Wenn Kärntner Urangst marschiert

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Nüchtern betrachtet hat das Feiern des 10. Oktobers in der traditionellen Form seinen Sinn verloren. Nur welcher zukunftsweisende Sinn könnte den Feiern in Zeiten der EU-Integration gegeben werden?

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Nüchtern betrachtet hat das Feiern des 10. Oktobers in der traditionellen Form seinen Sinn verloren. Nur welcher zukunftsweisende Sinn könnte den Feiern in Zeiten der EU-Integration gegeben werden?

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Seit dem 10. Oktober 1920 wird in Kärnten jedes Jahr an diesem Tag ein Fest gefeiert. In runden Jahren wird dieses Oktoberfest besonders feierlich begangen. Und begangen wird es im wahrsten Sinn des Wortes: es wird marschiert. Ähnliches gibt es auch andernorts, wo mit Aufmärschen historische Siege gefeiert werden. Zum Beispiel halten in Nordirland die Protestanten einen historischen Sieg über die Katholiken auf diese Weise in Erinnerung.

Auch in Kärnten wird festzüglich aufmarschierend ein historischer Sieg gefeiert. Der "Abwehrkampf" 1918 und 1919 endete zwar für Kärnten in einem Desaster - Truppen des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen besetzten die Landeshauptstadt Klagenfurt. Und es war die Pariser Friedenskonferenz, die für Kärnten zum Zwecke der Festlegung der neuen Staatsgrenze eine Volksabstimmung anordnete.

Das zwischen den beiden Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns - deutsche Republik Österreich und der Staat des "dreinamigen" südlawischen Volkes der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS) - umstrittene Gebiet wurde in Abstimmungszonen A und B geteilt. Die Zone A wurde bis zur Volksabstimmung dem SHS-Staat, die Zone B Österreich zur Verwaltung übergeben. Sollte in Zone A die Abstimmung zugunsten Österreichs ausfallen, entfiel eine solche in Zone B. Und die Abstimmung am 10. Oktober 1920 fiel mit 22.025 Stimmen gegen 15.279 Stimmen mit einem Anteil von 59,04 Prozent der abgegebenen Stimmen unerwartet hoch für den deutschösterreichischen Nationalstaat aus.

Unerwartetes Ergebnis Wieso war diese Mehrheit unerwartet? Die Bevölkerung der Abstimmungszone A war damals noch mit geringen Ausnahmen slowenischsprachig. Die Feststellung der "Umgangssprache" bei der amtlichen Volkszählung des Jahres 1910 hatte einen Anteil an Slowenischsprachigen von etwa 80 Prozent ergeben. Unerwartet war das Ergebnis auch deshalb, weil im Zuge des Demokratisierungsprozesses im mittleren und östlichen Europa die ethnisch definierte Nationalität zum maßgebenden politischen Faktor geworden war. Das sprachlich-ethnische nationale Prinzip sollte künftig die staatliche Ordnung bestimmen: jedem Volk seinen eigenen Nationalstaat, und dieser sollte möglichst das ganze Volk innerhalb seiner Grenzen haben. Der Anspruch des Königreichs SHS auf das slowenischsprachige Gebiet Kärntens war daher aufgrund des nationalen Prinzips legitim. Das Ergebnis der Volksabstimmung wurde jedoch zu einer deutlichen Absage an das völkisch-nationale Prinzip des künftigen nationalstaatlichen Europas.

In den der Volksabstimmung folgenden 80 Jahren haben die Historiker viel an dem für sie unerwarteten Ergebnis herumgedeutelt. Schließlich wurde von ihnen erwartet, diesen Volksentscheid in das Weltbild der nationalen Ära des 19. und 20. Jahrhunderts einzupassen und damit Nationalität und nationalstaatliche Ordnung zu rechtfertigen. So wurde der 10. Oktober zuerst einmal ein "Sieg in deutscher Nacht", wie das einer der Exponenten des Kärntner Deutschtums, Hans Steinacher, beschrieben hat. Völkisch "deutschfreundliche", landeskärntnerisch "heimattreue" Slowenen hätten den Ausschlag gegeben, dass Kärnten "frei" und "ungeteilt" (was immer man darunter verstehen will) geblieben ist. Mit Fortschreiten des deutschen völkischen Nationalismus zum Rassismus konnten es dann aber nicht mehr slawische Slowenen - auch wenn deutschfreundlich und heimattreu - gewesen sein, die die Einheit Kärntens gerettet hätten. Man machte aus ihnen ein völkisches Kollektiv mit nordischen Merkmalen angereichert: die Windischen.

Aber auch die slowenische Nationalhistorie konnte das Ergebnis des 10. Oktober nicht anders als völkisch deuten. Deutschtümler, Verräter ihrer Nationalität, Verführte und unterdrückte Abhängige seien es gewesen, die das slowenische "ethnische Territorium", das slowenische Karantanien, die "Wiege des Slowenentums", dem Deutschen, dem "schicksalhaften Gegner" der Slowenen, ausgeliefert hätten.

Vor dem Hintergrund all dieser historischen Mythenbildung und-nutzung ist die Frage nach Sinn und Unsinn der 10. Oktober-Feiern im Jahr 2000 zu stellen. Auszugehen ist von der Tatsche, dass das Feiern historischer Ereignisse in jedem Fall Absichten verfolgt: kollektives Bewusstsein, kollektive Identität soll erzeugt, gepflegt, genutzt werden. In wessen Sinn ist es nun, dass im Jahr 2000 kärntnerisches Kollektivbewusstsein gepflegt wird? Ist es denn angesichts des Fortschreitens der europäischen Integration nicht unsinnig und kontraproduktiv, wenn die Volksabstimmung vom 10. Oktober in traditioneller Weise zur deutschen, österreichischen oder kärntnerischen Siegesfeier "blutgeschriebener" Grenze gemacht wird? Vielleicht kann da die Frage nach den Betreibern dieser Feier weiterhelfen?

Unsinnige Siegesfeier?

Da ist die Landespolitik mit dem Landeshauptmann an der Spitze, der gegen den Willen der über die Grenzen agierenden Wirtschaft und mit dem Versprechen einer finanziellen Entschädigung an die Teilnehmer einen imposanten Festzug in Marsch setzen will. Es ist ihm gelungen, die Kärntner Slowenenorganisationen zu gewinnen, einen Festredner zu stellen. Man kann gespannt sein, wie dieser sein Auftreten erklären wird. Jörg Haider wird davon ableiten, dass mit den "radikalen Elementen" in der FPÖ nicht er gemeint sein könne. Ist nicht er es, dem die Slowenen mehr zu verdanken haben als irgendeinem Landeshauptmann vor ihm?

Nicht jemandes Sieg Der Landespolitik zur Seite steht im Betreiben des 10. Oktober die Landesverwaltung, die nicht weniger Interesse daran hat, sich ungeschoren in die neue Epoche der europäischen Integration zu retten. Dem mag auch die Landeslehrerschaft beistimmen, die vom Landesschulrat einen vom Land beim ORF-Landesstudio Kärnten in Auftrag gegebenen Schulfilm zur Erleichterung der verpflichtenden Gestaltung der jährlichen 10. Oktober-Schulfeier zugeschickt bekommen hat. Bei näherer Betrachtung bietet dieser Schulfilm in seiner historischen Hilflosigkeit und eindeutigen Absicht Lehrern mit fundierterem Wissen zwingende Ansätze zu einer kritischen 10. Oktober-Feier.

