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Volkstum und Genialität

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Die Erforschung der Begabungskraft eines Landes, von mehrfacher wichtiger Bedeutung für Kultur- und Volkspolitik, ist auch von größtem Werte, wenn man die geistige Stellung des Landes klären will. Wir besitzen beute verschiedene Verfahren psychologischer Untersuchungen, obwohl leider in der Praxis (zum Beispiel der Arbeitsämter) Methoden verwendet werden, die nicht immer dem wissenschaftlichen und sachlichen Interesse dienen. Um so einwandfreier kann die Forschung an den erlesenen Menschen, den „Genialen“, eines Landes sein, weil es sich da um ein historisches Material handelt, das dem wirtschaftlichen oder politischen Zweckstreben weitgehend durch die Wucht unveränderbarer, aber auch jederzeit kontrollierbarer Tatsachen entzogen ist. Zwar stehen solcher Forschung manche Mcntalitätseinstellungen hinderlich im Wege. Denn wir nehmen unsere Genialen so stark subjektiv und mit unvergleichbaren Wertunterschieden oder Wertgraden oder auch Unvergleichlichkeiten ausgestattet, daß sich in uns etwas sträubt, sie in Typengruppen zusammenzufassen. Aber obwohl jeder einzelne Mensch auch einmalig ist und die Vergleichbarkeit hier nicht minder Schwierigkeiten machen müßte, sind wir längst gewöhnt, bei den „gewöhnlichen

Sterblichen“ typologisdie Betrachtungen anzustellen.

Was sollte uns denn auch hindern, Genialengruppcn zusamrtienzufasseri, nicht im Hinblicke auf das Einmalige ihrer menschlichen Glieder, sondern auf das Typische, womit wir irgendwie über die Besonderheit des Landes unterrichtet werden. Wir begreifen doch zum Beispiel, daß die österreichischen Musiker als Type für sich und ohne ihre besonderen Größenunterschiede betrachtet, etwas anderes als etwa englische oder italienische Musiker sind.

Vor allem aber, wenn wir die Zusammensetzung der verschiedenen Genialengruppen eines Landes mit einem anderen vergleichen, müssen doch Unterschiede zutage treten, die mehr als spielerischen Wert haben. Die Volksart muß sich doch an ihren Großen besonders aitsdrücken. Wo denn sonst mehr? Sie sind ja Gipfelerscheinungen völkischer Art und sie wurzeln mit tausend Wurzeln in ihrem Volke. Die moderne genealogische Forschung hat diese Zusammenhänge in zahllosen Fällen festgestellt. Selbst ein Goethe, der uns als Weltgeist gilt, zeigt sich darin als höchste Potenz der Verkörperung deutscher Art. Und man hat ah ihm auch das Fränkische seiner Ahnen deutlich feststellcn können. Bei der Zusammensetzung seiner Vorfahren aus allen deutschen Stämmen ist er aber der Deutsche schlechtweg. ,

Schwierigkeiten könnte nur die Abgrenzung nach unten bieten, die Frage, wer soll noch unter die Erlesenen aufgenommen werden? Aber alle Kulturstaaten haben darüber schon entschieden, wer zu ihren großen Männern gehört, durch die Aufnahme in ihre biographischen Lexika und man hat es ja außerdem in der Hand, diesen Stoff kritisch zu sichten und gewisse einheitliche Maßstäbe anzuwenden.

Österreich nimmt durch die Masse, die Vollständigkeit der gepflegten Gebiete, aber auch durch die Qualität seiner Genialen eine besondere Stellung in Europa ein. Es wird an Genialität von keinem anderen Lande übertroffen. Das ist eine nachweisbare Tatsache. Wenn man die letzten 200 Jahre vor 1850 ins Auge faßt, so gewinnt man allerdings auch den Bestand jener genialen Kapazität, der aus der großen Donaumonarchie geschöpft war, einer Zeit des Glanzes eines Staates, der eine führende Großmacht Europas war. Neben der ungeheuren Entfaltung seiner Kulturkräfte durch die Zeiterfordernisse strömten aucHerlesene Menschen des Auslandes, nicht nur des ganzen und besonders kulturkräftigen deutschen Raumes in seinen Blutkreislauf, ein Umstand, der nicht verkannt werden darf. Also es handelt sich um eine ausnahmsweise Zeitperiode, in der. die eigenen Kulturkräfte auf das höchste angespannt waren und wertvolle Blutträger zuflossen. Das muß in Rücksicht gezogen werden.

Bei der Berücksichtigung dieses Umstandes ist es nicht uninteressant, einmal einen Ver-, gleich mit einem Lande anzustellen,, 4as- sonst, vom Natürlichen aus gesehen, ähnlichen Voraussetzungen unterliegt, der Schweiz. Stellen wir doch heute bei Erwägung unserer zukünftigen Möglichkeiten immer wieder Vergleiche gerade mit der Schweiz an. Sie ist mit ihren zirka 4,5 Millionen Einwohnern zwar kleiner als das heutige Österreich mit seinen 7 Millionen. Aber sonst haben beide in ähnlicher Weise Anteil an alpenländischem Gebirgsboden und freiem, offenem Lande. Der Unterschied in nationaler Hinsicht fällt nidit sehr in Betracht, da die schweizerisdien Franzosen nur wenig von den Deutschen ab- wrichen (Burgünde?!), "'wäh'reild' die Italiener in jener Zeit (1850) in Österreich ja auch wirksam waren. Unsere Zahlen schließen S ü d t i r o 1 für jene Zeit natürlich ein.

