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Marsch ins Ghetto ?

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Der Alltag hat uns wieder, uns glückliche Bewohner des Hauses Österreich. Dankbar haben wir uns erinnert, an das Kriegsende und an die Wiedervereinigung der staatlichen Souveränität. Von den uns im Staatsvertrag auferlegten Pflichten war — die Landesverteidigung vielleicht ausgenommen — wenig die Rede. Zum Glück.

Denn während sich in Wien die Vertreter der Signatarstaaten und unserer Nachbarländer zur Gratulationstour einstellten, hatten die Vertreter der ethnischen Minderheiten in Österreich kaum Grund zum Jubeln.

In Artikel 7 des Staatsvertrags steht zwar „etwas” von den Rechten der Volksgruppen und der besonderen Förderung, die das Mehrheitsvolk den Slowenen, Kroaten, Ungarn, Tschechen und Slowaken zukommen lassen muß. Die Bilanz der österreichischen Minderheitenpolitik der letzten 30 Jahre spricht allerdings eine andere Sprache.

Die Zahl der Kroaten und Ungarn im Burgenland wurde seit Kriegsende halbiert, die der Kärntner Slowenen ist um mehr als zwei Drittel gesunken. Nicht viel besser erging es den Tschechen und Slowaken.

Alle ethnischen Gruppen kämpfen daher heute einen verzweifelten Kampf ums Uberleben ihrer Identität - vor allem ums Weiterleben ihrer Sprachen.

So müssen sich etwa die Kärntner Slowenen momentan wieder einmal gegen eine weitere Aushöhlung ihrer ohnedies schon stark beschränkten Volksgruppenrechte zur Wehr setzen: Im gemischtsprachigen Gebiet Kärntens ist eine massive Beschränkung des zweisprachigen Pflichtschulwesens geplant.

Noch 1945 hatte die Kärntner Landesregierung im gemischtsprachigen Gebiet obligatorisch zweisprachige Pflichtschulen eingerichtet: alle Schüler, die in diesem Gebiet eine Schule besuchten, wurden sowohl in Deutsch wie auch in Slowenisch unterrichtet.

Aber schon 1959 fiel der verpflichtende zweisprachige Unterricht dem Druck nationaler Kreise zum Opfer. Seither müssen Eltern, die ihr Kind auch in der

Von TINO TELLER

Schule zweisprachig aufwachsen sehen wollen, dies durch eine besondere Anmeldepflicht kundtun.

Doch auch diese Regelung war so manchem Kärntner ein steter Stein des Anstoßes. Ein Volksbegehren, dessen Hauptinitiator der Kärntner Heimatdienst war, zielte 1984 auf die vollständige Trennung in „deutsche” und „slowenische” Pflichtschulklassen. Dem Volksbegehren war, angesichts der auch von der Kärntner Freiheitlichen Partei mitgetragenen landesweiten Kampagne, ein relativ geringer Erfolg beschieden: Es wurde von weniger als zehn Prozent der stimmberechtigten Kärntner unterzeichnet.

Dennoch konnten sich auch die beiden großen Parteien, SPÖ und ÖVP, bis heute nicht zu einer deutlichen Absage an diesen neuerlichen Anschlag auf die Volksgruppenrechte durchringen. Ja noch schlimmer: Mit dem Slogan „Jedem Kärntner die Schule, die er möchte” wollen sich alle drei Parteien des Landes auf eine „Kompromißformel” einigen, an deren Ende die slowenische Minderheit wieder ein Stück weiter ins Ghetto gedrängt würde.

Dieser Tage hat nun das überparteiliche „Komitee zur Verteidigung der zweisprachigen Schule” die österreichische Öffentlichkeit erneut alarmiert. Denn der bisherige Verlauf der „Hearings” der Kärntner Landesregierung zum Thema zweisprachiges Schulwesen läßt nichts Gutes erwarten.

So hat etwa Landeshauptmann Leopold Wagner beim „Hearing” mit dem Kärntner Abwehrkämpferbund am 22. Mai angekündigt, daß es im Falle einer Änderung der derzeit geltenden Praxis zumindest elf rein slowenischsprachige Volksschulen geben wird.

Nach dieser Feststellung des Landeshauptmannes und nach einer Wortmeldung von FPÖ-Lan-desobmann Jörg Haider, wonach SPÖ und ÖVP im Land nun voll auf freiheitlichen Kurs in der Schulfrage einschwenken, steht — so die Befürworter des zweisprachigen Unterrichts — zu befürchten, daß tatsächlich eine einschneidende Veränderung zuungunsten der slowenischen Minderheit bevorsteht.

Nachdem aber „Restösterreich” den Innerkärntner „Volkstums-problemen” uninteressiert bis hilflos gegenübersteht, will sich das Komitee für das zweisprachige Schulwesen in Südkärnten nunmehr an die internationale Öffentlichkeit wenden. In einer Pressekonferenz Mitte Juni sollen die Vertreter der internationalen Presse in Wien über den geplanten Anschlag auf die Rechte der Volksgruppe informiert werden.

Dann hat Österreich wieder das, was man immer noch zu vermeiden suchte, und was mit ein bißchen gutem Willen in Wien auch zu vermeiden gewesen wäre: die Internationalisierung unserer Volksgruppenpolitik.

Bleibt nur zu hoffen, daß zu guter Letzt doch noch die Vernunft der gesamten österreichischen Öffentlichkeit die Oberhand behält.

Der Schluß nämlich, daß es sich bei der Frage des zweisprachigen Unterrichts in Kärnten bloß um ein Landesproblem handelt, ist ein Trugschluß.

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