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Wir haben kein Heer wir sind ein Heer!

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Kritik äußerte Armeekommandant General Emil Spannocchi in einem Gespräch mit der FURCHE an der undifferenzierten Sicht vieler Wehrdienstverweigerer, die es prinzipiell ablehnten, in einem Heer zu dienen, weil dieses ein Instrument der Gewaltanwendung sei. Der General, der in den vergangenen Jahren immer wieder mit profilierten, zum Teil nicht unumstrittenen Ideen an die Öffentlichkeit getreten war, meinte, er könne sich vorstellen, daß auch Katholiken den Waffendienst in einem für offensive Zwecke gebildeten Heer verweigern. Wenn aber eine Armee, wie im Falle Österreichs, der Friedenserhaltung diene, dann sei der Katholik als Soldat nur ein „Vollzugsorgan der Kriegsverhinderung”, und dieser Funktion im Rahmen der Kriegsverhinderung könne er sich gar nicht entziehen. General Spannocchi sprach sich in dem FURCHE-Interview auch für das Prinzip der Trennung von Politik und militärischem Fachbereich aus: „Was ich fürchten würde, wie der Teufel das Weihwasser, das sind die politischen Generäle!”

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Kritik äußerte Armeekommandant General Emil Spannocchi in einem Gespräch mit der FURCHE an der undifferenzierten Sicht vieler Wehrdienstverweigerer, die es prinzipiell ablehnten, in einem Heer zu dienen, weil dieses ein Instrument der Gewaltanwendung sei. Der General, der in den vergangenen Jahren immer wieder mit profilierten, zum Teil nicht unumstrittenen Ideen an die Öffentlichkeit getreten war, meinte, er könne sich vorstellen, daß auch Katholiken den Waffendienst in einem für offensive Zwecke gebildeten Heer verweigern. Wenn aber eine Armee, wie im Falle Österreichs, der Friedenserhaltung diene, dann sei der Katholik als Soldat nur ein „Vollzugsorgan der Kriegsverhinderung”, und dieser Funktion im Rahmen der Kriegsverhinderung könne er sich gar nicht entziehen. General Spannocchi sprach sich in dem FURCHE-Interview auch für das Prinzip der Trennung von Politik und militärischem Fachbereich aus: „Was ich fürchten würde, wie der Teufel das Weihwasser, das sind die politischen Generäle!”

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FURCHE: Herr General, wie stehen die Chancen einer Realisierung Ihrer Ideen unter Verteidigungsminister Otto Rösch?

SPANNOCCHI: Das ist von mir aus gesehen schwer zu beurteilen. Die Frage an einen Österreicher zu richten, ob er sein ganzes Modell durchbringen möchte, ist- ich möchte sagen - beinahe unkeusch. In Österreich ist noch nie ein Modell als Ganzes realisiert worden. Es dreht sich also ganz sicher in unserem Land, das seit Grillparzer halben Zielen mit halben Mitteln zustrebt, darum, die Verwirklichung von Ideen und Wünschen zu optimieren. Ich halte es übrigens sogar für gut, daß dieses Land nicht von Per- fektionisten beherrscht wird, denn es stellt sich dann sehr oft heraus, daß gerade das Perfekte verkehrt sein kann…

FURCHE: Glauben Sie, daß Sie mit Ihrer „Zielannäherung” in Hinkunft zufrieden sein werden …?

SPANNOCCHI: Das ist für mich eigentlich schwer zu beantworten. Der Fachmann - auch wenn er der ranghöchste Truppenkommandant ist - hat sicherlich nicht das Recht, in einer Demokratie einer politisch verantwortlichen Persönlichkeit Zensuren zu erteilen. Ich persönlich möchte nur sagen: Ich begrüße es als Fachmann, daß wir einen politischen Vollprofi als Verantwortlichen haben.

FURCHE: Sollten Ihrer Meinung nach Fachleute, wenn möglich, überhaupt nicht in die Politik gehen?

SPANNOCCHI: Nein, was ich meine, soll nicht heißen, daß ein Fachmann nicht Politiker werden könne. Er soll aber Abschied nehmen von seinem Fachbereich. Wenn ein General Politiker werden will, soll er es durchaus werden, wie ja auch de Gaulle in die Politik gegangen ist - man kann ja nicht sagen, daß das ein schlechter Politiker war. Es gibt keinen Numerus clausus in der Politik. Der normale Fachmann, für den ich mich halte, ist auch dann noch lange kein Politiker, wenn er verpflichtet ist, politisch mitzudenken. Die einzige Möglichkeit, die er hat, wenn sein politisches Mitdenken und das, was geschieht, zu einem Dissens führen, ist, seinen Hut zu nehmen.