Schon die erste Gegenüberstellung der großen Gruppen beider Länder wirft ein tiefes, .Schlaglicht .auf ihre verschiedene Wesenheit:

Österreich Schweiz,

Künstler . . . .2114 Organisatoren . 889 Wissenschaftler . 1230 Wissenschaftler . 588 Organisatoren . 631 Künstler . ... 270 Techniker . . . 175 Techniker ... 46

Man sieht daraus ganz deutlich, daß Österreich ein musisches, die Schweiz ein politisches hand ist, denn unter den Organisatoren sind die Staatsmänner, Heerführer, überhaupt alle durch Organisation, so auch in der Wirtschaft, erfolgreichen Menschen verstanden. Die Staatsmänner nehmen in der Schweiz innerhalb der Organisatoren die weitaus überragende Stellung ein, wie überhaupt alles hervortritt, was mit dem öffentlichen, zumal politischen Leben zusammenhängt. Die tiefe Stellung der Techniker hängt mit der Jugend dieser Tätigkeit in der betrachteten Zeit (1 650 bis 185 0) zusammen. Im Range der Denkkraft stimmen beide Länder überein. Allerdings die Zahlen selbst stehen nicht mit der heutigen Einwohnerzahl kongruent. Genau genommen müßte man allerdings die Einwohnerzahlen der betrachteten Zeitperioden selbst zu einem Vergleiche heranziehen, aber es genügt hier einstweilen, die Promillesätze nach den heutigen Zahlen auszurechnen, um ein relativ richtiges Bild zu gewinnen. Danach, machen die Künstler aller Art (Maler, Bildhauer, Dichter, Musiker usw.) in Österreich 0,3°/oo, in der Schweiz nur 0,006®/oo aus. Dagegen hat die Schweiz 1,975°/oo Organisatoren, Österreich nur 0,09°/o(i. Bei den Wissenschaftlern steht das Verhältnis so, daß Österreich l,757°/(io, die Schweiz dagegen l,32 /oo, also etwa ein Viertel weniger hat. Das ist nicht wenig. Auffallend ist das Verhältnis bei' den Technikern, denn man möchte hier der Schweiz eine Vorzugstellung zusprechen, indes ist das Verhältnis zugunsten Österreichs: denn es hat 0,025° die Schweiz dagegen -0,0102“ Man wird offenbar beachten müssen, daß zur Technik Förmgefühl gehört wie zu den Künsten.

Die völlige Aufgliederung der Genialen beider Länder gibt ein wesentlich tieferes Bild. Danach haben die beiden Länder:

Auf tausend Österreicher fallen 0,59, auf tausend Schweizer 0,309 Geniale. Bezeichnender aber als diese Tatsache ist die Stufe, die den einzelnen in der Höhenleiter zufällt. Man beachte die hohe Stellung der Musiker in Österreich und die tiefe in der Schweiz. Dagegen dort den Rang der Pädagogen, die als Menschengestalter den Staatsund Heerführern offenbar etwas Verwandtes haben. Das Fehlen der Schauspieler in der Schweiz fällt ebenfalls auf, man wird abär nicht nur an den Mangel der Veranlagung für Darstellungskunst denken dürfen, weil die Einstellung des Schweizers gegen die „Komödien“ seit den Tagen Breitingers bis in das 19. Jahrhundert nachweisbar wirksam war. Dafür fällt die relativ hohe Stellung der N a t u r f o r- scher in diesem Lande auf. Es ist aber überhaupt den mehr praktischen Wissenschaften zugewandt.

Daß die Geisteswissenschaften auch durch das Interesse am Staate beeinflußt waren, zeigt sich an der hohen Zahl der Historiker, 182 = 0,0044 / .,

die ja verhältnismäßig deshalb in Österreich, 299 = 0,0042 / .,

noch kleiner gewertet werden muß, weil Österreich sich gerade in unserer Periode auf dem Höhepunkt seiner geschiditlichen Größe befand, während die Schweiz in v einem großen Teile der Periode, in den Tagen der Religionskriege und dann in der Erniedrigung der Helvetik, eine große Zeit gewiß nicht hatte. Ihre große Zeit lag seit ihrer Gründung und bis zur Loslösung vom Reiche, 1291 bis 1499, wo sie ja schließlich als die Kriegsmacht Europas dastand, etwa nach den Burgunderkriegen.

Auch die Reihung der Geistes wissenschaften beider Länder ist aufschlußreich:

Es zeigt sich deutlich, daß das Nüch- terrf-Zweckmäßige in Bsj chweiz voransteht. Und das Praktische, denn es fällt zum Beispiel auf, daß die reinen Politiker, die Theoretiker, wie die Juristen nicht sehr beliebt sind. Der Schweizer drängt immer nach der praktischen Verwirklichung.

Die Herausarbeitung der Unterschiede unserer Art gegenüber den Nachbarn ist keine Überhebung, sondern ein Antrieb, der Aufgabe gerecht zu werden, die uns gestellt ist.

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