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„Keine Unkenrufe“

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Also sprach der Bundeskanzler: „Das Heer bleibt auf die Wehrpflicht beschränkt, ein Einsatzheer aus längerdienenden Soldaten wird es in Österreich nicht geben.“

Er hat dabei vergessen, daß die Heeresreformkommisison im Jahr 1970 die Wehrpflicht nur unter der Bedingung von neun auf sechs Monate reduziert hat, daß neben dem Milizheer (und mehr ist ein Heer mit sechsmonatiger Dienstzeit nicht) eine jederzeit einsatzbereite Truppe aufgestellt werde. Für diese Truppe schlug eine Kommission eine Stärke von 15.000 Mann vor.

Dieser Plan, im Einverständnis mit allen sozialistischen Mitgliedern der Reformkommission beschlossen, sollte die Idee einer Dienstzeitverkürzung verwirklichen helfen. Mit dieser Idee hatte ja Kreisky seinen Wahlsieg eingeleitet. Sie brachte ihm Erfolg: im ersten Wahlgang (1970) erhielt er die relative, im zweiten (1971) die absolute Mehrheit.

Vergessen sind alle vernünftigen und realisierbaren Vorschläge der Reformkommission, das Heer wurde in den letzten zwei Jahren auf eine Sparflamme gesetzt, es schrumpft langsam ein. Denn ohne längerdiendende Soldaten und ohne ein vernünftiges Budget ist kein Herr aufrechtzuerhalten.

Welche Folgen hat der letzte Kreisky-Beschluß, bei einer sechsmonatigen Dienstzeit letztlich ein Milizheer aufstellen, aber dafür keinerlei Einsatzbereitschaft zu erreichen? Der einzelne Soldat braucht zumindest vier Monate, bis er in einen Verband von Längerdienenden (und wenn es nur Neunmonatsoldaten sind) eingeteilt werden kann. Die Einheit selber, Kompanie oder Batterie, braucht länger. Man kann im besten Fall sagen, daß eine Kompanie nach sechs Monaten so weit ist, daß sie Grenzschutzaufträge übernehmen kann, daß also ihre Einsatzbereitschaft erreicht ist.

Versuche, bei kürzerer Dienstzeit Einsatzbereitschaften zu konstruieren, sind Spielereien, Papiergebilde, die der harten Wirklichkeit nicht standhalten. Man mag auf dem Papier manches schön ausmalen, aber zwischen einem echten Soldaten, ob Panzerschütze, ob Kanonier, Pionier oder MG-Schütze eines Jägerbataillons und einem Papiersoldaten, der nur den Wert von Kanonenfutter hat, ist doch ein großer Unterschied! Kein Staat kann es verantworten, seine Sicherheit einem ungenügend ausgebildeten Heer anzuvertrauen.

Anscheinend ist Kreisky gegen ein echtes Heer. Er hat in Schweden nicht umdenken gelernt: Schweden hat nämlich ein echtes Heer. Von der Schweiz wollen wir erst gar nicht reden.

Ist der Wahlerfolg dem Bundeskanzler wichtiger als die Sicherheit Österreichs?

Nun könnte jemand fragen, ob Österreich überhaupt ein Einsatzheer braucht. Man könnte ja eine Miliz mobilisieren wie die Schweiz. Die Schweiz ist in der glücklichen Lage, Zeit zu haben. Keiner ihrer Nachbarn wird sie bedrohen — was im Falle Österreichs nicht ganz so selbstverständlich ist. Im Falle Österreichs kommt es darauf an, schon den kleinsten Brand an unseren Grenzen auszulöschen. Und so ein kleiner Brand kann sowohl zwischen dem Warschauer Pakt und der NATO auftreten, wie auch innerhalb eines dieser beiden Machtblöcke. Es könnten Freischärler, verfolgt von regulären Truppen, an unseren Grenzen auftauchen und diese überschreiten. Was dann aus einem solchen Übergriff entsteht, kann sich niemand ausmalen. Daher eben die Forderung, sofort einsatzbereite Truppen zu besitzen, um sie in einem solchen Ernstfall an die Grenze werfen zu können.

Das sind keine Unkenrufe, sondern Realitäten, mit denen man rechnen muß. Wir leben leider nicht auf einer Insel der Seligen, wo man selbstzufrieden die Welt ringsum betrachten und kühn behaupten kann, wir gingen eben unseren eigenen, unseren „österreichischen“ Weg, das sei das sicherste.

Die anderen Staaten, vor allem die friedliebenden, haben nicht deshalb Armeen aufgestellt, weil sie diese als Spielzeug für Politiker oder Soldaten benötigen, sondern weil sie wissen, daß die Welt sehr hart und böse sein kann und daß trotz aller schönen Worte bei Tagungen, Diplomatencocktails und Staatsbesuchen der Friede weit von uns entfernt ist. Der Wille zur Macht und der Wille, an der Macht zu bleiben, sind stärker als schöne Worte. Auch der Friedliebende muß sich selbst verteidigen.

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