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Völker im Volke Österreichs

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Da nach herkömmlichen minderheitenrechtlichen Grundsätzen der Völkerbundära nur jene Minderheiten Anspruch auf besondere Schutzbestimmungen haben, die eine „quantite considerable“, also an Zahl beachtlich sind, spielt die Minderheitenstatistik nahezu überall eine große Rolle. Im allgemeinen hat man nach den Minderheitenschutzverträgen der Völkerbundära als maßgebend einen Hundertsatz von 20 Prozent, nur in sehr seltenen Fällen von 30 Prozent angesehen, während für das Kärntner Gerichtssprachengesetz von 10 Prozent ausgegangen wurde und in Finnland 7 beziehungsweise 5 Prozent als ausreichend für die Schaffung eines Minderheitenschutzes gelten24. Dieses reine Zahlendenken birgt sehr große Gefahren für die Minderheit in sich, vor allem dann, wenn der Prozentsatz knapp um die gesetzliche Mindestgrenze herum oszilliert. Anderseits können reine Volkstumssplitter keine Förderungsmaßnahmen erwarten. Es wird daher wohl stets von Fall zu Fall und von Land zu Land nach verschiedenen Regelungen gesucht werden müssen.

Im Minderheitenrecht gibt es keine generellen Patentlösungen. Für den besonderen Fall Kärntens wird man wohl zu einem kombinierten System greifen müssen. Einerseits wird ein Gebiet, nämlich das sogenannte „gemischtsprachige Gebiet“ Südkärntens, als historischer Lebensraum („angestammte Heimat“) deutschsprachiger und slowenischer Kärntner den äußeren Rahmen abzugeben haben. Er ist nahezu gleich jenem Gebiet, in welchem 1961 eine Sprachzählung durchgeführt wurde (ganzer politischer Bezirk Völkermarkt und Teile der politischen Bezirke Villach-Land, Klagenfurt-Land und Hermagor). Dieses Gebiet deckt sich nicht völlig mit dem Sprachzählgebiet der Zählung 1939“. Für diese Region wird man wohl einen Minderheitenschutz verlangen können, solange darin insgesamt noch mehr als 5 Prozent der slawischen Sprachgruppe angehören. Für die einzelnen Gerichtsbezirke mag die Grenze mit 10 Prozent angemessen sein, während für die Gemeinden auch ein höherer Prozentsatz (etwa 20 Prozent) in Betracht kommen mag. Insoweit das österreichische Nationalitätenrecht Sprachenrecht ist — und das ist weitgehend der Fall, besonders im Bereiche der Gerichtssprache und der (bisher noch nicht geregelten) Verwaltungs-spraohe —, kommt für die Hundertsatzermittlung nur eine Addition der Volkszählungsergebnisse aller

Varianten, in denen „windisch“ oder „slowenisch“ vorkommt, in Betracht. Dies ist die logische Schlußfolgerung aus der Tatsache, daß es eine windische Sprache ebensowenig gibt wie ein windisches Volk.

Doppelsprachig wie im Burgenland

Man wird also überall dort, wo es auf die Ermittlung der Angehörigen der slowenischen Sprachminderheit ankommt, „windisch“ mit „slowenisch“ gleichzusetzen haben. Für

Kärnten gilt so gut wie für das Burpenland, daß jeder, der sich in welcher Variante auch immer als der Umgangssprache nach doppelsprachig bezeichnet, auch in der Variante „deutsch/slowenisch“ oder deutsch/ windisch“ der Sprachminderheit zuzurechnen ist, denn niemand würde sich wenigstens in der Variante der Doppelsprachigkeit als zur Sprachminderheit gehörig bezeichnen, wenn er ihr nicht tatsächlich angehörte. Dazu ist der Sog und das Sozialprestige der deutscher Sprache ja viel zu groß. Ob unc inwieweit mit diesem Sprachzugehö-rigkeitsbekenntnis auch ein Bekenntnis zum slowenischen Volk verbunden ist, ist eine andere Frage Dort kann das Sprachbekenntni: „windisch“ ohne weiteres als Absagt an die Zugehörigkeit zum (nationalen) Slowenentum gemeint sein.

Wer die Verhältnisse in den einzelnen Dörfern kennt, wird allerdings diesbezüglich sehr mißtrauisch sein, wenn man für Gemeinden, wi< Zell (Karawanken), Moos (heute be Bleiburg), Vellach oder Oberdörfl eine relativ große Zahl von Personen ausgewiesen findet, die nichi „slowenisch“, sondern „windisch“ ir irgendeiner Variante als Umgangssprache angegeben haben. Denr diese Gemeinden sind auch heut&#171; noch unzweifelhaft so gut wie reir slowenisch im volksbewußten (etwa; schief und atavistisch gerne so ge> nannten „nationalen'') Sinne des Wortes.