FURCHE: Die momentane Situation ist ja völlig neu gegenüber jeder anderen Regierungssituation seit 1970 …

SPANNOCCHI:… das ist natürlich neu. Bisher hatten wir zwei „Fachminister”, die beide Generäle waren, die in erster Linie die Voraussetzung mitbrachten, die Dinge vom fachlichen Gesichtspunkt zu beurteilen. Das scheint mir aber nur ein Teilaspekt zu sein. Ich habe das in den früheren Jahren eigentlich immer vertreten, vom ersten Tag an. Und das wurde hin und wieder so ausgelegt, ?ils sei das eine Friktion zwischen Minister Lütgendorf und mir, aber das war es gar nicht.

FURCHE: Sie sagen also, als Minister hat Rösch die oberste Verantwortung. Sie selbst - als Armeekommandant - haben aber auch eine genau abgegrenzte Verantwortung. Fühlen Sie sich und Ihre Verantwortung bei Minister Rösch in guten Händen?

SPANNOCCHI: Ich habe den Eindruck, daß Minister Rösch seine Verantwortung sehr ernst nimmt und daher auch bereit ist, die Fachverantwortung seiner Mitarbeiter ebenso ernst zu nehmen.

FURCHE: Sinngemäß sehen Sie, Herr General, den Hauptzweck unserer Landesverteidigung darin, nicht Krieg zu führen, sondern Krieg zu verhindern. Wird diese Kriegsverhinde- rungs-Funktion durch den momentanen Ist-Stand im Bundesheer befriedigend erfüllt?

SPANNOCCHI: Nein, natürlich noch nicht. Der General, der glaubt, er könnte zufrieden sein mit dem, was er hat, den kann ich mir gar nicht vorstellen. Schon gar nicht - um auf meine ersten spöttischen Bemerkungen zurückzukommen - in unserem Lande. Ich glaube allerdings schon, daß wir einen ganz beachtlichen Weg seit Beginn der Heeresreform 1972 zurückgelegt haben. Ich glaube, daß wir auf dem Boden schon einen hohen Annäherungswert erreicht haben, damit wir in einer Krisensituation unsere Grenzen sichernd schützen können. Mit der Bereitschaftstruppe sind wir bereits soweit, daß wir sie nach zwölf Stunden fast hundertprozentig einsatzbereit haben. Ich kann Ihnen versichern, daß zwölf Stunden für die Bereitschaftstruppe absolut ausreichend sind… wenn wir sie aufbieten. Wenn die Krise eskaliert zu einem Neutralitätsfall, so sind wir in der Lage, in 48 Stunden die ganze Landwehr noch aufzubieten - das sind etwa 150.000 Mann.

FURCHE: Wollen Sie damit sagen, daß unser Heer heute schon besser ist als vor der Heeresreform, obwohl die Reform noch lange nicht abgeschlossen ist?

SPANNOCCHI: Das mindeste, das wir nun aufbieten, ist schon besser als das, was wir vorher verlassen haben. Wir sind bereits besser als vor der Heeresreform… das ist meine echte Überzeugung. Das kann man auch überall nachweisen: Wir haben mehr Offiziere, wir haben mehr Unteroffiziere, wir haben mehr Chargen, wir haben eine Menge mehr Geräte, das ganze Kraftfahrzeuggerät ist neu, das ganze elektronische Fernmelde- und Verbindungsgerät, ganze Waffensysteme sind neu.

FURCHE: In welchen Bereichen des Bundesheeres sind Sie mit den bisher erzielten Fortschritten nicht zufrieden?

SPANNOCCHI: Da kann ich nur immer wieder sagen, daß unsere Neutralitätsposition in der Luft eine sehr kritische ist. Der General kann Ihnen das aber nur sagen, verantworten muß es der Politiker.

FURCHE: Herr General, Sie haben schon Vorjahren immer wieder gesagt, Österreichs Neutralität höre fünf Meter über dem Erdboden auf. Sind Sie schon damit zufrieden, daß Sie den verantwortlichen Politiker darauf hinwei- sen?

