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Länder-„Schuß“ fürs Bundes-Heer

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Ein Aspekt wurde in der Bundesheer-Reformdiskussion noch überhaupt nicht angesprochen: Warum denn keine Föderalisierung? Um das Thema wird auch bei jeder Föderalismus-Diskussion ein auffallend großer Bogen gemacht - obwohl die Bundesverfassung (Artikel 81) Mit- wirkungsmöglichkeiten (ungenutzt) anböte.

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Ein Aspekt wurde in der Bundesheer-Reformdiskussion noch überhaupt nicht angesprochen: Warum denn keine Föderalisierung? Um das Thema wird auch bei jeder Föderalismus-Diskussion ein auffallend großer Bogen gemacht - obwohl die Bundesverfassung (Artikel 81) Mit- wirkungsmöglichkeiten (ungenutzt) anböte.

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Schäden in Milliardenhöhe ha - ben die letzten Unwetter in ei- nigen Bundesländern bewirkt. Auch das Bundesheer wurde zur Kata- strophenhilfe gerufen. Und es kam - wie immer.

Der Militärkommandant von Vor- arlberg hatte den Mut, die Soldaten einer Stabskompanie (üblicherwei- se die Mechaniker, Köche...) wegen einer Überschwemmung einzuset- zen. So weit, so gut.

Doch nun zum Kern: Sprechen nicht allzuviele Zeichen dafür, daß Umweltschäden und Klimaverän- derung die Häufigkeit von solchen

Katastrophen vermehren werden und daß die österreichische Bevöl- kerung verstärkt Hilfe auch von unserem Heer erwartet? Wenn dies stimmt, wäre es dann nicht besser, wenn der Militärkommandant (bei allem Respekt vor der Leistung) statt einem Ad-hoc-Einsatz von Köchen und Mechanikern über eine Vorarlberger Pionierkompanie ver- fügen könnte, die nicht nur enga- gierte, sondern auch hochqualifi- zierte Arbeit leisten könnte?

Die Antwort sollte nicht allzu schwierig sein.

Eine „neue“ Lage erfordert neue Mittel: eine „Pioniertruppe neu“ mit der Zusatzaufgabe „Umwelt- schutz“ muß her. Da in jedem Bun- desland andere Einsatzbedingun- gen (siehe Unterschiede Vorarlberg und Burgenland) vorhanden sind, hätte diese „Pioniertruppe neu“ länderangepaßt organisiert zu sein.

Obwohl diese Truppen Teil des Bundes-Heeres wären, würden sie einen „kräftigen Schuß“ Fördera- lismus benötigen. Warum sollte das Land keine Mitsprache bei einer Aufstellung ihrer „Pioniertruppe neu“ erhalten? Dies könnte vom Umfang (Kompanie, Bataillon) über Ausrüstung (Brückengeräte et ce- tera) bis hin zur Verfügimg über die Tage der Truppenübungen gehen. Ein Teil dieser „Pioniertruppe neu“ müßte rasch verfügbar sein, je nach Größe der Katastrophe müßte eine Verstärkung durch Miliztruppen möglich sein.

Schlechte Motivation, Ausbil- dungsstand, Ausrüstung und Aus- stattung für die Länder-„Pionier- truppe neu“ ist dann nicht mehr Sache des „Bundes“ allein, sondern die Länder sind voll in die Verant- wortung miteingebunden. Ein po- litisches Akzeptieren eines schlech- ten Ausstattungs- und Ausbil- dungsstandards beziehungsweise eines populistisch „sozialen Klein- krieges“ gegen das Bundesheer hätte als Konsequenz das „Versa- gen“ im Falle einer großen Um- welt- oder technischen Katastro- phe - wofür dann auch die Länder vor ihrer Bevölkerung gerade ste- hen müßten.

Diese „Pioniertruppe neu“ wäre durch ihre besonderen militäri- schen Fähigkeiten augenscheinlich prädestiniert, der Doppelfunktion unseres Heeres, „verteidigen und helfen“, Sinn zu verleihen. Denn wer sprengen kann, kann auch Lawinen absprengen, wer Brücken für den Einsatz bauen kann, kann dies auch im Katastrophenfall...

Und bei einer bundesweiten Großkatastrophe wäre ein „Viri- bus unitis“ selbstverständliches Gebot.

