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Karnten ist nicht Sudtirol

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Von Prof. Dr. VALENTIN INZKO, Leiter der slowenischen Abteilung des Katholischen Bildungswerkes in Karnten

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Von Prof. Dr. VALENTIN INZKO, Leiter der slowenischen Abteilung des Katholischen Bildungswerkes in Karnten

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Die Herbstsession des österreichischen Nationalrates ist beendet. Damit sind auch die Verhandlungen über ein neues Schulgesetz und das Gesetz über den Gebrauch des Slowenischen bei den Gerichten im zweisprachigen Gebiet Süd-kärntens bis zum Beginn der Frühjahrssession unseres Parlaments zurückgestellt.

Oesterreich hat sich bekanntlich mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages gegenüber den Großmächten auch verpflichtet, die nationalen Rechte der in Oesterreich lebenden Slowenen und Kroaten zu respektieren. Diese Rechte sind im Artikel 7 des genannten Vertragswerkes festgehalten. Ueber seine Realisierung wird nunmehr verhandelt.

Die Vertreter der slowenischen Minderheit haben ihre Wünsche in einem Memorandum der Bundesregierung unterbreitet. Den darin vertretenen Standpunkt habendie Vorsitzenden beider slowenischen Organisationen, also des „Rates der Kärntner Slowenen“ (Oberstudienrat Doktor Josef Tischler) sowie des „Verbandes slo-

Tr • % T i v Ii i '-' r ■• r . r fr .}wenischer Organisationen“ (Dr. jur. Franz Zwitter), sowohl in Wien als auch in Klagenfurt als Diskussionsgrundlage bezeichnet. Wie auch anderswo im politischen Leben Diskussionen und Aussprachen einerseits und die Gegebenheiten des Lebens anderseits Partner verschiedener politischer Programme zur Zusammenarbeit zum Wohle der Allgemeinheit zusammenführen und zusammenhalten, so wird es auch von den im genannten Memorandum aus dem Staatsvertrag abgeleiteten Ansichten den Weg zur Lösung geben.

Mit der jetzigen Lösung des zweisprachigen Unterrichts sind die Kärntner Slowenen im allgemeinen zufrieden. Es bestehen in Südkärnten 104 zweisprachige Schulen; für sie wird an der Bundes-Lehrer- und -Lehrerinnenbildungsanstalt in Klagenfurt ein Lehrernachwuchs herangebildet, der im Rahmen des Slowenischunterrichtes in den höheren Jahrgängen auch mit der Methodik des zweisprachigen Unterrichtes vertraut gemacht wird.

Die Pflege der Muttersprache wurde der slowenischen Jugend mit der Errichtung eines S t a a t s g y m n a s i u m s für Slowenen auch an der Mittelschule ermöglicht. Die Direktion konnte mit Beginn des Schuljahres 1957/58 den Unterricht in den ersten drei Klassen aufnehmen, welche von 96 Schülern besucht werden. Nach Abschluß ihres Mittelschulstudiums stehen den Absolventen alle Universität--! Oesterreichs zum Weiterstudium offen, da diese während ihrer Studienjahre am Gymnasium die Möglichkeit haben, auch die deutsche Sprache ebenso gut zu erlernen.

Die slowenische Minderheit unterhält auch zwei private landwirtschaftliche Schulen für Burschen und zwei Haushaltungsschulen mit Oeffentlichkeitsrecht für Mädchen. Außerdem ist sie im Besitze von zwei Druckereien, eine davon ist in den Händen der St.-Hermagoras-Bruderschaft, die ihren Sitz in Klagenfurt hat und 10.000 Mitglieder zählt. Der „Hermagorasverlag“ versandte in den vergangenen zehn Jahren mehr als 300.000 Bücher. Im Studentenheim der St.-Hermagoras-Bruderschaft sind 100 Schüler und Schülerinnen untergebracht, die von Geistlichen des Salesianerordens und von Schulschwestern erzogen werden.

Bei Radio Klagenfurt befindet sich eine eigene Abteilung für slowenische Sendungen. Für das slowenische Programm ist jeden Monat eine Sendezeit von 22 Stunden vorgesehen.'

Die Kärntner Slowenen haben ihre politischen, kulturellen und . wirtschaftlichen Vereinigungen. Sie unterhalten zwei Wochenzeitungen, eine Kulturzeitschrift, eine Jugendzeitschrift und je ein slowenisches Kirchenblatt für Erwachsene und Kinder.