SPANNOCCHI: Der Landesverteidigungsrat hat sich völlig klar für die Anschaffung eines Uberwachungsge- schwaders ausgesprochen. Als Voraussetzung dafür wurde schon vorher der Ausbau des elektronischen Warn- und Leitsystems in Angriff genommen. Das ist heute schon so weit gediehen, daß wir schon sehr moderne Flugzeuge - vielleicht noch nicht für alle Aufgaben - einsetzen und leiten könnten. Das eigentliche Waffensystem kann erst etwa zwei Jahre nach der Bestellung wirksam werden. Das sind normale Zeiten. Die Waffensysteme, die von uns untersucht wurden, reichen in vier Fällen für unsere Zwecke aus. Die vier Fälle sind oft genug besprochen wordön: Die nicht allwetterkampf- aber allwetterflug- tauglichen Typen Kfir und Northrop aus Israel bzw. den Vereinigten Staaten sowie die Spitzenprodukte der neuen Generation, der schwedische Viggen und der französische Mirage. Wir können nur sagen, welche Flugzeuge brauchbar sind; was aber gekauft wird, hängt in höherem Maße von Minister Pahr, von Minister Staribacher und wahrscheinlich auch von der Nationalbank ab, als von uns.

FURCHE: Eine Ihrer Hauptthesen ist, unsere Armee sollte nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Laufen wir aber anderseits nicht Gefahr, Perfektion mit Unzulänglichem zu beantworten, solange wir beispielsweise nicht über Raketen verfügen?

SPANNOCCHI: Zuerst trennen wir einmal die beiden Aufgaben, Krieg zu verhindern und einen Krieg zu führen. Zum Kriegverhindern brauchen wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Raketenwaffen nicht. Wozu? Die Rakete ist vielleicht eine sehr absolute Waffe. Sie ist nur für den Krieg gebaut. Für den Friedenseinsatz, wo unter Umständen das Vorbeischießen als Warnung notwendiger ist, kann uns die Kanone auch sehr gute Dienste erweisen. Nun können Sie das natürlich auch zusammenhängend betrachten: Kriegverhinderung ist eigentlich nur dann wirklich möglich, wenn man einem, der mit dem Gedanken spielt, uns doch anzugreifen, nachweisen kann, daß das ein Unternehmen mit Blut, Schweiß und Tränen wird. Für diesen Fall ist die Rakete mehr als nützlich. Das ist keine Frage. Nur kann ich da auch wieder nur als weisunggebundener Soldat reagieren. Was ist das höhere Gut? Ich vermute tatsächlich, der Staatsvertrag.

FURCHE: In Ihrem Buch „Verteidigung ohne Schlacht” beziehen Sie sich auf die Strategie der Partisanen Titos und entwickeln daraus ein Modell eines Milizheeres für Österreich, wie es derzeit bereits in die Praxis umgesetzt wird. 1st dieses Milizheer in der Lage, Österreich gegen einen Aggressor zu schützen?

SPANNOCCHI: Jeder österreichische Soldat, der glaubt, er könnte verhindern, daß dieses Land von einem zum wirklichen Angriff entschlossenen Aggressor zum großen Teil besetzt’ wird, ist ein Illusionist. Wenn die Russen oder die Amerikaner entschlossen sind, unser Land zu besetzen, dann werden sie es besetzen, da können wir uns auf den Kopf stellen. Aber dennoch gilt: Das beste, was einem Aggressor passieren könnte, ist die zweite Schlacht von Dürnkrut. Denn je mehr er mit einem Schlag vernichten könnte, desto mehr dient ihm das.

FURCHE: Ihre These lautet also: Statt einer großen Schlacht, die nur verloren werden kann, eine Vielzahl kleiner Gefechte. Ist dieses System, das mit der Struktur einer milizartig organisierten Armee eng zusammenhängt, so erfolgversprechend, daß es nicht nur am ersten Tag funktioniert, sondern auch nach zehn Tagen, nach einem Monat und noch später?

SPANNOCCHI: Genau das ist das Wesen des Milizsystems. Das Einsatzheer alter Art funktioniert nur einen Tag. Unser Ziel ist hingegen das, wofür die Schweizer die schöne Formulierung haben: Wir haben kein Heer- wir sind ein Heer, wenn’s darauf ankommt!

Das Gespräch mit Armeekornmandant General Emil Spannocchi führte Alfred Grinschgl.

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