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Randhemerhungen zur woche

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Der demokratische Sozialismus befindet sich gegenwärtig in den meisten westeuropäischen Ländern in einer Krise, die ihren letzten Grund im Zwiespalt zwischen Staatsverantwortung und Parteiegoismus hat. Am schärfsten und deutlichsten ist dieser Zwiespalt wohl in Italien ausgeprägt, wo der Gegensatz zwischen den die Regierung De Gasperi unterstützenden Saragat-Sozialisten und den „Einheitssozialisten“ der Gruppe Romita-Silone. (die „Fusionisten“ Nennis sind ja nur mehr ein Aushängeschild der Kommunisten) trotz aller wohlmeinenden, einander im Laufe der letzten Jahre übrigens öfter widersprechenden „Empfehlungen“ der COMISCO nicht überbrückt ' werden ' kan a. In Frankreich wieder, wo sich immer mehr das Fehlen einer überragenden Persönlichkeit vom Schlage Leon Blums schmerzhaft fühlbar macht, hat der sozialistische Parteiegoismus mit seinen ewigen Regierungsstürzen in den letzten Wochen eine Reihe verhängnisvoller Pyrrhussiege errungen, deren Folgen die Sozialisten selbst alsbald zu spüren bekamen. Das wenig würdige Verhalten der belgischen Sozialisten in der „Königsfrage“ steht auf demselben Blatt, Aber sogar in England,, wo die Haltung der Labpurregierung zum Schuman-Plan selbst von den wohlwollendsten Beurteilern zumindest als „nicht sehr geschickt“ bezeichnet wurde, hat der Ernst der Lage im Schatten des Koreakonflikts nicht alle peinlichen Extempores zu verhindern vermocht. Die auffallendste Entgleisung war hier ivohl die Rede des Kriegsminisiers Strachey, in der er in heftigster Weise gegen die „Verschwörung“ des Schuman-Planes loszog und sich damit in offenen Gegensatz zu den vorsichtigen offiziellen Regierungserklärungen stellte. Die unausbleibliche Zurechtweisung, die durch einen überlegen geschriebenen Brief des ehemaligen Ministers und Pariser Botschafters Duff Cooper an ein englisches Blatt erfolgte, hat die Zustimmung weiter Kreise bis tief ins Labourlager selbst hinein gefunden. So bleibt die Hoffnung, daß unter dem Druck der gespannten Weltlage schließlich die verantwortungsbewußten, Staats- und weltpolitisch denkenden Ele- mente in den sozialistischen Parteien den Sieg über die engstirnigen Parteitaktiker davontragen. Der demokratische Sozialismus in Europa steht vor einer entscheidenden Probe — es ist ihm und uns allen zu wünschen, daß er sie besteht.

Den Abgeordneten und den Vorständen der Parteien des Nationalrates sowie allen Regierungsämtern in Staat und Land und höheren Schulbehörden ist in diesen Tagen eine Denkschrift zugegangen, die aus der Mitte der Probelehrer Oberösterreichs ausgegangen ist. Die Denkschrift verlangt wirksame Maßregeln gegen die Not der Scharen von b e s ch äf ti-gung s- und einkommenslosen Probelehrern. Jetzt am Ende des Schuljahres zählt Oberösterreich allein 76 Probelehrer ohne Stellung im Lehrfach — in ganz Österreich üb er 5 0 0. Das Schicksal der jungen Menschen ist beklagenswert, aber es ist nicht unabänderlich und fordert deshalb das Verantwor-tv.vnsbewußtsein aller . berufenen Stellen heraus. Die in der Denkschrift der Probelehrer formulierten Vorschläge stehen durchaus auf realem Boden und verdienen ernste Beachtung.

Die Statistik hat ihr eigenes Alphabet. Ihre Feststellungen reden für den Kundigen eine besondere Sprache und ihre Ziffern haben eine besondere Deutlichkeit Eine knappe Meldung des statistischen Amtes der westdeutschen Bundesregierung berichtete, daß 1949 zwischen Rhein und Elbe trotz ungeheurer Stadtruinen, hundertausender vernichteter Wohnungen und des Flüchtlingselendes um 88,000 Kinder mehr zur Welt kamen als drei Jahre vorher. Zu gleicher Zeit sank die Sterbezahl von zehn Todesfällen unter tausend Personen gegenüber zwölf auf dieselbe Kopfzahl wie 1946. Vom gleichen westdeutschen Amt wurde ein Vergleich der Wiegenanzahl einzelner europäischer Länder veröffentlicht. Interessanterweise steht gegenwärtig nicht das volkreiche Italien an der Spitze der Geburtenzahlen, sondern Finnland, wo auf tausend Einwohner sechsundzwanzig Geburten kommen. Die Niederlande folgen mit 24,0 und erst an dritter Stelle Italien mit 19,9 Prozent. Unter den Ländern mit mittlerem Durchschnitt befinden sich England (17,4) und bereits auch wieder Westdeutschland (16,7). Einen Rekord nach unten aber hält Österreich mit 15,4 Prozent; es wird heute allein von Ostdeutschland (12,8) unterboten. — Die drückende Wohnungsnot in Wien und den meisten größeren Städten Österreichs ist für die traurige Geburtsrate Österreichs' vornehmlich verantwortlich, aber sie ist nicht die einzige Ursache. Ab er wer rührt sich denn ernstlic h,u m d er Ausmergelung des österreichischen Volkskörpers zu begegne n? ' ' “ r- - -

