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Wende in Kärnten?

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Die Verfassungsrichter haben entschieden: Das unverzicht- bare Recht slowenischer Kin- der Kärntens auf Elementa- runterricht in ihrer Mutterspra- che ist verfassungsgesetzlich gewährleistet.

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Die Verfassungsrichter haben entschieden: Das unverzicht- bare Recht slowenischer Kin- der Kärntens auf Elementa- runterricht in ihrer Mutterspra- che ist verfassungsgesetzlich gewährleistet.

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Durch Jahre hindurch haben sich slowenische Eltern in Klagenfurt für ihre Kinder in der Landeshaupt- stadt um einen zweisprachigen Unterricht an einer öffentlichen Volksschule bemüht. Zahlreiche Eingaben auch politischer Organi- sationen der Kärntner Slowenen an die zuständigen Stellen in Bund und Land blieben erfolglos. Das Argu- ment, mit dem die Ansuchen abge- lehnt worden sind, war, Klagenfurt falle nicht in den Geltungsbereich des Minderheiten-Schulgesetzes für Kärnten. Für die berechtigten Wünsche der Slowenen zeigte auch die Stadtgemeinde Klagenfurt kein Verständnis.

Von deutsch-nationalistischer Seite wurde der slowenischen Volksgruppe in der Öffentlichkeit wiederholt der Vorwurf gemacht, ihr ginge es auch bei der Forderung um die Errichtung einer zweispra- chigen Volksschule in Klagenfurt um Slowenisierungsbestrebungen, die abgelehnt werden müssen. Kla- genfurt sei eine deutsche Stadt.

Daß von einer Slowenisierung durch die Slowenen keine Rede sein kann, ist schon daraus ersichtlich, daß die Zahl der Slowenen in Kärn- ten in der Zweiten Republik von Jahrzehnt zu Jahrzehnt stark zu- rückgegangen ist. Laut Volkszäh- lung 1981 haben nur mehr rund 16.000 Personen Slowenisch als ihre Umgangssprache angegeben. Um in Klagenfurt doch zu einer zweispra- chigen Volksschule zu kommen, griffen die Kärntner Slowenen - wie sooft in der Vergangenheit - zur Selbsthilfe. Verschiedene Akti- vitäten im politischen, kulturellen, kirchlichen und wirtschaftlichen Bereich zeigen, daß sich die Kärnt- ner Slowenen heute dessen bewußt sind, wozu eine Volksgruppe im- stande ist, wenn sie vom Erfolg der Selbsthilfe überzeugt ist und sich ihrer konsequent auch bedient.

Mit der Errichtung von zwei pri- vaten zweisprachigen Kindergär- ten in Klagenfurt wurde die Grund- lage für die Realisierung des Pro- jekts einer zweisprachigen Volks- schule gelegt, wenngleich vorerst im Wege einer privaten Volksschu- le. Diesbezügliche Initiativen der St. Hermagoras-Bruderschaft/ Mohorjeva druz'ba, einer religiös kulturellen Organisation der Kärnt- ner Slowenen, deren Protektor der jeweilige Bischof von Gurk-Kla- genfurt ist, ermöglichten ab dem Schuljahr 1989/90 die Aufnahme des Unterrichtes an der Privaten konfessionellen zweisprachigen Volksschule der Hermagoras in Klagenfurt in drei Klassen (FUR- CHE 41/1989). Großes Verständnis und Entgegenkommen zeigte in dieser Frage das Bundesministe- rium für Unterricht, Kunst und Sport in Wien.

Parallel zur Initiative der Errich- tung einer privaten zweisprachi- gen Volksschule wandten sich die Kärntner Slowenen an den Verfas- sungsgerichtshof, um auf diesem Wege zu ihrem Recht zu kommen, das ihnen bezüglich einer öffentli- chen zweisprachigen Volksschule in Klagenfurt vorenthalten worden ist. Der Verfassungsgerichtshof hat der Beschwerde des durch seine Erziehungsberechtigten vertrete- nen Ilja MatjaZ Messner stattgege- ben, der „die Verletzung von ver- fassungsrechtlich gewährleisteten Rechten, unter anderem auf Gleich- heit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und im Recht auf Elemen- tarunterricht in slowenischer Spra- che behauptet" hatte.

Im Erkenntnis des Verfassungs- gerichtshofes heißt es, daß das Recht nach Artikel 7 (Ziffer 2) des Staats- vertrages von Wien in Kärnten „landesweit" besteht und eine en- gere territoriale Bindung die Bun- desverfassung nicht kennt. „Jedem Kind, das zur slowenischen Min- derheit in Kärnten zählt, ist dieses für die weitere Entwicklung unver- zichtbare Recht auf Elementarun- terricht in der Muttersprache ver- fassungsgesetzlich gewährleistet".

„Im autochthonen Siedlungsge- biet der slowenischen Minderheit im Bundesland Kärnten (Artikel 7 Ziffer 3 des Staatsvertrages von Wien) müssen nun derartige, für die Minderheit in Betracht kom- mende Elementarschulen schon von der Zielsetzung des Artikels 7 des Staatsvertrages von Wien her not- wendig für jede Gemeinde bestimmt werden. Darüber hinaus - das heißt außerhalb des autochthonen Sied- lungsgebietes der slowenischen Minderheit in Kärnten - ist die .Einrichtung solcher Schulen nach Wortlaut und Sinngehalt des Staatsvertrages von Wien von ei- nem nachhaltigen, lokalen Bedarf abhängig, folglich nur bei Zustan- dekommen einer entsprechenden Schülergruppe (unter Umständen aus mehreren Gemeinden) ver- pflichtend. Ein (nachhaltiger) Be- darf dieser Art ist nach den Ergeb- nissen des verfassungsrechtlichen Verfahrens jedenfalls und unbe- streitbar in der Landeshauptstadt Klagenfurt zu bejahen, wie allein schon der Umstand zeigt, daß in der dort vor kurzer Zeit eröffneten (zweisprachig geführten) Privaten Volksschule ,Hermagoras-Mohor- jeva' - von den Parteien außer Streit gestellt - derzeit schon zirka 40 Schüler unterrichtet werden."

