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Die Ostwanderung

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Auch zwischen 1968 und 1971 hat sich das Wirtschaftswachstum deutlich von Osten nach Westen verschoben, wenngleich in diesem Zeitraum das kleine und östlichste österreichische Bundesland Burgenland mit einer Wachstumsrate des produzierenden Sektors von 49,4 Prozent noch vor dem westlichsten aller Bundesländer, Vorarlberg mit 49 Prozent, an der Spitze lag, ergibt eine neue Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung.

Wie immer seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs schneidet die Bundeshauptstadt bei diesem inner-österreichischen Wachstumsvergleich mit einer Zuwachsrate von nur 28,7 Prozent in immerhin drei Jahren am schlechtesten ab. Das ist nicht nur die Folge der negativen demographischen Entwicklung Wiens — bekanntlich nimmt die Zahl der Erwerbstätigen in der Bundeshauptstadt konstant ab —, sondern sicherlich auch das Ergebnis einer in Wien seitens der kompetenten Stellen fehlgeplanten Wirtschaftspolitik. Noch vor Niederösterreich nimmt Oberösterreich mit einer Wachstumsrate von 46,8 Prozent den Mittelrang unter den Bundesländern ein.

Wie das Institut für Wirtschaftsforschung in einem Bundesländervergleich der österreichischen Wirtschaft feststellt, spielen regionale Besonderheiten, die sich aus der Konjunkturphase ergeben, eine wichtige Rolle für die Erklärung der regional unterschiedlichen Wirt-schaftsentwicklung in den Jahren 1969, 1970 und 1971.

Seit 1972 aber Wandert das Wirtschaftswachstum ostwärts. Ausschlaggebend dafür war die Verlagerung der Konjunkturimpulse von den Exporten zur Inlandsnachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern. So konnte in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland die gewerbliche Sachgütererzeugung trotz relativ geringem Beschäfti-

gungszuwachs stark ausgedehnt werden. Dagegen stand auf dem Bausektor einer gewissen Entspannung in der Bundeshauptstadt eine sehr stürmische Ausweitung in Niederösterreich und dem Burgenland gegenüber. Auch die Beschäftigung in den Dienstleistungszweigen hat in

der Ostregion, ausgenommen das Burgenland, überdurchschnittlich expandiert, und die Ernteergebnisse in der Land- und Forstwirtschaft fielen bedeutend besser aus als in den übrigen Bundesländern. In den westlichen Bundesländern verzeichnete der Fremdenverkehr, hier insbesondere

der Ausländertourismus, gegenüber den Vorjahren 1972 durchweg stark fallende Zuwachsraten (in Salzburg und in Tirol lagen sie unter dem Bundesdurchschnitt).

Unter der durchaus realistischen Annahme, daß sich zufolge der inflationistischen Preisentwicklung, der Einführung der Mehrwertsteuer und insbesondere wegen der fortgesetzten Aufwertungspolitik der Bundesregierung und der Nationalbank ein Rückgang des Fremdenverkehrs auch in diesem und im nächsten Jahr fortsetzen wird, dürfte die Wirtschaftswachstumsverschiebung auch in der nächsten Zukunft die Ostregion bevorzugen. Wie erste Berechnungen ergeben haben, sind im ersten Halbjahr 1973 insbesondere die Touristenzahlen aus den Vereinigten Staaten, aus Großbritannien und auch aus Frankreich im Westen Österreichs zurückgegangen, bei den britischen Touristen sogar um rund zehn Prozent. Was das für westliche Bundesländer zu bedeuten hat, kann am Beispiel Tirols schon für das Jahr 1972 bewiesen werden. Tirol stand 1972 — nach mehreren Jahren kräftigen Wachstums — erstmals im Zeichen sinkender Zuwachsraten und teilweise sogar absoluter Rückgänge. Die Abschwächung betraf nicht nur die Bauwirtschaft, sondern auch eine Reihe von Industriebranchen, die fremdenverkehrsabhängigen Dienstleistungsbereiche sowie die Land-und Forstwirtschaft. In Vorarlberg verlief die Entwicklung ausgeglichener, wenn auch weniger stürmisch als in den letzten Jahren. Hier wuchsen die Industrieproduktion und das Baugewerbe unterdurchschnittlich, die übrige Sachgütererzeugung und die Dienstleistungen expandierten dagegen stärker als im Österreichdurchschnitt. Allerdings konnte sich die Vorarlberger Wirtschaft auf ein deutlich höheres inländisches Arbeitskräfteangebot als in den Jahren vor 1972 stützen.

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