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Der Torso bleibt

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Der neue Bundesheerminiister, Brigadier Lütgendorf, hat sein Amt angetreten. Lütgendorf ist sicher ein vorzüglicher Fachmann, der sämtliche Probleme kennt und der sicher sein Bestes versuchen wird. Warum Kreisky wieder einen Fachmann genommen hat un,d keinen Politiker, wird er wohl nie sagen, denn die Aufgaben, die jetzt zu lösen sind, sind mehr politischer als militärischer Art, vermutlich glaubt er, als Kanzler weiter die Zügel in der Hand zu behalten, denn ein Fachmann ist in der Regierung vom Bundeskanzler abhängig und muß sich letzten Endes den Entscheidungen des Kanzlers beugen oder die Konsequenzen ziehen und abtreten. Sicher wird Lütgendorf sich über die Schwierigkeiten im klaren sein, die ihm von allen Seiten entgegensteheai. Auch im eigenen Amt sind die Meinungen über ihn nicht einstimmig, anders als bei Freihsler, aber Lütgendorf ist ein vitaler, gesunder

Mensch, ist in dieser fflnsicht seinem Vorgänger weit voraus und wird sich im eigenen Amt sicher durchsetzen, wenn es sein muß mit Härte. Man kann nur im Interesse des Heeres hoffen, daß er seine Arbeit gut vorbereitet, gut überlegt und abgesprochen mit allen politischen Faktoren beginnen wird und sich in keine gewagten Aktionen einlassen wird. War diese Wahl Kreiskys sicher längst fällig, so steht die zweite Entscheidung noch aus: Wie lange wird die Dienstzeit dauern? Die Sozialistische Partei muß ihr Wahlversprechen der sechs Monate einhalten und suchte eine Mehrheit im Parlament. Von selten der Freiheitlichen wurde der Gedanke aufgegriffen, eine zeitlich gestaffelte Dienstzeit ehizufüh-ren, für dieses Jahr sdebeneinhalb Monate und im Laufe des Jahres 1972 erst auf sechs Monate überzugehen.

Eine echt österreichische Scheinlösung, die den Parteien erlaubt, ihr Gesicht zu wahren, aber dem Bundesheer nichts einbringt. Was braucht das Heer? Die Reform-kommlsslon hat mit überwältigender Mehrheit die Aufstellung einer Bereitschaftstruppe, sprich Berufsheer, giefomdert, und zwar in edner Stärke von 15.000 Mann. Die neue Entscheidung, die vermutlich im Parlament die Mehrheit finden wird, bringt kein Bereitschaftsheer, sondern kürzt nur die Dienstzeit, um ein Kompromiß zwischen Wahlversprechen und der scheinbaren Bereitschaftstruppe zu erfüllen. In Wirklichkeit ist mit dieser Übergangskürzung niemandem geholfen, das Bundesheer steht Ende dieses Jahres ohne Bereitschaftstruppe da, denn die neunmonatige Dienstzeit war das Minimum, um noch eine Bereitschaftstruppe aufstellen zu können, wer unter neun Monate geht, verzichtet darauf.

Bei Vollbeschäftigung und bei der Bezahlung, die geboten wird, ist es nicht zu erwarten, daß In den nächsten zwei bis drei Jahren die geforderten 15.000 Mann sich melden werden, und Österreich wird damit keine sofort einsatzbereite Truppe haben. Die Einsatzbereitschaft wird nicht vorhanden sein, oder nur von schlecht ausgebildeten Soldaten, die in der Schlußansprache des Generaltruppeninspektors bei der letzten Sitzung der Reformkommission als Kanonenfutter bezeichnet wurden. Die außenpolitische Lage in Österreich ist nun, scheinbar entspannt, in Wirklichkeit mehr als gespannt. Die Unruhen in Polen können heute jederzeit auf andere Staaten übergreifen, der Einsatz des großen Bruders innerhalb der Warschauer Paktorganisation könnte herausgefordert werden und wir haben an unserer Grenze Unruhen, ja offenen Kampt früher, als man es für möglich hält, ohne Bereitschaftstruppe muß das Heer dann mobilgemacht werden.

Eine Mobilisierung ist nach Ansicht mancher Politiker ein heißes Eisen und wird nur sehr ungern als letztes Auswegmittel ergriffen. Eine Mobilisierung dauert lange Zeit, denn die personelle Mobilmachung ginge zwar rasch, aber die notwendig materielle Mobilmachung wird Tage dauern, und in dieser Zeit sind Österreichs Grenzen ungeschützt. Zur Budgetfrage: Das Budget 1971 war derart gekürzt, daß die Erhaltung des Heeres nicht gewährleistet ist. Kreisky hat zwar in einer Ausschußsitzung im Parlament andeutungsweise mehr Geld versprochen, aber letzten Endes die Frage offengelassen, in welcher Höhe dieses Versprechen in Erfüllung gehen soll. Ohne genügend Geld ist ein Heer hilflos und kann seine Funlctionen nicht erfüllen. Das österreichische Budget für das Bundesheer ist seit Jahren zu klein.

Das Entscheidende ist aber trotzdem nicht das Geld und nicht die Dienstzeit. Das Entscheidende ist und bleibt die innere Einstellung der ösiterreichisohen Bevölkerung und die seiner politischen Funktionäre. Ohne einen Wandel in den Anschauungen \md in der Bereitschaft, den Staat zu verteidigen, wird alles ein Torso bleiben, ob man neun oder sechs Monate wählt, ob man dred oder vier Milliarden zahlt. Sicher, wenn ein militärischer Block einen Kleinstaat überrennen will, wird es ihm gedingen, aber es ist kaum anzunehmen, daß der zweite Block zusehen wird — und damit beginnt der Aggressor einen neuen Weltkrieg, den heute alle Blöotee scheuen. Wenn man aber keine Verteidigung aufbaut tmd ein Kleinstaat mangels jeden Widerstands in Stunden verschwindet, so ist es sehr fragwürdig, ob dann noch der zweite Block bereit -ist, einzu-gneifen, um zu helfen. Ohne Heer kann man keine Außenpolitik betreiben, und ohne Heer gibt es keine Freiheit.

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