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Ein neuer Staat vor Österreichs Haustür

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In diesen Tagen jagen einander Gerüchte, was die friedliche oder gewaltsame Ablösung Sloweniens von Jugoslawien betrifft. Slowenen selbst reagieren gelassen. Die FURCHE hat Meinungen eingeholt.

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In diesen Tagen jagen einander Gerüchte, was die friedliche oder gewaltsame Ablösung Sloweniens von Jugoslawien betrifft. Slowenen selbst reagieren gelassen. Die FURCHE hat Meinungen eingeholt.

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Der jugoslawische Generalkonsul in Klagen-furt/Celovec, Marijan Majcen, ein slowenischer Wirtschaftsfachmann (FURCHE 45/ 1990), fühlt auf dem Hintergrund des Loslösungsprozesses Sloweniens vom jugoslawischen Gesamtstaatsverband „eigentlich keine zwei Seelen in der Brust”. Noch immer - sagt er zur FURCHE - vertrete er ,Jiier in Klagenfurt die Interessen der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien”. Es gehe ihm gemäß seinem Auftrag also um die Interessen „aller Bürger” Jugoslawiens „ohne Rücksicht darauf, wie sich die Situation weiterentwik-keln wird”.

Majcen bringt einen schönen historischen Vergleich: Als Österreich-Ungarn zerfiel, seien in den Botschaften auch verschiedene Nationen vertreten gewesen, die, solange es ging, die Interessen ihrer Bürger vertreten hätten, ohne Rücksicht darauf, daß die Monarchie bald in mehrere Staaten aufgeteilt wurde. Deswegen ist für den Generalkonsul auch die Frage nach künftigen Staatsbürgerschaften, auch nach seiner eigenen als Slowene, der Gesamtjugoslawien vertritt, „verfrüht”. „Wir sind Bürger des bestehenden Staates”, so Majcen wörtlich.

Das Gerücht, wonach es in diesen Tagen zu einer doppelten Zollkontrolle an den österreichisch-slowenischen Grenzübergängen durch slowenische Zollbeamte und Zöllner Belgrads, also des Bundes, kommen soll, entspricht nach den Worten des Generalkonsuls „nicht meinen Informationen”. Es habe einen Kompromiß mit Belgrad in Laibach gegeben, wonach von Slowenien eingehobene Zölle auf eine separierte Rechnungsnummer in Laibach überwiesen werden sollten. Es werden auch keine Zollbeamten des Bundes nach Slowenun verlegt, sondern es wird nur ein Zollinspektor aus Belgrad in die slowenische Hauptstadt entsandt, der die Zollgebarung Sloweniens überprüfen wird.

Einer „Zerbröckelung Jugoslawiens” - wie jeder Zerschlagung von wirtschaftlichen Einheiten - kann Generalkonsul Majcen „wenig abgewinnen”. Dies vor allem der Erkenntnis wegen, daß heutzutage sogar 'größere staatliche Gebilde, wie Jugoslawien oder - noch einmal der historische Rückgriff -sogar Österreich-Ungarn, „ökonomisch gesehen für gewisse Projekte als Wirtschaftsraum zu klein sind, um bestehen zu können”. „Die Zukunft liegt nur in einem vereinten Europa”, konstatiert Majcen, „alles andere ist wirtschaftlich gesehen unvernünftig”. Gegenüber der FURCHE gibt er sich überzeugt, daß es auch in Jugoslawien keinen emsthaften Politiker gebe, der eine vollkommene Trennung der Teilrepubliken befürworte. „Wie immer die Verhandlungen in Jugoslawien ausgehen, eine gewisse Kooperation wird weiter bestehen bleiben.”

Hinsichtlich der Bedeutung eines souveränen Slowenien für die Kärntner Slowenen meint Majcen, daß es „für sie leichter wird”. Denn sie hätten dann einen Staat, der eben aus Slowenen besteht, durch den sie sich besser verstanden fühlen können. Majcen vergleicht die Lage der Kärntner Slowenen mit jener der Südtiroler gegenüber Österreich: Für die Südtiroler sei eben Österreich der Staat, durch den diese sich verstanden fühlten.

„Schwer hineindenken” kann sich der Generalkonsul in die Frage, was Österreich diplomatisch in dieser Angelegenheit tun soll. Österreichs Diplomaten hätten naturgemäß österreichische Interessen im Auge. „Aber ich bin gleichzeitig fest davon überzeugt, daß es sehr wohl im Interesse der Republik Österreich liegt, neugegründete Staaten in der Nachbarschaft so rasch wie möglich anzuerkennen.” Unter Nachbarn - Majcen bringt einen Vergleich aus dem Privatleben - sei es ja auch nicht üblich, die neue Ehe eines Geschiedenen über längere Zeit nicht anzuerkennen.

Karel Smolle, Kärntner Slowene, offizieller Vertreter Sloweniens in Wien, fühlt sich auf dem Hintergrund der Ereignisse in Jugoslawien „als Europäer mit einem ausgeprägten Regionalbewußtsein”. Wer allerdings daraus so etwas wie eine Geringschätzung der slowenischen Ambitionen zur Gründung eines eigenen Staates heraushören möchte, liegt falsch. Das Plebiszit vom Dezember des vergangenen Jahres ist ein „emster Auftrag, den es zu vollenden gilt”.

Die Kärntner Slowenen, gibt sich Smolle überzeugt, haben von der demokratischen Gesellschaftsordnung Sloweniens „moralisch sehr profitiert”. Sie könnten nun nicht mehr als Geheimagenten des Weltkommunismus hingestellt werden. „Die Karawanken sind niedriger geworden”, zitiert Smolle den slowenischen Premier Lojze Peterle, will heißen, daß das Heranwachsen eines slowenischen Staates „auch auf Österreich abfärbt”. Als Indikator für die neue, gute Nachbarschaft Österreichs mit der slowenischen Demokratie wird in der Wiener Vertretung Sloweniens auch die Tatsache gewertet, daß in Kärnten heute vermehrt Slowenisch gelernt wird. Positiv registriert man auch, daß die Kirche Sloweniens (siehe Seite 1) den Unabhängigkeitstag mitbegleiten will. „Die Kirche in Slowenien ist ein Faktor, der unser Volk geprägt hat”, so Smolle; auch beim Plebiszit habe die Kirche eine „entscheidende Rolle gespielt”. Von Österreich erwartet man eine gute Nachbarschaftspolitik und die-Anerkennung „wenn es so weit ist”.

Der neue Direktor der in Kürze in Laibach erscheinenden slowenischen Tageszeitung „Slovenec”, Hanze Tomasic, ebenfalls ein Kärntner Slowene, ist sich noch nicht ganz sicher, ob die Unabhängigkeitserklärung am 26. Juni „eine neue Deklaration” sein wird, „oder ob es dann ernst wird”. Nach seinen Worten bedeutet aber die Unabhängigkeit Sloweniens für Kärntner Slowenen „sehr, sehr viel: Denn damit werden die Kärntner Slowenen nicht mehr mit Belgrad, mit dem Titoismus, also mit dem KP-Jugoslawien in Verbindung gebracht werden können.”

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