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Die Märchendivisionen

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Eine ausländische Zeitung von Rang und politischer Stellung klagt Österreich an, es habe die Moskauer Deklaration vom 1. November 1943, daß es sich der Verantwortung für die Teilnahme am Krieg auf Seiten Deutschlands nicht entziehen könne und bei der endgültigen Regelung der eigene Beitrag Österreichs zu seiner Befreiung un-, umgänglich in Betracht gezogen würde, nicht als Warnung und Aufruf aufgefaßt, es werde sogar versucht, die historische Tatsache zu entstellen und die wahre Rolle Österreichs im Krieg zu vertuschen. Österreich habe, von 1938 bis 1945 insgesamt 1,6 M i LI i o n e n S o 1 d a t e n u n d O f f i-ziere gestellt,-das heißt, zwei Drittel der gesamten erwachsenen Bevölkerung. Aus diesen Soldaten seien 35 Divisionen aufgestellt worden, die aktiv an den Kämpfen teilnahmen. Allein 17 dieser Divisionen hätten an der sowjetisch-deutschen Front, 10 gegen Jugoslawien gekämpft.

Ähnliche, Behauptungen sind wiederholt aufgetaucht. Hier wurden sie in besonders präziser, scheinbar auf Glaubwürdigkeit ansprucherhebender Form wiederholt. Man darf zu derartigen Entstellungen von Tätsachen nicht schweigen, schon gar nicht dann, wenn man mit glühendem Herzen Österreicher ist und war und als solcher über sechs Jahre in Hitlers Armee zwangsweise dienen mußte,

Als am 1. November 1943 die' damaligen Außenminister der großen Drei in Moskau die für unser Vaterland so schicksalhafte Erklärung abgaben, erfuhren viele in dem mit tausend Riegeln gegen die Außenwelt versperrten Österreich diese Manifestation nicht oder verstümmelt. Viele andere vernahmen die Offenbarung hinter verschlossenen Türen, in -Stuben und Kammern, die Ohren hart an das leise aufgedrehte Radio gedrückt. An der Front war es nicht anders. Nur da und dort- “gab es ein Rundfunkgerät. Doch allen, ob in der Heimat oder an der Front, die die Kunde hörten und in denen ein österreichisches Herz schlug, entrang sich ein gedämpfter Freudenruf, als sie die Worte vernahmen von der Wiederherstellung eines freien, unabhängigen Österreich. Den Glauben daran haben wir nie verloren. Wir faßten die Erklärung als Appell auf und handelten danach. Männer und Frauen„ Arbeiter, Bauern und Intellektuelle, alle nach der Art, wie es eben möglich war, wie jeder konnte, jedoch alle für ein Ziel: „Österreich“. Beweise hierüber liefert- das Rot-Weiß-Rot-Buch zur Genüge. Könnten aber die Konzentrationslagerstätten, die Schaffotts und Galgen nur einen Laut hören lassen über all die widerstrebenden Österreicher, die sie marterten, köpften i der hängten, es wäre ein Schrei, der die Welt übertönte.

Doch Bitternis emofmden wir alle über den; harten Satz, der da lautete: „Mitverantwortung am Kriege“. So ist es auch heute. Damals wie jetzt fragt man sich hundertmal: „Warum, aus welchem Grunde lastet man uns Verantwortung und Schuld an?“ Vielleicht deshalb, weil, wir unter Druck und Gesetzeszwan;. zu „Ostmärkern“ umgenannt, in die deutsche Wehrmacht und damit in Hitlers Krieg gedrängt wurden? Für diejenigen, die sich diesem Zwang widersetzten, bedeutete dies Tod und auch für ihre „Sippe“, wie es teuflisch in Hitlers Geheimbefehlen hieß. Genug sind diesem Wüten zum Opfer gefallen.

Aber dennoch sollen wir mitverantwortlich sein am Kriag, weil aus 1,600.000 „Ostmärkern“ 35 Divisionen gebildet wurden, die an den verschiedenen Fronten standen? Schon diese Rechnung stimmt nicht. 35 Divisionen ergeben nicht 1 Vi Millionen Soldaten, wenn man auch die Stärke der zahlenmäßig größten Divisionen, der Gebirgsdivisionen mit ihrem großen Troß, die 25.000 Mann Sollstand gegenüber 15.000 der Infanteriedivisionen zählten, als Berechnungsgrundlage annimmt. Nach den amtlichen österreichischen Ermittlungen waren es 80 0.0 00 Österreicher, die irgendwie zum Einsatz kamen. Will man von Verantwortung und Schuld sprechen, dann muß man feststellen, wieviel von den eingerückten Österreichern dies freiwillig taten.