Die slowenische Volksgruppe hat das Erkenntnis des Verfassungsge- richtshofes mit großer Genugtuung aufgenommen. So stellt Joze Mess- ner, der Vater von Ilja Matjaz Mess- ner, fest: „Die Entscheidung ist für Angehörige der Kärntner Slowe- nen, die wir in Klagenfurt leben, von historischer Bedeutung." Ein- deutig positive Stellungnahmen im Sinne einer staatsvertragskonfor- men Entscheidung des Verfassungs- gerichtshofes gaben die Obmänner der zentralen slowenischen Orga- nisationen, Felix Wieser und Matevz Grilc ab.

Während Marjan Sturm, Sekre- tär des linksorientierten Zentral- verbandes slowenischer Organisa- tionen von einer „europäischen Entscheidung" spricht, charakte- risiert Marjan Pipp, Sekretär des christlich orientierten Rates der Kärntner Slowenen, das Erkennt- nis des Verfassungsgerichtshofes „als einen der größten Fortschritte in der Minderheitenpolitik der letz- ten Jahre". Rechtsanwalt Sepp Brugger, der Vertreter der beteilig- ten Partei Ilja Matja2 Messner aber sagt: „Ich habe in meiner Karriere als Anwalt viel Positives für meine Klienten erreicht, jedoch habe ich mich über keinen Erfolg so gefreut, wie über diesen."

Unter dem Titel „Verfassungsge- richtshof: ,Ja' für zweisprachige Schule in Klagenf urt" kommentiert Slovenski vestnik, das Organ des Zentralverbandes slowenischer Organisationen, das Erkenntnis als Entscheidung, die der slowenischen Volksgruppe in Kärnten und über die Grenzen unseres Landes hinaus neue Dimensionen des Minderhei- tenrechts und Schutzes eröffnet.

Naä tednik, das Organ des Rates der Kärntner Slowenen, spricht bezogen auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes von einer Entscheidung, die für die Kärntner Slowenen von unschätzbarem Wert ist, wobei auf jene Bestimmungen hingewiesen wird, die im Zusam- menhang mit dem Minderheiten- Schulgesetz 1959 für verfassungs- widrig erklärt worden sind. Dazu gehört auch der Passus über die Durchführung einer Minderheiten- feststellung zwecks örtlicher Fest- legung der für die slowenische Volksgruppe in Betracht kommen- den Pflichtschulen.

Mit Recht wurde das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes un- ter den Kärntner Slowenen mit großer Freude aufgenommen. Das erste Mal ist die gesamte Volks- gruppe ohne Unterschied der ideo- logischen und politischen Einstel- lung ihrer Angehörigen beziehungs- weise ihrer Organisationen der Auffassung, daß hier im Hinblick auf den Artikel 7 des österreichi- schen Staatsvertrages tatsächlich staatsvertragskonforme Entschei- dungen von weittragender Bedeu- tung gefallen sind. Lediglich die Gründung des Bundesgymnasi- ums für Slowenen 1957 durch den damaligen Bundesminister für Unterricht Heinrich Drimmel hat ähnliche Reaktionen ausgelöst, wie das Erkenntnis des Verfassungs- gerichtshofes, betreffend den Geltungsbereich des Minderhei- ten-Pflichtschulwesens in Kärn- ten.

Das Erkenntnis des Verfassungs- gerichtshofes bedeutet eine große Genugtuung insbesondere aber auch für jene Angehörigen der slo- wenischen Volksgruppe, die von der Österreich-Idee her unbeirrt daran glaubten, daß der österreichische Staat zu Entscheidungen wie die- sen auch als Vaterland der in Öster- reich beheimateten Volksgruppe fähig ist. Mit Dankbarkeit sollen in diese Überlegungen alle zur Zeit der Zweiten Republik getroffenen positiven Entscheidungen für die slowenische Volksgruppe mit ein- geschlossen werden. Nach der Er- richtung des Bundesgymnasiums für Slowenen bedeutet das Erkennt- nis des Verfassungsgerichtshofes jetzt den nächsten großen Schritt auf dem Wege zu einer Gleichbe- rechtigung der Slowenen mit ihren deutschsprachigen Landsleuten in Kärnten.

Da das Erkenntnis des Verfas- sungsgerichtshofes, betreffend den Minderheitenschulbereich, eine restriktive Auslegung nicht zu- läßt, ist zu hoffen, daß wir im Hin- blick auf die Vorgänge in Mitteleu- ropa und die Verpflichtungen ge- genüber unseren Nachbarn Ent- scheidungen im Lande treffen wer- den, die des Zusammenlebens zwei- er Völker, die Kärnten seit über ei- nem Jahrtausend als ihre gemein- same Heimat bezeichnen, würdig ist.

Der Autor ist Vertreter der Kirche im Volks- gruppenbeirat für Slowenen.

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