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Unbequeme NATO

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„Wir sind gegenüber der NATO und der EG vollständig loyal, doch wir sind nicht gewillt, weitere Verpflichtungen zu übernehmen, und vor allem nicht gewillt, jenes Gebiet noch zu erweitern, das heute durch den NATO-Vertrag gedeckt ist. Und ich zweifle nicht im geringsten daran, daß Dänemark nicht das einzige Land ist, das sich einer solchen Ausweitung des NATO-Pakts widersetzt!“ So lautete die Antwort des dänischen Außenministers K. B. Andersen auf den bekannten Atlantik-Charta-Vorschlag des amerikanischen Präsidentenberaters Kissinger.

Alle großen Parteien in Dänemark, mit Ausnahme eines Teiles der Konservativen, sind tatsächlich der Meinung, daß die Ausgaben für militärische Zwecke ohne Schaden für die Sicherheit des Landes reduziert werden könnten. Man argumentiert, daß die in Mitteleuropa eingetretene Entspannung auch zu einer Verminderung der Rüstungslasten führen müsse. Die russische Präsenz unweit von Bornholm und an der Elbe hat man in Dänemark noch nicht als eine direkte Bedrohung empfunden, wenn man sie auch nicht gerade mit freundlichen Augen ansieht. So legten im Vorjahr die Sozialdemokraten den Plan vor, die Dienstzeit von

12 auf 5 oder 6 Monate herabzusetzen, das Heer auf 7000 Mann zu vermindern und auch die Flottenstärke stark zu reduzieren. Ein so drastischer Abbau erschien den Parteien der bürgerlichen Opposition als vollständig unannehmbar, und um ihn zu verhindern, stimmte man schließlich einem weniger radikalen Vorschlag zu, nach dem die Dienstzeit von 12 auf 9 Monate herabgesetzt wird und auch die Mannschaftsstärke in allen Waffengattungen stark vermindert werden soll. Dieser Plan scheint der großen Mehrheit der Dänen akzeptabel zu sein und auch der internationalen Lage zu entsprechen, begegnet jedoch in amerikanischen Militärkreisen und im Hauptquartier der NATO schärfstem Widerstand.

Es gab scharfe Angriffe auf die Dänen, denen man ziemlich unverhüllt Unzuverlässigkeit, Ineffektivi-tät und krassen nationalen Opportunismus vorwarf. Es kam sogar zu Boykottdrohungen amerikanischer Senatoren, die Dänemark als ein „trojanisches Pferd“ innerhalb der NATO bezeichneten. Der amerikanische Botschafter in Kopenhagen und der Oberkommandierende der NATO für den Abschnitt Nord stimmten in die harte Kritik ein, von der auch das

NATO-treue Norwegen seinen Teil abbekam. Doch die Dänen ließen sowohl den Oberkommandierenden wie auch den immer schärfer reagierenden Generalsekretär Luns in Brüssel

einen guten Mann sein. Das letzte Stückchen, das sie sich leisteten, war ein Antrag im Straßburger Europaparlament, wonach sich sowohl das Europaparlament wie auch die EG mit Fragen der militärischen Zusammenarbeit überhaupt nicht mehr befassen sollten.

Als kürzlich der dänische Wirtschaftsminister Ivar Nörgaard Washington besuchte, mußte er erfahren, daß Außenminister Rogers nur das Problem der NATO-Treue Dänemarks und die militärische Situation im Nordabschnitt diskutieren wollte und nichts anderes. Rogers gab seiner großen Sorge Ausdruck, daß das Beispiel Dänemarks auch von

anderen Ländern nachgeahmt werden könnte, zum Schaden der Verhandlungsposition der Westmächte gegenüber der Sowjetunion.

Generalsekretär Luns wiederum sandte erst vor wenigen Tagen an den dänischen Verteidigungsminister Kjeld Olesen einen geharnischten Brief, in dem er mitteilte, daß die NATO-Leitung in Brüssel in diesem und auch in den folgenden Jahren besonders aufmerksam kontrollieren werde, ob Dänemark seinen Verpflichtungen nachkomme. Und diese Frage werde auch mit den Verteidigungsministern jener Länder diskutiert werden, die durch Dänemarks Pläne berührt werden könnten.

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