Kassasturz beim Bundesheer

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14 Jahre nach der Wende im Osten und vielen Pseudo-Reformen, steht das Bundesheer jetzt vor einer Zäsur. Welche sind die Perspektiven?

Eine gelungene Überraschung: Helmut Zilk, Wiener Alt-Bürgermeister, Krone-Ombudsman und Showmaster als Vorsitzender der Bundesheer-Reformkommission, die bis Juni 2004 Konzepte für ein Heer 2010 erarbeiten soll. Das Ereignis wurde ausgiebig kommentiert: ein guter PR-Gag für die Landesverteidigung, ein machtpolitischer Schachzug des Kanzlers, ein ideales Mittel, Krone und SPÖ ruhig zu stellen.

Bleibt die Frage: Braucht das Heer, die wohl am häufigsten reformierte Armee Europas, wirklich eine weitere Umstrukturierung? Ist es nicht sinnvoller, wenn ein von Nato-Staaten umgebenes Land wie Österreich sein Heer einfach abschafft? Forts. S. 2

"Man verliert irgendwann den Überblick über die Reformen", stellt der Wiener Militärhistoriker Manfried Rauchensteiner im Gespräch über die Geschichte des Bundesheeres fest. Im November 1956 habe man im Zeichen des Kalten Krieges eine erste Heeresorganisation beschlossen, 1963 sei aber schon die erste Reform erfolgt, eine Reduktion von neun auf sieben Brigaden.

Eine tiefgreifende Umorganisation brachten dann die siebziger Jahre: Raumverteidigung hieß die neue Doktrin. Das Heer wurde vergrößert: zunächst sollten 300.000, später 200.000 Soldaten mobil gemacht werden können. Allerdings wurden Wehrdienstzeit und Budget reduziert.

Die Wende im Osten 1989 löste weitere Reformen aus: 1992, 1996, 1998. Schließlich kam es 2002 zur Straffung und Neuorganisation der militärischen Führungsspitze, ein Generalstabschef wurde eingesetzt, die Armee in Land- und Luftstreitkräfte sowie Spezialeinsatzkräfte untergliedert. Kein Wunder, dass bei dieser Reformitis unter den Berufssoldaten Verunsicherung herrscht. "Die Stimmung ist am Boden," diagnostiziert General Hubertus Trauttenberg, mit Jahreswechsel 2002- 2003 pensionierter Korpskommandant in Salzburg.

Budget gekürzt

Die Vermutung aber, dass nach dieser Reformflut die Landesverteidigung den heutigen Anforderungen gerecht wird, täusche. In der jetzigen Struktur fehle es nach wie vor an notwendiger Ausrüstung und Geräten. Auch die Aufgabenstellung sei immer noch auf die Konfrontation im Kalten Krieg fixiert, setzt Trauttenberg fort (siehe auch Interview).

Ein Blick auf die Statistik zeigt: Das Bundesheer leidet lange schon an Unterdotierung. Seit 1986 ist der Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP rückläufig. Mit 0,77 Prozent ist Österreich derzeit das Schlusslicht in Europa. 70 Prozent der Mittel gehen in den Personalaufwand. Kein Wunder, dass die Ausstattung des Heeres zu wünschen übrig lässt. Der breiten Öffentlichkeit wird das erst bei Katastrophen-Einsätzen bewusst.

Trauttenberg erinnert an den Hochwasser-Einsatz im Vorjahr: "Wir hatten zum Glück die Pionierbrücke 2000, sieben Stück einer Schnellbrücke. Das war die qualifizierte Hilfe, die wir anbieten konnten. Die übrigen 11.500 Soldaten haben im Allgemeinen manuelle Tätigkeiten erledigt. Die Katastrophen-Ausrüstung der Feuerwehr ist wahrscheinlich besser als die des Heeres."

Keine Hubschrauber

Ähnlich die Erfahrungen bei der Evakuierung der eingeschlossenen Urlauber nach der Lawinenkatastrophe in Galtür 1999. Da mussten Hubschrauber der deutschen, der schweizerischen und der US-Armee herhalten, weil Österreichs Heer nicht über entsprechende Geräte verfügte.

Die bevorstehende Reform wird somit sicher Investitionen erfordern. Denn Katastrophen-Einsatz und die Unterstützung internationaler Einsätze werden jedenfalls zu den Aufgaben des Heeres gehören, wenn man den heutigen geopolitischen Bedingungen Rechnung trägt. Darin sind sich Trauttenberg und Heinz Gärtner, Politikwissenschafter in Wien, einig.

Neue Sicherheitsdoktrin

Auch die von der schwarz-blauen Koalition 2001 beschlossene, bisher aber nicht umgesetzte Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin hält fest: Innerhalb Europas sei auf mittlere Sicht nicht mit klassischen kriegerischen Auseinandersetzungen zu rechnen. Heute habe man es mit einer diffusen Konstellation von Gefahren und Risiken zu tun. Die Bedrohung gehe vom internationalen Terrorismus, vom organisierten Verbrechertum, von der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, von Migrationen aus. Weil also das klassische Konzept der Landesverteidigung ausgedient habe, könne man die Stärke des Heeres nach Gärtners Meinung auf 40.000 Mann reduzieren.

Als wichtiger Aufgabenbereich zeichnet sich die Mitwirkung an internationalen Einsätzen ab. Inwieweit diese mit Österreichs Neutralität kompatibel sind, ist nach wie vor umstritten. In welche Richtung sich die Dinge entwickeln, ist jedoch abzusehen. Die Sicherheitsdoktrin prägt das Schlagwort "Von der Neutralität zur Solidarität".

Mit dem EU-Beitritt habe Österreich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) zugestimmt und mit Artikel 23f die Kompatibilität von GASP und Neutralitätsgesetz in der Verfassung verankert. Die Ratifizierung des Vertrages von Amterdam 1998 ging einen Schritt weiter: Danach kann Österreich "am gesamten Spektrum der so genannten Petersberg-Aufgaben, wozu auch Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen gehören, mitwirken."

Neutralität ade

Damit zeichnet sich ab, dass die Bundesheer-Reformkommission die Landesverteidigung wohl auf ganz neue Füße stellen wird. Sie wird ihr neue Aufgaben zuteilen, dem Heer einen deutlichen Schrumpfungsprozess verordnen, dem internationalen Trend folgend den Wehrdienst verkürzen, dank massiver Schnitte in wichtigen Bereichen manche Investitionen ermöglichen und die - de facto längst abgeschaffte Neutralität - auch offiziell zu Grabe tragen.

Vor allem Letzteres gilt es dann, den Österreichern, die nach wie vor mehrheitlich an der Neutralität hängen, g'schmackig zu machen. Und wer könnte das seinen Landsleuten besser verkaufen als Helmut Zilk, der schon im Vorfeld launisch, aber dezidiert angekündigt hat, es werde bei den Diskussionen in der Kommission "keine Tabus geben"?

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