Hoch in den Jubel stimmen auch die beiden Landeskleinformate Kleine Zeitung und Kärntner Krone ein. Ihr Verbreitungsgebiet ist nun einmal das Land Kärnten. Und dann sind da noch die in Kärnten besonders zahlreichen Landes-Traditionsträger: der Kärntner Heimatdienst, dessen Obmann ein dezidierter Europaskeptiker; der Abwehrkämpferbund, der sich nunmehr schon aus der dritten und vierten Generation der Abwehrkampf-Tradition rekrutiert, und noch andere mehr. Sie alle sorgen nach Kräften dafür, dass den Kärntnern deren sprichwörtliche "Urangst" nicht abhanden kommt und stimmen mit ihrem, von der verurängstigten Bevölkerung gewählten Landeshauptmann darin überein, dass Kärnten einen bösen Nachbarn im Süden hat, der seiner "altösterreichischen" Minderheit deren nationale Rechte vorenthält, dessen Kernkraftwerk Krsko der Kärntner Gesundheit und Leben gefährde und wo die schlechter bezahlten Arbeitskräfte nur darauf warten, mit der Aufnahme Sloweniens in die EU, den Kärntnern die Arbeitsplätze wegzunehmen.

Nüchtern betrachtet hat das Feiern des 10. Oktober in der traditionellen Form heute seinen Sinn verloren. Bisher wurde gefeiert, um das "historische Gedächtnis" an den Sieg über den slowenischen nationalen Erbfeind aufrecht zu erhalten und damit kärntnerisches, österreichisches und deutsches Kollektivbewusstsein - je nach Bedarf des nationalen 20. Jahrhunderts - zu erzeugen. Die "mit Blut geschriebene" Karawankengrenze wurde zutiefst in des Kärntners weichem Gemüt verankert. Diese Grenze wird nun durch die europäische Wirklichkeit beseitigt, ob es die Kärntner Traditionalisten, Verurängstigten und die an der Urangst Teilhabenden wollen oder nicht. Die Republik Slowenien wird nicht mehr Erbfeind, sondern ein Österreich gleich berechtigter Partner in einem vereinten Europa sein. Das verlangt nach einer veränderten Sicht auf den 10. Oktober.

Es ist einsichtig, dass ein in Kärnten so allgegenwärtiges Symbol wie der 10. Oktober nicht einfach aus dem Bewusstsein gestrichen werden kann. Doch welcher zukunftsweisende Sinn könnte ihm gegeben werden, um ihn weiter zu feiern und dabei die Slowenen nicht zu brüskieren? Dieser Sinn muss dem künftigen transnationalen Europa gerecht werden. Der Kärntner Abwehrkampf sowie die Volksabstimmung sind als das zu begreifen, was sie in der historischen Realität waren. Sie waren nichts anderes als die logische Konsequenz der Entwicklung zum integralen Nationalismus. Nationalität war zum höchsten säkularen Wert geworden, und das verlangte für jedes Volk den eigenen Nationalstaat. So wurde in Kärnten ein deutsch-slowenischer Grenzkrieg inszeniert, in dem die Bevölkerung des umstrittenen Gebiets in ihrer Gesamtheit nur verloren hat.

Die Volksabstimmung am 10. Oktober 1920 sollte daher nicht als irgendjemandes Sieg gedeutet werden. Die ganz überwiegend agrarische Bevölkerung des Abstimmungsgebiets ließ sich bei der Stimmabgabe viel weniger von einem nationalen Bewusstsein als vielmehr vom ideologisch weniger verdorbenen bäuerlichen Verstand leiten. Und für den zählten vor allem wirtschaftliche existenzielle Argumente. So wurde der 10. Oktober zu einer Absage an das für das Europa des 20. Jahrhunderts unglückselige nationale Prinzip. Wäre das nicht Grund genug für eine zukunftsweisende deutsch-slowenische Feier?

Der Autor ist Ordinarius für Geschichte Ost- und Südosteuropas an der Univ. Klagenfurt. Zur Situation steirischer Slowenen lesen Sie auf Seite 15.

BUCHTIPP Die Kärntner Slowenen 1900-2000. Bilanz des 20. Jahrhunderts. Hg. von Andreas Moritsch, Mohorjeva-Hermagoras-Verlag, Klagenfurt 2000, geb., 391 Seiten, öS 380 /e 27,51

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