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Demontage einer Armee

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Die Nachrichten, die über das Bundesheer in die Öffentlichkeit gelangen, sind äußerst alarmierend. In einem einzigen Jahr wanderten tausend Ausbildner und Unteroffiziere ab. Dabei leidet die Armee auf diesem Gebiet bereits an einem erheblichen Mangel. Kommen doch auf einen Ausbildner statt 6 bis 7 Rekruten 16 bis 18, wobei diese Ausbildner teilweise selbst noch junge und nicht voll ausgebildete Unteroffiziere sind.

Der Offiziersmangel wird in Kürze katastrophal sein. Statt der notwendigen 70 Offiziersanwärter haben sich heuer nur noch ein Drittel für die Theresianische Akademie in Wiener Neustadt gemeldet, und diese Zahl dürfte in den nächsten Jahren noch weiter sinken. Warum allerdings, so fragt man mit Recht, sollte sich ein junger Mann in Österreich die Offizierslaufbahn erwählen, da doch sichtlich das Bestreben besteht, die Armee einem ständigen Schrumpfungsprozeß zu unterziehen. Diese Erkenntnis muß auf jeden deprimierend wirken.

Aber auch die Zahl der Reserve- offiziersbewerber sinkt ständig. Statt den bisher 1500 alljährlich Einjährig-Freiwilligen meldeten sich nur noch 700 für die Maturakompanie. Nicht nur Offiziere wird das Bundesheer bald zuwenig haben; auch die Zahl der nicht minder wichtigen Reserveoffiziere sinkt erschreckend. Maturanten, die einrük- ken, wollen somit vielfach nicht mehr das Reserveoffizierspatent erwerben. Sicherlich verzichten viele nicht nur axis zeitbedingten Gründen

— statt sechs Monaten zwölf Monate Dienst, wobei allerdings in den letzten sechs Monaten bereits an einer Hochschule inskribiert werden kann

— darauf, den Stand eines Reserveoffiziers zu erwerben, sondern vor allem aus ideellen Gründen. Vielen erscheint es sinnlos, Reserveoffiziere in einer Armee zu werden, deren Sinn überhaupt in Frage gestellt wird.

Zu all diesen betrüblichen Feststellungen kommt noch die weitere hinzu, daß mit dem 15. Dezember 1971 jede Einsatzbereitschaft des Heeres endet.

Nur durch eine Mobilmachung könnte wieder eine Einsatzbereitschaft erreicht werden. Aber eine Mobilmachung findet doch nur statt, wenn es fast schon zu spät ist!

Österreich ist ein kleiner Staat, es lebt, wie jedermann bekannt ist, im Vorfeld zweier Blöcke. Es ist jedermann klar, daß eine solche Situation nur bewältigt werden kann, wenn eine starke Armee die Neutralität schützt. Außerdem ist ja Österreich durch den Staatsvertrag verpflichtet, alles zu unternehmen, um seine Neutralität auf bestmögliche Weise zu schützen. Ob aber eine Demontierung der Armee wirklich dazu der richtige Weg ist? Die beiden anderen neutralen Staaten Europas, die Schweiz und Schweden, gehen demgegenüber einen ganz anderen Weg. Die Schweiz besitzt die relativ stärkste Armee Europas und ist in ihrem Kern praktisch uneinnehmbar. Nicht einmal Hitler und Mussolini, die doch die Schweiz im zweiten Weltkrieg umklammerten, konnten es dank dieser beiden Faktoren wagen, die Schweiz anzugreifen. Schweden, das andere neutrale Land Europas, besitzt durch seine Lage am Meer viele ungedeckte Flanken.

Aber Schweden besitzt nicht nur eine sehr starke Landmacht, sondern auch eine sehr große Marine und eine sehr große Luftwaffe. Bei beiden Staaten darf man außerdem nicht vergessen, daß sie wirtschaftlich konsolidiert sind; sie haben rund 130 bis 150 Jahre keine Kriege durchgemacht, sie erlebten keine Inflationen und sonstige Wirtschaftskrisen wie Österreich. Sie sind somit nicht nur militärisch gegen jeden Drude gewappnet, sondern auch wirtschaftlich.

Österreich ist wirtschaftlich nicht so konsolidiert wie die Schweiz und Schweden, und die kleine Armee, die es besitzt, wird außerdem noch ständig demontiert.

Aber wir leben ja in einer herrlichen Zeit. Alle Wünsche der Staatsbürger werden erfüllt, selbst Verbrecher, wie die drei Ausreißer aus Stein, können den Staat an der Nase herumführen und Forderungen aufstellen, die prompt erfüllt werden. Leider aber gibt es Verbrecher und Narren nicht nur in Österreich, sondern außerhalb der Grenze unseres Staates, wo einsatzbereite Divisionen nicht zur Schau, sondern mit einem klaren Auftrag bereitgestellt sind, um den Willen der Staatsführungen, wenn notwendig in wenigen Stunden, zu erfüllen.

Österreich wartet wahrscheinlich auf das Ergebnis der von den Russen mit großer Lautstärke geforderten Sicherheitskonferenz. Österreich wird hier keine Sicherheit garantiert bekommen, dehn diese ganzen Verhandlungen, wenn sie überhaupt zu einem Ergebnis führen werden, dienen ausschließlich den Großstaaten. Rußland will mit dieser Sicherheitskonferenz ja nichts anderes erreichen, als den Status von 1945 für immer und ewig sanktioniert erhalten zu sehen. Die ganze Konferenz wird ein Stück Papier ergeben, eines der vielen Papierchen, die in den Staatskanzleien liegen und wenig Folgerungen nach sich ziehen.

Die österreichische Heeresreform- kommission, die mit durchaus vernünftigen und, was vor allem wesentlich ist, von allen Parteien sanktionierten Forderungen auftrat, ist tot. Das von dieser Kommission klar geforderte Einsatzheer als Voraussetzung jeder Dienstzeitverkürzung wird nicht nur nicht aufgestellt, sondern überhaupt nicht mehr diskutiert. Damit ist die Sicherung unserer Republik trotz aller schöner Reden der Staatsmänner aufgehoben und ernstlich gefährdet.

In wenigen Tagen stehen die Budgetverhandlungen vor der Tür. Die Pessimisten im Bundesheer werden Recht erhalten in ihrer Meinung, daß auch der Voranschlag für das Jahr 1972 so schlecht sein wird, wie alle bisherigen Voranschläge. Die natürlichen Forderungen, die sich aus der Dienstzeitverkürzung ergeben, werden nicht erfüllt werden, das Bundesheer muß weiter den Riemen enger schnallen und wird Mühe haben, das noch bestehende Material zu erhalten.

Kurz gesagt: Das Bundesheer wird auf eine sang- und klanglose Art abgebaut, es bleibt ein Scheingebilde, das dem Staat keine Sicherheit bietet, aber viele Milliarden kosten wird. Ob eine Regierung, die es so weit kommen ließ, noch als außenpolitischer Partner ernst zu nehmen ist, diese Frage zu beantworten, werden die Staatskanzleien nicht zögern.

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