6800366-1971_31_07.jpg
Digital In Arbeit

Ostwind über Island?

19451960198020002020

Seit dem 14. Juli hat Island eine neue Regierung. Und schon in der ersten von dieser Regierung ausgesandten Erklärung wurde klar ausgesprochen, daß sie außenpolitisch einen anderen Kurs steuern will als die bei den Wahlen unterlegene Koalitionsregierung der Konservativen und der Sozialdemokraten. Es wird unter allen Umständen ein Kurs sein, der mit dem der NATO und der USA in wichtigen Fragen nicht mehr parallel läuft.

19451960198020002020

Seit dem 14. Juli hat Island eine neue Regierung. Und schon in der ersten von dieser Regierung ausgesandten Erklärung wurde klar ausgesprochen, daß sie außenpolitisch einen anderen Kurs steuern will als die bei den Wahlen unterlegene Koalitionsregierung der Konservativen und der Sozialdemokraten. Es wird unter allen Umständen ein Kurs sein, der mit dem der NATO und der USA in wichtigen Fragen nicht mehr parallel läuft.

Werbung
Werbung
Werbung

Die konservativ-sozialdemokratische Koalition regierte auf Island zwölf Jahre. In dieser Zeit ist ein großer Teil der Bevölkerung der ständigen Gegenwart amerikanischer Truppen auf der Insel müde geworden. Es mag eine Übertreibung sein zu behaupten, daß die Bevölkerung der Insel von einer ausgesprochen US-feindlichen Stimmung erfaßt worden ist. Die Gefühle der Freundschaft und Dankbarkeit gegenüber den USA, soweit sie überhaupt vorhanden waren, sind aber zweifellos immer schwächer geworden. Es gibt wohl kein Volk in der Welt, das über die Anwesenheit fremder Truppen dm eigenen Land Freude empfinden würde, zu allerletzt kann man das von den Isländern erwarten, die durch Jahrhunderte unter schwersten Bedingungen den Gedanken der Freiheit und Unabhängigkeit von fremden Einflüssen am Leben erhalten haben.

Die parlamentarische Demokratie Islands wird oft als die älteste der Weit bezeichnet. Die Duldung einer langdaueroden Okkupation (und ist diese auch so diskret und zurückhaltend wie die amerikanische auf Island) ist mit dieser Tradition kaum vereinbar. Daß die frühere Regierung das nicht verstehen wollte, hat zu ihrem Fall beigetragen.

Olafur Johannesson (58), Jura- professor in Reykjavik, leitet nun eine Regierung, die aus der Fortschrittspartei, der neuen liberalen Linkspartei und der kommunisti schen Arbeiteralldanz besteht. Die Koalition verfügt über 32 von 60 Mandaten im Parlament. Ohne die Kommunisten wäre sie nicht lebensfähig, mit den Kommunisten aber erregt sie das Ärgernis der NATO-Führung in Brüssel und man geht sicher nicht fehl, wenn man annimmt, daß ihre Ansichten auch im Hauptquartier der EWG in Brüssel auf Mißtrauen stoßen werden.

Johannesson verlangt den Rückzug der Amerikaner aus Island im Laufe von vier Jahren. Die Militärbasis auf Keflavik soll geräumt werden. Ob die Mitgliedschaft in der NATO aufgekündigt werden soll, wurde nicht klar ausgesprochen, in der Praxis aber führen die Wege auseinander. Von Brüssel verlautet, daß die NATO-Führung der isländischen Regierung künftig gewisse militärische Informationen (die ‘allen anderen NATO-Mitgliedern zugehen!) vorenthalten will. Dieses deutlich markierte Mißtrauen dürfte die Zahl der NATO-Gegner in Island noch vermehren. Schon werden die Stimmen lauter, die eine Anerkennung der DDR durch Island fordern, obwohl Johannesson kaum geneigt sein dürfte, hier einen drastischen

Schritt zu tun, hat doch sogar das bündmsfreie Schweden Forderungen dieser Art zurückgewiesen.

Island verlangt jedoch auch die Erweiterung der eigenen Fischerei- zcxne von 12 auf 50 Seemeilen vor der Küste. Diese Forderung richtet sich vor allem gegen die Fischerei- flotten Großbritanniens, Deutschlands und Dänemarks. Also auch hier eine klare Distanzierung von bisher freundschaftlich gesinnten Ländern. Island kann allerdings sagen, daß es wie kein anderes Land vom Ertrag seiner Fischerei abhängt und deshalb eine Sonderstellung für sich beanspruchen darf. Mit einer Vollmitgliedschaft in der EWG hat man von vornherein niemals gerechnet.

Kann eine Kursänderung eines Landes mit nur 200.000 Einwohnern die Machtbalance in diesem Teil der Welt gefährden? In Brüssel, in Kopenhagen und vor allem in Oslo ist man anscheinend geneigt, eine solche Frage zu bejahen. Die Lage der Insel zwischen Grönland und Norwegen gibt ihr große strategische Bedeutung. In Oslo hat Trygve Brat- teli, dessen Arbeiterpartei 1949 den Beitritt Norwegens zur NATO durchgesetzt hat, ganz unerwartet von einer immensen sowjetischen Machtkonzentration im hohen Norden gesprochen, was „den Emst in der internationalen strategischen Situation“ unterstreche.

Es kann angenommen werden, daß Bratteli eine „isländische Entwicklung“ unter der norwegischen Bevölkerung fürchtet und dieser zeitgerecht begegnen will. Die Kursänderung auf Island ist also alles andere als bedeutungslos.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung