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Handeln wie Vogel Strauß
Eine Bedingung für die österreichische Neutralität war und ist, daß Österreich dadurch zu keinem militärischen Vakuum wird. Das ist ist vor allem in westlichen Parlamenten anläßlich der Ratifikationsdebatte über den Staatsvertrag deutlich gesagt worden.
Dabei wurde immer auch ein Satz Julius Raabs zitiert, der gesagt habe, daß sich Österreich selbst verteidigen wolle und werde. Das ist die wahre Hypothek der österreichischen Neutralität: eine bündnislose Selbstverteidigung. Mit dieser müssen die Mächte der Region rechnen, diese ist für die Sicherheit des Österreichers entscheidend. Leopold Figl war es, der in den Botschafterverr handlungen des Mai 1955 wichtige Beschränkungen der österreichischen Wehrhoheit aus dem Entwurf zum Staatsvertrag herausgebracht hat. Die wichtigste, nämlich das Verbot gelenk-
ter Geschosse, ist aus dem Staatsvertrag nicht verschwunden.
Das österreichische Volk lebt seit 25 Jahren mit der Ungenügsamkeit der Verteidigungsbereitschaft. Das Konzept, zu dem sich Militärs und Politiker, nachdem sie die bittere Pille der verkürzten Militärdienstzeit (die kürzeste in Europa außer in Finnland, das aber einen Beistandspakt mit der UdSSR hat) heruntergeschluckt haben, durchrangen, mag tauglich sein:
Wenn man von der ungelösten Frage einer atomaren Bedrohung Österreichs und davon absieht, daß die großen Ballungsräume Österreichs (Wien, Linz und Graz) in diesem Konzept wie Fremdkörper erscheinen. Also das Konzept der sogenannten Raumverteidigung mit Bereitschaftstruppe, mobiler und territorialer Landwehr, mag tauglich sein, vor allem,wenn es ausgebildet und im Rahmen einer verwirklichten umfassenden Landesverteidigung gestellt ist.
Aber die Verwirklichung dieses Konzeptes weist nur Fragmente auf. Darüber dürfen schöne Worte und propagandistische Vorführungen nicht hinwegtäuschen. Darüber darf auch die begrüßenswerte Bereitschaft des jungen Menschen, seiner Wehrpflicht zu genügen (gemessen an der Zahl der Wehrpflichtigen ist die Zahl der Zivildiener noch immer gering), nicht hinwegtäuschen.
Im Klartext gesprochen heißt dies, daß es eine einsatzbereite Bereitschaftstruppe ohne Mobilmachung nicht gibt; daß der militärische Mittelbau, für die Ausbildung und Führung eines Heeres unerläßlich (die Unteroffiziere und Chargen), nur unzureichend vorhanden ist; daß die Ungleichstellung des Zivildieners gegenüber dem Soldaten erheblich an der Stimmung nagt; daß ein zersplittertes Dienstrecht praktisch unhaltbare Zustände auf dem Sektor der Uberstundenentgelte geschaffen hat; daß es an modernen Waffensystemen fehlt; daß die Zivilbevölkerung über praktisch keinen Schutzraum verfügt; daß die Bevorratung im argen liegt; daß das Sanitätsversorgungskonzept noch nicht der Raumverteidigungsstruktur angepaßt ist. All das mündet in eine geradezu katastrophale Budgetlage, die die sozialistische Regierung seit 1970 nicht beheben konnte! Diese Budgetlage ist aber zugleich auch die Bedingung für alles übrige.
Die österreichische Verteidigungsbereitschaft in der unruhigen Welt ist Sicherheit für den Lebensraum, in dem Österreich steht, und ist Sicherheit für den Bürger. Diese Verteidigungsbereitschaft muß im Frieden schon gegeben sein. Das ist das Kapital für eine sogenannte Abhaltestrategie. Was heute nicht vorbereitet ist, kann in ernsteren Zeiten nimmermehr vorbereitet werden.
Die Kassandra wurde in Troja nicht gerne gesehen. Sie ist keine Miesmacherin gewesen, sondern sie hat aus Fakten Konklusionen gezogen. Bedauerlich ist, daß hinsichtlich der beschriebenen Lage die Verantwortlichen schweigen. Nicht daß sie es nicht wüßten. Dazu sind sie alle zu ausgebildet und zu klug. Aber sie schweigen und handeln wirklich wie Vogel Strauß.
25 Jahre'Bundesheer scheinen mir im 25. Jahr österreichischer Neutralitätspolitik Anlaß zu sein, das Schweigen zu brechen und Besseres aus der Lage zu machen.
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