreter der Kärntner Slowenen ein: Sie bestehen, zumindest bis jetzt, auf der „Gebietslösung“ und nicht auf einer, die sich bloß auf einzelne Ortschaften -und Gemeinden bezieht. Bis zu einem Kompromiß — und nur ein Kompromiß ist in solchen Fragen denkbar und sinnvoll — scheint sich also noch ein langer Weg zu dehnen. Doch müßte es nun leichter fallen, abzugrenzen, worüber man wirklich spricht.

Am Ende aller Überlegungen müßte freilich die Einsicht stehen, daß sich Volkstumsprobleme nicht quantifizieren, sondern nur qualifizieren lassen, will man sie aufrecht, gerecht und vor. allem dauerhafter lösen. Denn hierbei, wie kaum in einer anderen Frage, hat stets auch „die andere Seite“ (= die Minderheit) recht und vor allem: ihr Recht!

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