Der Einlagenstand der österreichischen Sparkassen hat die Zwei-Milliarden-Grenze überschritten. Im Laufe des Monats Mai haben die Spareinlagen eine Erhöhung um 17,1 auf insgesamt 934,7 Millionen Schilling erfahren. Binnen Monatsfrist konnten 7 7 5 0 neue Sparbücher ausgegeben werden. Wien und die Industrieorte in den Bundesländer konnten den größten Zuwachs an neuen Sparern feststellen. — Diese unaufdringlichen, aber klaren Ziffern drücken sehr deutlich die raschen Fortschritte des österreichischen Wiederaufbaues aus: es wird- wieder gespart, weil gespart werden kann und die dringendsten Lebensnot-dilrjte befriedigt worden sind. Mehr noch: die immer schnellere Zunahme der Spart tätigkeit — von einer solchen war jahre-lag nichts zu merken -r~ beweist, daß das österreichische Volk nicht nur der eigenen Währung, sondern auch der Zukunft vertraut.

Seit einiger Zeit bewegen Bemühun g en um die deutsche Sprache die österreichische Öffentlichkeit. Nach der lebhaften Diskussion über das amtliche Wör-t terbuch, verschiedenen Vorschlägen zur Reinigung von den „Nazismen“ und zur Beseitigung der Stummelsprache wurde jetzt von den Nationalräten einer kleinen Partei die Anregung gebracht, die deutsche Schreibschrift — die sogenannte Kurrentschrift — wieder in der Volksschule zu lehren, um der Jugend die Möglichkeit zu geben,' ältere Schriftwerke lesen zu können. — Viele Völker haben im Laufe der Zeit ihre Schriften gewechselt — die Schweden gingen von der Fraktur, die Rumänen von der Zyrillika, die Türken von der arabischen Schrift zur Lateinschrift über — und sie alle haben das ohne kulturellen Schaden überstanden. Die Kurrentschrift ist zudem graphisch so unschön, daß die Belastung mit ihr wirklich nicht lockt. Mit ihr müßten die Kinder wiederum acht graphisch verschiedene Formen des Alphabets lernen — Groß- und Kleinbuchstaben der Kurrentschrift, der Lateinschrift, der Fraktur und der Antiqua. Es gibt- nur wenige Völker, die sich den Luxus einer Zweischriftigkeit leisten, aber viele — auch Hochkulturvölker —, die nur eine einzige Form des einzelnen Buchstaben kennen, also nicht einmal einen Unterschied zwischen 'Groß- und Klein-,' zwischen Druck' und Schreibbuchsiaben. Mag man diese Unterschiede als historische Gegebenheiten und graphische Belebung des Schriftbildes hinnehmen, so besteht doch wahrhaftig kein echter Grund des Lebens, zwei verschiedene Schriftsysteme nebeneinander zu behalten. Der Einwand, daß andere Sprachen weit mehr Schriftteichen kennen als bloß acht mal sechsundzwanzig, ist nicht stichhaltig, denn die graphischen Zeichen und Symbole haben sich auch bei uns gevlaltig' vermehrt. Satzzeichen, Interpunktionszeichen, Zahlzeichen, Korrekturzeichen, mathematische und physikalische Zeichen und die sonstigen gängigen Symbole der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, die Zeichen der technischen Arbeits-zweige, die Maß-, Gewichts- und Währungssymbole, die musikalischen Notensymbole, die verschiedenen konventionellen Warn- und Verkehrszeichen haben allmählich eine moderne Hieroglyphik entstehen lassen, die unter Berücksichtigung der heute allgemein verbreiteten Stenographie von einem Maturanten die Kenntnis von mehr als tausend „Schrift“-Zeichen verlangt. Es ist bemerkenswert, daß man weder diese Tatsache als solche bisher überhaupt beachtet, noch daß man sich einer logischen und graphischen Durchbildung und Vereinheitlichung dieser Symbolwelt gewidmet ' hat, von einzelnen Reformversuchen auf engsten Teilgebieten abgesehen.

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