Sprachzugehörigkeit

In der Gesamtzahl aller Zugehörigen zur slowenischen Sprachminderheit sind auch 19 Personen enthalten, die „slowenisch/windisch“ odei „windisch/slowenisoh“ angaber (VZ 1961). Diese äußerst geringe Zah zeigt, daß die Befragten zwischer „Windisch“ und „Slowenisch“ keiner Unterschied machen, während si< „Windisch“ oder „Slowenisch“ all vom Deutschen klar unterschieder ansehen.

Nun wird auf betont deutschkärnt-nerischer Seite28 erklärt, daß zui slowenischen Minderheit nach diesen Volkszählungsergebnissen 1961 nur 10.524 Personen gehörten, nämlich jene, die slowenisch oder die „slowenisch/deutsch“ angaben. Das wären dann 9,38 Prozent der Bevölkerung des Sprachzählgebietes. (Geht man von den österreichischen Staatsbürgern des Gebietes aus, nämlich 109.438 insgesamt, davon 24.911 slawisch Sprechende insgesamt, ergeben sich nur minimalste Änderungen der Prozentsätze, womit übrigens auch die manchmal geäußerte Behauptung widerlegt ist, in Kärnten gebe es eine größere Anzahl Slowenen mit jugoslawischer Staatsangehörigkeit. Bei dieser antislowenischen Argumentation werden alle jene, die „deutsch“ in irgendeiner Kombination an die erste Stelle schrieben, sowie alle mit der Kombination „windisch“ oder mit nur windischer Sprachzugehörigkeit dem deutschen Volkstum in Kärnten zugerechnet.

Diese Auffassung entspringt dem Trugschluß, daß Volks- und Sprachzugehörigkeit dasselbe sei. In Wirklichkeit kann jemand, der in welcher Variante auch immer sich zur bodenständigen, heimischen slowenischen Sprache zählt, sei es „slowenisch“ im Sinne der Hochsprache, sei es zu „windisch“ im Sinne des Kärntner slowenischen Dialekts, unmöglich einer anderen als der slowenischen Sprachgruppe beziehungsweise

Sprachminderheit angehören. Angesichts des geminderten Sozialprestiges, das in einem solchen Bekenntnis liegt, würde sich ähnlich wie bei den Wiener Tschechen oder den Burgenlandkroaten (oder den Elsässern, den Triestiner Slowenen, den Italienern in der heutigen SR Kroatien, den Deutschen in Arlon usw.) jeder als nur dem Mehrheitssprachvolk zugehörig bezeichnen, wenn nicht die objektive Tatsache der Zugehörigkeit zu einer Sprachminderheit das eben ausschlösse.

Ob nun jene, die nicht „slowenisch“ voranstellten, vor allem jene, die „windisch“ in irgendeiner Variante angaben, sich damit volks-tumsmäßig vom Slowenentum distanzierten, ist eine andere Frage. Viele von ihnen gehören dann vielleicht wirklich nicht oder nicht mehr dem slowenischen Volke an. Die Volkszählungen und das österreichische Minderheitenrecht stellen aber primär auf die Sprachzugehörigkeit ab, und danach sind in Kärnten 1961 eben 25.472 Sprachslowenen gezählt worden27. Diese Zahl ist erheblich geringer als 1951, dies trotz der minderheitenfreundlicheren Fragestellung. Man wird in dem Rückgang einen deutlichen Eindeutschungsprozeß zu erblicken haben, vor allem in Fremdenverkehrsgemeinden am Rande des gemischtsprachigen Gebietes, zum Beispiel in Velden am Wörther See, St. Martin am Techeisberg, oder in Gemeinden im unmittelbaren Einzugsgebiet rein deutschsprachiger größerer Städte, wie zum Beispiel Ebenthal. Aus eben diesem Grund dürfte eine Sprachzählung iaai wie &#187;oi in enemais aeuuicn gemischtsprachigen Gemeinden des Bezirkes St. Veit an der Glan überhaupt unterblieben sein, in denen man 1939 noch die Sprachzählung vornahm und eine Gesamtzahl von 446 Sprachslowenen (davon 177 reinsprachige Slowenen, diese vorwiegend in der Gemeinde Brückl) feststellte. Der ehemals sehr starke, ja geradezu „nationalbetonte“ Gailtaler Zweig der Slowenen (zu welchem auch die Slowenen des heute italienischen Kanaltales gehören) scheint jetzt sozusagen ganz verschwunden, was nicht auf die Fremdenverkehrsentwicklung allein zurückgehen kann. In Orten wie Paßriach wird auch heute nahezu ausschließlich slowenisch (Gailtaler windische Mundart) gesprochen, aber auch die übrigen Ortschaften des zum Bezirk Hermagor gehörigen unteren Gailtales weisen tatsächlich ein Vielfaches der in den Zählergebnissen aufscheinenden Angehörigen der Sprachminderheit auf. Hier müssen also die Volkszählungsergebnisse unrichtig sein.

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