Wer über den reinen Einsatz vor Ort hinaus und in Bundesländer- größen denkt, wird dieser „Pionier- truppe neu“ noch drei weitere Ele- mente beistellen: Eine Auf klärungs- truppe, die rasch aufklären und sichern, eine Fernmeldetruppe, die landesweit Verbindung herstellen und mit einem Umweltschutz-In- formationssystem arbeiten sowie eine ABC-Truppe, die bei beson- ders sensiblen Fällen helfen kann.

Aus dieser „Ländertruppe“ könn- te auch die Substanz für den inter- nationalen Einsatz der „Grün-, Weiß- und Blau-Helme“ kommen, die, wie wir von unseren „Blau- Helmen“ wissen, viel Heimatstolz und Motivation als Tiroler, Steirer

(und so weiter) einbringen und selbst im Ausland von ihrem Bun- desland unterstützt werden.

Nur Vorteile also? Sicher nicht, denn wer „fürchtet“ nicht die Ent- scheidung der „Landesfürsten“, ob sie einem Einsatz „ihrer“ Truppen im „feindlichen“ Nachbarbundes- land zustimmen werden? Wird da- mit vielleicht sogar der erste Schritt zu einer „Libanonisierung“ gesetzt?

Die Antwort darauf liegt sicher im Grundverständnis über das Wesen unserer Republik und dem Stellenwert des Prinzips des Föde- ralismus. Liegt die Wahrheit im: „der Bund ist alles“ oder: „ohne Länder geht nichts“, oder ist wie-

der einmal der goldene Mittelweg der richtige?

Auch im Heer gibt es Bedenken gegen eine „Verländerung“ des Bundesheeres. Je stärker der Ge- danke der zentralen Führung des Heeres, der Konzentration der mobilen Kräfte und der Absicht „Landesverteidigung von oben“ durchzusetzen ist, desto stärker ist die Ablehnung.

Diese Überlegungen haben eini- ges für sich. Sie sind dennoch un- vollständig, da sie in einer Zeit der schwindenden Zustimmung zum Heer eher kontraproduktiv wirken. Ein Heer der Zukunft wird in der Schere zwischen einer dramatisch

abnehmenden militärischen Bedro-

hungswahrnehmung und den zu- nehmenden Bedrohungsängsten vor Katastrophen sowohl seine Nütz- lichkeit nachweisen als auch eine Identifikation ermöglichen müssen.

In einer Zeit, in der lokale Inter- essen und Leidenschaften rasant an politischer Kraft gewinnen, wird auch das Heer Antworten darauf finden müssen. Kann die lokale Mentalität „nicht bei uns, sondern beim Nachbar“ durch einen star- ken Verteidigungsminister, der „seine“ militärischen Anliegen durchsetzt, überwunden werden? Oder ist die Hilfe und nicht zuletzt auch die Mitverantwortung der Länder hiezu notwendig?

Ist dem lokalen Widerstand ge- gen einen Truppenübungsplatz, gegen ein Manöver, mit der Gefahr, die militärische Übungsfähigkeit zu verlieren, mit einer „zentralen Anweisung“ oder mit einer lokalen Mitverantwortung zu begegnen?

Sicher scheint derzeit nur zu sein, daß das Obrigkeitsdenken gegen- über den zentralen Großinstitutio- nen und damit auch gegenüber den Staatsautoritäten deutlich im Ab- nehmen begriffen und „die Region“ im Kommen ist. Das ist jedoch eine Tendenz, die mit den Ideen eines heimatverbundenen Milizheeres durchaus in Übereinstimmung zu bringen wäre.

Befragt nach seiner Identität, gibt der Österreicher überwiegend an, seinem Heimatort und einem Bun- desland zuzugehören, im Ausland ist er ein Österreicher aus einem bestimmten Bundesland und darü- ber hinaus fühlt er sich vereinzelt bestenfalls noch als Europäer.

Könnte in dieser Bundes-Länder- Identität nicht auch eine starke Wurzel einer Kraft für ein akzep- tiertes und effektives „Bundes-Heer neu“ liegen?

Brigadier Karl Semlitsch ist Leiter des Büros für Wehrpolitik im Bundesministerium für Lan- desverteidigung.

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