6802331-1971_41_04.jpg
Digital In Arbeit

„Auf die Schlachtbank führen?“

Werbung
Werbung
Werbung

In der Fernsehkonfrontation Doktor Schleinzer—Dr. Kreisky hat die Länge der Übungszeit für Reservisten des Bundesheeres zum ersten Streitpunkt geführt.

Nach dem Gesetz soll jeder Reservist 60 Tage in der Zeit zwischen der Entlassung aus dem Heer und dem 35. Lebensjahr dienen. Der Bundeskanzler gedenkt allerdings, von dieser Zeit nur die Hälfte in Anspruch zu nehmen, während Dr. Schleinzer ihm vorwarf, daß im Gesetz von einer Halbierung keine Rede sei, das heißt, Kreisky wolle sein eigenes Gesetz nicht beachten.

Wie sieht die Wirklichkeit aus oder, besser gesagt, was erwartet das Heer von den Reserveübungen und was ist dabei nötig, um im Einsatzfall einsatzbereite Reservisten zur Verfügung zu haben? Der Streit, der von beiden Seiten geführt wurde, hat leider am Kem der Sache vorbeigeführt, denn grundsätzlich müßten zwei Probleme scharf auseinandergehalten werden. Einerseits die Übungszeit der Reservisten ohne Dienstgrad, anderseits die des Reservekaders, also der Soldaten mit Dienstgrad.

Die Mehrheit aller Reservesoldaten sind Reservisten ohne Dienstgrad, etwa 80 Prozent. Sie brauchen weniger Übungen, um im Ernstfall ihre Aufgaben zu bewältigen. Für den einfachen Mann mögen 30 oder 40 Tage genügen, der Reserveführer aber, ob als Truppenkommandant oder als Kompaniekommandant ein gesetzt, braucht erheblich mehr Zeit, denn er muß für seine Funktion in der Zeit der Waffenübungen erst ausgebildet werden. Während der Dienstzeit, die ja jetzt nur ein halbes Jahr beträgt, ist kaum Zeit zur Führerausbildung, denn sie genügt gerade zur Ausbildung in den Grundaufgaben des Soldaten, also für den Soldaten ohne Dienstgrad.

Will man einen Führungskader, und aus der Reserve werden 60 bis 80 Prozent des Kaders zu bilden sein, und soll dieser Kader seine Aufgabe verantwortungsbewußt und richtig ausführen und die von ihm Geführten nicht auf die Schlachtbank führen, dann sind allerdings 60 Tage viel zuwenig.

Die Heeresreformkommission, in der ja auch die Sozialisten ihre Vertreter hatten, hat, je nach Funktion, wesentlich längere Zeiten verlangt. Und ohne diese genannten Zeiten kann man im Heer mit keinem brauchbaren Reservekader rechnen. Das Gesetz, von SPÖ und FPÖ im Parlament gemeinsam beschlossen, war ein fauler Kompromiß mit dem Ergebnis, daß von nun an ein Reservekader nicht mehr neu gebildet werden kann und das Bundesheer von seinen alten Einjährig-Freiwilligen, die sich freiwillig noch für ein Jahr gemeldet haben, eine Zeitlang leben kann. In wenigen Jahren aber ist es so weit, daß die meisten Milizformationen (Grenzschutz und Landwehr), die das Gros des mobil gemachten Heeres ausmachen, füh rerlos oder nur mit schlecht ausgebildeten Führern dastehen werden.

Fachleute haben diese Kardinalfrage laut und oft genug den Politikern und in der Presse erklärt. Die Regierungspartei ist nicht darauf eingegangen und hat vielmehr auf eine eventuelle Freiwilligkeit des Längerdienens hingewiesen. Diese Freiwilligkeit ist heute kaum noch zu erwarten. In einer Zeit, in der Kader sich verringern, ist nicht anzunehmen, daß die notwendige Anzahl von Leuten zu einem längeren Dienen sich freiwillig aufraffen wird.

Es kommt ein zweites, schwerwiegendes Moment dazu. Man kann eine Institution nicht dauernd diskriminieren und dann auf freiwillig Längerdienende hoffen.

Hier scheiden sich die Geister. Die Sozialisten wollen nämlich dem Heer gar nicht helfen. Ihr Bekenntnis zur Landesverteidigung kommt picht vom Herzen, sondern ist ein reines Lippenbekenntnis. Sie sind befangen in ihrer eigenen Propaganda, in ihren eigenen Utopien, stehen eben doch unter dem Einfluß ihres linken Flügels, der das Bundesheer zerschlagen will, um eine Änderung der Gesellschaftsstruktur leichter durchführen zu können. Dazu sind sie auch bereit, das Risiko der Gefährdung der Unabhängigkeit auf sich zu nehmen, in der Hoffnung, ihr Endziel, eine neue Gesellschaftsstruktur, zu erreichen. Hier ist auch ein Doktor Kreisky ein Gefangener seiner eigenen Propaganda und seiner eigenen Partei.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung