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Noch ist alles offen

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Wenn nicht alles täuscht werden die drei Parteien noch vor der möglichen Parlamentsauflösung zu einem Beschluß in der Bundesheerfrage kommen und damit dieses Problem aus dem Wahlkampf ausklammern. Vor mehr als einem Jahr wurde eine Reformkommission für das Bundesheer aufgestellt und man durfte hoffen, daß es gelingen werde, alle seit langem aufgestauten Probleme einem befriedigenden Ende zuzuführen. Diese Kommission hat trotz einer nicht ganz geglückten Zusammensetzung im Oktober einen Entwurf vorgelegt, der allen Wünschen, abgesehen denen der radikalen Linken, entsprach und einen Plan für ein brauchbares Heer entwarf.

Nun hatten die Politiker das Wort. Es sind seither neun Monate vergangen, unzählige Sitzungen und Parteibesprechungen wurden abgehalten, ein neuer Minister kam, aber eine Entscheidung fiel dennoch nicht. Die Schuld lag bei beiden Großparteien. Kreisky wollte ohne ÖVP keine Lösung, die kleine Koalition war ihm zu wenig und das war gut. Ein Heer zu formieren, ohne die Zustimmung der fast gleich starken Opposition war zu gefährlich und für das Bundesheer unbrauchbar, denn eine Lebensfrage gegen den Willen der halben Bevölkerung durchzusetzen, das kann dem Heer nur schaden.

Welche Probleme sind nun noch offen? Alle. Außer einem, daß die halbjährige Dienstzeit für die Wehrpflichtigen seitens aller drei Parteien außer Frage steht.

Offen sind die Bereitschaftstruppe, die Waffenübungen und der Geldbedarf.

Die Bereitschaftstruppe soll jene Druckknopftruppe werden, die bei Unruheherden an der Grenze sofort in wenigen Stunden marschbereit ist und kleine Brände auslöschen kann. Die Situation im Jahr 1956 in Ungarn oder 1968 in der CSSR haben gezeigt, wie rasch bei unseren Nachbarn Krisenlagen entstehen können und in „brüderlicher Hilfe“ eine dritte Macht mit Gewalt eingreifen kann. Niemand kann uns garantieren, daß diese Macht oder ihre „Gehilfen“ in Krisenlagen an unserer Grenze halt macht. Ist einmal der Bann der neutralen Grenze an einer Stelle gebrochen, kann eine Lawine an dieser oder an einer ganz anderen Stelle entstehen, und dann ist unsere Freiheit verloren. Ob wir sie dann noch einmal bekommen, weiß niemand. Die Ennslinie wieder als Demarkationslinie überschreiten zu müssen, sollte ein Österreicher nicht mehr erleben. Daher ist eine Bereitschaftstruppe eine Staatsnotwendigkeit und nur die Stärke und Zusammensetzung sind Fragen, über die man reden kann.

Vor einem aber muß gewarnt werden: eine Alibi-, sprich Scheintruppe zu schaffen. Mit Lösungen, wie siebeneinhalb Monate Dienstzeit kann eine echte Truppe nicht aufgebaut werden. Übergangslösungen können notwendig sein, aber — in Österreich werden Provisorien gern zu Dauerlösungen, die der Staatssicherheit nicht dienen.

Die nächste Frage, die Länge der Waffenübungen, ist viel verzahnter als sie angegeben ist. Hier ist der Zweck der Übung allein maßgebend. Die Dauer der Ubungszeit ist verschieden je nach Dienstgrad oder besser Funktion des Übenden. Die Zeit der Übung vom Gefreiten bis zum Hauptmann der Reserve bedarf einer gründlichen und längeren Ausbildung als die des Reservisten, der nur eine Funktion einfacher Art im mobilgemachten Heer auszufüllen hat. Genügen beim letzteren 40 Tage, so muß der Reservist des Reserveheeres je nach Funktion wesentlich mehr Waffenübungstage ableisten.

Hier muß man abwarten, ob der SPÖ-Obmann sich gegen seine Linke und gegen die lautstarken Jungfunktionäre durchsetzen kann. Seine staatsmännische Einsicht steht außer Zweifel, doch seine Standfestigkeit den linken Krakeelern gegenüber muß er noch beweisen.

Gerade die junge Linke, die ohne Rücksicht auf Staat, Sicherheit oder, kurz gesagt, gegen jede Vernunft agiert, ist heute nicht nur in Österreich, sondern in allen demokratischen Staaten die große Gefahr, die Demokratie abzuwürgen.

Der letzte Punkt, der nie in Österreich eine befriedigende Lösung finden wird, ist die Geldfrage. Wenn im Brief der 1700 Offiziere der Wunsch nach einer 5-Prozent-Dotderung des Bundesheerbudgets verlangt wurde, wäre das bei einem Ansatz von 120 Milliarden im Jahr 1972 sechs Milliarden Schilling. Das sind leider unerfüllbare Wunschträume.

Selbst die ÖVP-monokolore Regierung 1966 bis 1970 hat dies versagt. Dabei hat der sehr robuste Minister Prader mehr als einmal gegenüber hochmassiven Forderungen das Nein des Finanzministers und ein Ausweichen des Bundeskanzlers zur Kenntnis nehmen müssen. Sparen am richtigen Platz, ein Verzicht auf viele als nützlich scheinende Dinge sind das einzige Programm, mit den vorhandenen Mitteln auszukommen. Es gibt Möglichkeiten des . Sparens. Wenn man ein Mobheer von zum Beispiel 180.000 Mann braucht, zehn Jahrgänge einberufen will, sind 40.000 Rekruten zu viel. Jeder Rekrut, der sicher 15.000 Schilling kostet und nicht mehr gebraucht wird, ist verlorenes Geld, das man in der Ausbildung, Materialerhaltung usw. besser gebrauchen kann. Weg von der Magie der großen Zahl! Wozu halbjährlich 6000 bis 8000 ausbilden, die nur halbtauglich sind? Eine Ersparnis von rund 100 Millionen, in einem Heer, das um jeden Liter Benzin kämpfen muß, das wichtige Ersatzteile nicht bestellen kann, ist eine sehr hohe Ziffer. Ein Heer ist nie fertig oder gar endgültig organisiert. Aber es gibt Perioden der Ruhe und der Strukturänderung. Diese Änderung ist seit mehr als einem Jahr notwendig. Wir wollen mit den Worten des Bundespräsidenten, des heutigen old man der Republik, den Artikel beenden:

„Die Verteidigungsbereitschaft muß vom ganzen österreichischen Volk materiell und moralisch gesichert sein.“

Jawohl: von allen staatstragenden Teilen, vornehmlich von den drei Parteien des Nationalrates.

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