Somit hat die slowenische Minderheit in den Nachkriegsjahren manche kulturellen und wirtschaftlichen Erfolge erreichen können. Eine Tatsache, die mit Genugtuung vermerkt sei. Sie berechtigt zur Erwartung, daß man auch bei der Realisierung des Artikels 7 des österreichischen Staatsvertrages eine Lösung finden wird, . die europäische Gesinnung und Toleranz auch auf Länder ausstrahlen wird, in denen die Minderheiten um ihre Grundrechte einen schwierigen und harten Kampf zu führen haben.

Das heikelste Problem ist die Schulfrage. Das , ganze Schulwesen im zweisprachigen Gebiet, das rund 60 Gemeinden ' umfaßt, fußt auf der Schulverordnung vom 3. Oktober 1945. An den zweisprachigen Volksschulen werden alle Schüler und Schülerinnen auf der Unterstufe zur Hälfte in'deutscher und zur anderen Hälfte in slowenischer Sprache unterrichtet. Ab dem vierten Schuljahr wird dann Slowenisch im Ausmaße von vier bzw. ab dem sechsten Schuljahr im Ausmaße von drei Stunden pro Woche unterrichtet. An Hauptschulen, die von Schülern aus dem zweisprachigen Gebiet besucht werden, wird Slowenisch ebenfalls drei Stunden wöchentlich unterrichtet.

Die jetzige zweisprachige Schule ist ein legaler Zustand, den man in den ersten Nachkriegsjahren allgemein als die beste Lösung gesehen hat. Sie stellt einen Zustand dar, den man ganz spontan gesucht und unter dem Eindruck der unsäglichen Leiden, die ein einseitiges Uebertreiben der nationalen Idee über das Land gebracht hat, gefunden zu haben glaubte. Man stand vor der Aufgabe, eine unheilvolle Hypothek, die jahrzehntelang das Zusammenleben der beiden Nationen im Lande belastete, endgültig zu liquidieren und eine Epoche der gegenseitigen Achtung, des Verstehens, einer neuen kulturellen Entwicklung und unbedingter Treue zum neuerstandenen Staat zu schaffen.

Ob diese Lösung, ideell und rein theoretisch gesehen, die absolut beste ist. sei dahingestellt, jedenfalls waren alle Kreise im Lande der Meinung, daß es real gesehen sehr wahrscheinlich die einzig mögliche war. Sie hat sich auch in der Praxis bewährt, wovon Berichte in politischen und fachlichen Blättern beider Teile zeugen. In manchem Ort ist gegenseitiges Verstehen und gegenseitige Achtung eingezogen. Es gab immer wieder schöne Stunden des Erlebens kultureller Werte, und beide Volksstämme wuchsen zu einem harmonischen Zusammenleben, wo immer man kulturellen und religiösen Veranstaltungen beiwohnen konnte, wo eine Sprache die andere ergänzte und das Lied des einen ebenso tief wie das des anderen die Herzen erfüllte und bewegte.

Sicherlich setzt die Durchführung des zweisprachigen Unterrichtes viel pädagogisches Geschick, eine entsprechende Schulung und Vorbildung, ausgearbeitete Lehrpläne, Lehrstoffverteilungen, eigene Schulbücher und andere Unterrichtsbehelfe voraus. Vielleicht wäre man einer zufriedenstellenden Lösung schon längst nähergekommen, wenn man der ganzen Frage mehr von pädagogischen und didaktischen Gesichtspunkten aus nähergerückt wäre und unliebsame politische Momente hintangestellt hätte.

Das Recht und die Pflicht der Eltern, über die Erziehung ihrer Kinder zu entscheiden, soll unumstritten bleiben. Ebenso unumstritten ist, daß der Staat Beamte verschiedener Rangordnung brauchen wird, die der slowenischen Sprache in Wort und Schrift mächtig sind. So wird es auch notwendigerweise Schulen geben müssen, in denen dem Staat und dem angestammten Volkstum verbundene Beamte herangebildet werden.

Aus diesen Erwägungen heraus wird man auch einer für beide Seiten zufriedenstellenden Lösung der an sich schwierigen Schulfrage näher kommen. Vielleicht wird sie auch die psychologische Vorbereitung einer von Vorurteilen und Reminiszenzen unbelasteten Generation sein.

lieber den Gebrauch des Slowenischen als Amtssprache im zweisprachigen Gebiet sind nach 194 5 keine Weisungen der zuständigen Stellen ergangen; auch diese Frage ist aber Gegenstand der derzeit laufenden Verhandlungen. Offen ist auch die Frage der zweisprachigen Aufschriften, die einmal Symbole gegenseitiger Achtung der im Grenzland lebenden Bevölkerung sein werden.

Alle anderen mehr oder weniger untergeordneten Fragen des Artikels 7 des österreichischen Staatsvertrages werden mit der Lösung dieser drei Fragenkomplexe unschwer mitzulösen sein.

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