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Naive Neutrale

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In Schweden stellt man zur Stunde düstere Überlegungen darüber an, warum wohl im „größten Rüstungsgeschäft dieses Jahrhunderts“, der Beschaffung eines neuen Kampfflugzeuges für die Länder Belgien, Holland, Dänemark und Norwegen, die schwedischen Bemühungen um einen Bauauftrag mit einem vollständigen Fiasko geendet haben.

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In Schweden stellt man zur Stunde düstere Überlegungen darüber an, warum wohl im „größten Rüstungsgeschäft dieses Jahrhunderts“, der Beschaffung eines neuen Kampfflugzeuges für die Länder Belgien, Holland, Dänemark und Norwegen, die schwedischen Bemühungen um einen Bauauftrag mit einem vollständigen Fiasko geendet haben.

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Es gibt Beobachter, die meinen, daß hier die schwedische Rüstungsindustrie ihr .Poltawa“ erlebt habe, ebenso nachdrücklich, wie damals, als im Jahre 1709 König Karl XII. in der Schlacht, die mit diesem Namen verknüpft ist, das Ende der schwedischen Großmachtstellung erkennen mußte. Dem Zusammenbruch des Reiches folgte wenige Jahre später der Tod des Königs vor einer norwegischen Festung.

Die Exportanstrengungen der schwedischen Rüstungsindustrie zerbrachen vor allem am Widerstand der Norweger, die sich frühzeitig für die Anschaffung eines amerikanischen Kampfflugzeuges entschieden hatten. Bei einer norwegischen Entscheidung für das schwedische Allwetterflugzeug „Viggen“ hätten mit größter Wahrscheinlichkeit die Dänen, wahrscheinlich auch die Holländer, das gleiche Modell gewählt; die Belgier tendierten mehr zum französischen „Mirage“, doch auch ihre Entscheidung stand nicht fest. Allem Anschein nach war Norwegen das einzige der vier Länder, das sich vom Anfang an für die „amerikanische Lösung“ entschieden hatte, die anderen drei prüften die vorliegenden Angebote, und besonders die Holländer zeigten großes Interesse für den „Viggen“.

Das schwedische Angebot war mit einer Fülle von schmackhaften Bonbons garniert: SAAB-SCABIA, das dieses Flugzeug produziert, versprach Holland und Belgien industrielle Investitionen im Werte von mehr als zehn Milliarden Schwedenkronen. Das Flugzeug sollte zur Gänze in diesen Ländern gebaut werden und man verpflichtete sich, 4700 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Darüber hinaus sollten bestehende schwedische Industrieanlagen ausgebaut und eine neue Autofabrik gebaut werden. VOLVO, LM Erikson und SAAB versprachen hohe Investitionen auch in Dänemark und Norwegen; die Kosten des Flugzeuges hätte man demnach zu 100 Prozent durch Gegenlieferungen bezahlen können.

Man kann nicht umhin, sich bei dieser Gelegenheit an einen anderen schwedischen Versuch zu erinnern, •in Verteidigungsfragen eine Zusammenarbeit mit Norwegen zu erreichen. Schweden hatte sich gegen Ende der vierziger Jahre vergeblich bemüht, zusammen mit Dänemark und Norwegen eine Verteidigungsgemeinschaft zu bilden. Als der schwedische Ministerpräsident Tage Erl ander, tief enttäuscht, dem alten König Gustaf V. von seinem Mißerfolg berichtete, sagte dieser — so erzählt Erlander in seinen Erinnerungen: „Das hätte ich dir gleich sagen können, Erlander, ich kenne die Norweger!“

Der vorbereitende Ausschuß der ■vier NATO-Länder hatte zum Vorsitzenden den norwegischen General Sverre Hamre gewählt und schon das hätte die Schweden auf ein Fiasko ihrer Bemühungen vorbereiten können, doch sie fügten unverdrossen ihren Versprechungen immer neue Versprechungen hinzu. Um dem Spiel ein Ende zu bereiten, stellte schließlich das Komitee der schwedischen Regierung drei Fragen, von denen es wußte, daß sie niemals zustimmend beantwortet werden konnten:

•Ist Schweden bereit, soviel an Staatsmitteln zuzuschießen, daß der Preis für den „Viggen“ wesentlich ermäßigt werden kann?

•Haben die Käuferländer das Recht, den „Viggen“ an andere Länder weiterzuexportieren? (Und man meinte hier jedenfalls jenes Flugzeug, das mit finanzieller Hilfe Schwedens in den vier Ländern gebaut worden wäre.) • Ist Schweden bereit, in Krisenfällen den Käuferländern seine Dienstleistungen und Ersatzteile zur Verfügung zu stellen?

Das Eingehen auf diese Forderungen hätte die Aufgabe der schwedischen Neutralität und eine Eingliederung Schwedens in die NATO^Orgainisation dm Kriegsfall bedeutet Die Antwort auf die gestellten Fragen war demnach ein dreimaliges Nein.

Verwunderlich an dieser ganzen Affäre ist weniger die Forderung nach Preisgabe der schwedischen Neutralität als die Ahnungslosigkeit der schwedischen Regierung, die, allen Anzeichen nach zu urteilen, tatsächlich geglaubt hatte, sie könne auf dem Gebiet der Luftwaffenrüstung im NATO-Beredch amerikanische Pläne durchkreuzen. Wie naiv dürfen Neutrale eigentlich sein?

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