Ihr habt aber auf uns geschossen, sagt man uns, und deshalb eure Mitverantwortung am Kriege! Nicht die Österreicher als einzelne und auch nicht österreichische Regimenter oder Divisionen — denn es gab weder ein österreichisches Regiment und schon gar nicht auch nur eine einzige Division — haben auf der anderen Seite geschossen, sondern es war die deutsche Kriegsfront, in die wir als Ostmärker eingezwängt waren. Wir waren verzettelt, dort einer am MG, dort einige bei den Granatwerfern und an den Geschützen, bei den Pionieren usw., andere bei der Flak und bei , den Fliegern. In all den sechs Kriegsjahren war ich bei keiner Kompanie, die zur Gänze aus Österreichern bestand, und ich bin vielmal versetzt worden. Ich habe von einer österreichischen' Kompanie auch nicht einmal etwas gehört oder gsehen, geschweige denn von einem Regiment oder von einer Division. Andere Staaten, die aber tatsächlich mit „Freiwilligenkorps“ Hitlers Armeen und Kampffront stärkten, sie bleiben heute ungeschoren, man spricht nicht einmal mehr davon.

Auf eines wird aber nie hingewiesen, weder in Österreich, noch im Ausland! — Was waren denn das für Soldaten, die im Frontgebiet wie auch in der Etappe aufgefallen sind durch ihr faires, vermittelndes, ja herzliches Verhalten gegenüber der hart bedrängten Zivilbevölkerung, gegenüber den Kriegsgefangenen und gegenüber den sogenannten Hilfswilligen, die zu Tausenden in die Troß- und Etappenreihen unter Zwang eintraten? Fragt die Bevölkerung in all den vom Hitlerkrieg überrannten Ländern, fragt eure ehemaligen Kriegsgefangenen, sie werden euch, wenn sie ehrlich sind, antworten: „Es waren die Österreicher!“

Jawohl, wir waren es, wir Soldaten aus der österreichischen Nation. Uns hat man stets überall und gleich erkannt. Wir teilten aus unserem Brotbeutel oder Rucksack mit den hungernden Frauen und Kindern im besetzten Land unser Brot, unsere Marschration. Wir beförderten trotz höchster Strafe hinter die Stacheldrähte der Gefangenenlager einiges Eßbares. Wie vielen dankbaren Blicken sind wir begegnet, wie-vieler dankbarer Worte in den verschiedenen Sprachen können wir uns noch erinnern! Es waren Evakuierungen und Requisitionen befohlen. Die davon betroffenen Leute weinten und schrien um ihr Haus, um ihre letzte Kuh, um ihr Hab und Gut, um ihre Heimat. Österreicher waren es wieder, die Verständnis hatten und die Leute illegal in ihren Häusern ließen und ihr Hab und Gut schützten. Ich erinnere mich der Zeit jener grauenvollen Vergeltungsmaßnahmen, mit denen die deutsche Heeresleitung auf die Erhebung des italienischen Volkes in den Tälern südlich von Florenz antwortete. Geht fragen, wer diejenigen waren, Offiziere und Mann-schaftspersonen aller Grade, bei denen damals die unglückliche, bestialisch behandelte Bevölkerung Hilfe suchte und fand! Oft sind damals entmenschte Befehle nicht ausgeführt worden, weil sich Soldaten und Offiziere weigerten, sich zu Mördern herzugeben. Fragt sie, die überlebenden Zeugen dieser Greuel! Österreicher waren es. Österreicher waren es, die, in entsprechenden Stellen mit Befehlsgewalt oder Durchführungsüberwachung eingeteilt, harte Maßnahmen verhinderten oder sabotierten. Wie dankbar hatte die Bevölkerung des in Kriegsnot liegenden Landes es vermerkt in ihrer Art, in ihrer Sprache: „D a s sind Österreicher!“

So stand es mit uns in den Soldatenreihcn der Hitlerfront. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich bestätigen, daß es unter den reichsdeutschen Soldaten manche gab, die Gleiches taten. Ich lernte charaktervolle Männer kennen, die Hitler und seinen Nationalismus zu Tode verdammten. Diejenigen aber, die herausstachen, die eine Vielzahl bildeten, 'das waren wir Österreicher. Ich kann es beweisen, weil ich es selbst miterlebt habe, schon 1939 in Polen, 1941 bis 1943 in Rußland und 1944 bis 1945 in Italien. Und so war es auch an allen anderen Fronten.

Eine historische Tatsache, die nicht entstellt werden kann, ist die Rolle, die von Tausenden von Österreichern unter Todesverachtung gespielt wurde.

Wird , uns niemand dafür danken? Soll es immer nur jene ungerechte Anklage geben? Dies, nicht mehr wollte und mußte ich sagen, weil es um Österreich, um unsere Nation, um unser Vaterland geht.

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