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Reform wie am Bazar

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Leichtfertig, blauäugig, er- bärmlich - und irreführend: Ein Offizier hat genug. Wenn vier Monate genug sein sol- len. Er nimmt offen Stellung. Und sich dabei auch kein Blatt vor den Mund.

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Leichtfertig, blauäugig, er- bärmlich - und irreführend: Ein Offizier hat genug. Wenn vier Monate genug sein sol- len. Er nimmt offen Stellung. Und sich dabei auch kein Blatt vor den Mund.

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Für wehrpolitisch interessierte und sensible Bürger - ob ohne oder mit Uniform - besteht die überein- stimmende Auffassung, daß unser Heer der Verbesserung und Neu- orientierung aufgrund geänderter Umfeldbedingungen bedarf. Es ist befremdend, mit welcher Ober- flächlichkeit die parteipolitische Auseinandersetzung über unsere Sicherheit geführt wird und mit welcher bedenkenlosen Leichtfer- tigkeit bisher mühsam Aufgebau- tes aufs Spiel gesetzt wird. Die Zuspitzung auf eine „Wehrdienst- Zeitverkürzung" verstellt die Sicht für notwendige Reformen.

Die blauäugige Behauptung, die Bundesheerdiskussion sei kei- neswegs mit dem Wahlkampf in Zusammenhang zu bringen, son- dern entspringe der tiefen Sorge um das Wohl des Bundesheeres, spielt auch schon keine Rolle mehr. Das glaubt ohnehin kein Mensch.

Anerkannt ist, daß in allen so- genannten Reformpapieren der politischen Parteien durchaus ernstzunehmende Vorstellungen enthalten sind. Jedoch müssen auch Widersprüche erkannt werden. Was unserer Sicherheit schadet, muß unterbleiben.

• Irreführung 1: Weniger Be- drohung - weniger Heer.

Es ist unbestritten: die Lage hat sich geändert. Die große Päktäüs- einandersetzung ist unwahr- scheinlich, aber nicht denkun- möglich geworden.

Es ist nicht militärische Sturheit, sondern verantwortungsbewußtes Risikodenken, mit Nachdruck dar- auf hinzuweisen, daß keine leicht- fertigen irreversiblen Abstriche bei der militärischen Landesverteidi- gung am Platz sind, solange Europa noch weitgehend auf der Suche nach sicherheitspolitischen Lösungen ist.

Jetzt ist politischer Weitblick zu fordern, der mögliche zukünftige Entwicklungen in Europa entwirft. Die Rolle und die Ziele Österreichs sind darin zu definieren und die Handhabung unserer immerwäh- renden Neutralität in diese Über- legungen miteinzubeziehen. Dar- aus erst können seriöse Schlußfol- gerungen auch auf den militäri- schen Bereich gezogen werden.

Was derzeit passiert, kann nur als erbärmlich klassifiziert werden. Ohne auch nur den Ansatz über- geordneter politischer Vorüberle- gungen wird vorgeschlagen, die Gesamtstärke des Bundesheeres zu reduzieren. Sie wird mit 150.000 auf den Bazartisch geworfen. Ver- schärft wird das Unbehagen über solche Zahlenspielereien dadurch, daß aufgrund österreichischer Par- teienpraxis ein fauler Kompromiß befürchtet werden muß. Dies er- folgt just zu einem Zeitpunkt, zu dem aufgrund einer unwahrschein- licher gewordenen Gesamtbedro- hung mit der derzeitigen Größen- ordnung des Bundesheeres mögli- che regionale Bedrohungen bewäl- tigbar wären, also eine glaubwür- dige Auftragserfüllung greifbar geworden ist.

Diese mutwillige oder verant- wortungslose Schwächung des Heeres, verbunden mit der Pro- longierung der Schere zwischen Auftrag und Mittel ist beste Vor- aussetzung für die nächste Sinn- krise.

Zu fordern ist ein Heer zur Be- wältigung möglicher regionaler Konflikte, geeignet organisiert und ausgerüstet auf Grundlage der bestehenden Größenordnung. Da- bei sollen auch weiter internatio- nale Friedenssicherungsaufgaben und Überlegungen zu einer gesamt- europäischen Sicherheit miteinbe- zogen werden. Erst wenn die Ent- wicklung überschaubar ist, dürfen Veränderungen ins Auge gefaßt werden.

• Irreführung 2: Verkürzung der Wehrdienstzeit als Reformmaß- nahme.

Zu meinen, daß mit einer Wehr- dienstzeitverkürzung eine Reform - also eine Verbesserung - erzielbar sei, ist blanker Unfug und kann sachlich durch nichts begründet werden. Vor einer Diskussion über die Wehrdienstzeit müßten Vorfra- gen geklärt werden.

Welches Heer in welcher Grö- ßenordnung soll den Verteidi- gungsauftrag erfüllen?

Welche Verbände sollen verfüg- bar gehalten werden (Bereitschafts- truppe, internationale Friedenssi- cherung, Katastrophenschutz) und welche Erfordernisse hat ein funk- tionierendes Milizheer?

Wenn man beide Elemente benö- tigt - und davon kann man ausge- hen -, muß die Wehrdienstzeit dies ermöglichen. Extremlösungen, die im Gespräch sind, würden den Todesstoß für das Heer bedeuten:

• vier Monate Grundwehrdienst und Truppenübungen

• oder acht Monate Grundwehr- dienst ohne Truppenübungen.

Die zweite Variante wäre das Ende der Miliz, da keine Wieder- holungsübungen möglich sind, in der Verbände zusammentreten und üben können.

Die erste Variante läßt eine ver- antwortbare Ausbildung im Team und in den Einheiten nicht mehr zu, vor allem ist eine Milizkader- ausbildung nicht mehr vorstellbar. Gewarnt sei auch vor Kom- promißformeln wie etwa fünf plus eins, sieben plus null oder ähnli- chen Zahlenspielen. Sie bieten al- lesamt keinen sachlich ableitbaren Verbesserungsansatz, sondern nur zusätzliche unlösbare Probleme.

Es hat jahrelanger konsequenter Aufbauarbeit bedurft, um den Mi- lizkader, insbesondere die Miliz- unteroffiziere, also die Gruppen- kommandanten und wichtige Fach- und Spezialfunktionen, zahlenmä- ßig und zunehmend auch qualitativ aufzubauen. Gerade jetzt, wo in zwei bis vier Jahren der angestreb- te Erfolg greifbar naheliegt, wäre ein Zerstören der mittlerweile ein- gespielten Abläufe und einer im- mer besser werdenden Führungs- ausbildung gegen jede'Vernunft.

Mit welchem Recht will man sich über das engagierte Bemühen Zehn- tausender Berufs- und Milizsolda- ten hinwegsetzen?

War die bisherige Aufbauarbeit falsch? Umsonst?

Es handelt sich um 200.000 Men- schen, um österreichische Bürger, die dem Auftrag des Gesetzgebers gefolgt sind: Kann man denn ein Milizheer so behandeln, daß alles Bisherige in Frage gestellt wird? Wem soll das dienen?

Warum setzt man uns mit einer Wehrdienstzeitverkürzung der Lächerlichkeit aus? Noch dazu, wo damit kein Problem gelöst wird, dafür aber zahllose neue entstehen.

Wer soll denn das noch mit Über- zeugung tragen? Noch besteht Ge- legenheit, Vernunft walten zu las- sen. Die verantwortlichen Politiker werden dazu mit Nachdruck auf- gefordert.

Brigadier Roland Vogel ist Leiter der Ausbil- dungsabteilung 2 im Armeekommando.

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