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Große Misere beim Heere

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Wenig Begeisterung beim Heer als Fazit einer Truppenübung: Diese Erfahrungen sollten Gegenstand eines FURCHE-Ge- sprächs mit dem neuen Armeekommandanten sein, der aber „keine Zeit hatte.

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Wenig Begeisterung beim Heer als Fazit einer Truppenübung: Diese Erfahrungen sollten Gegenstand eines FURCHE-Ge- sprächs mit dem neuen Armeekommandanten sein, der aber „keine Zeit hatte.

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Das Zeltblatt ist abzuge- ben, ein Regenschutz auszufassen“, war eine der ersten Anweisungen, die ich bei meiner jüngsten Truppenübung in Mau- tern auszuführen hatte. Daran wäre nichts Besonderes, wenn nicht vor zwei Jahren, bei der letzten Übung, genau das Gegenteil zu tun gewesen wäre. Und das Mal davor war es wieder genau umgekehrt.

Die Verlockung ist groß, einen polemischen Artikel über die vielen ärgerlichen Mängel und Ungereimtheiten, die ich während der beiden Ubungswochen miterlebt habe, zu schreiben. Ich will mich aber auf eine Detailfrage, die des Reservekaders, konzentrieren.

Bei Übungen des Milizheeres werden zunächst die Reserveoffiziere, zwei Tage später der Rest des Kaders (Unteroffiziere und Chargen) und insgesamt fünf Tage später der Rest der Truppe ein-

berufen. Diese vorgestaffelte Kaderübung dient der Ausbildung der Truppenführer. Aber wie schlecht wurde diese Zeit doch genutzt.

Nachdem wir, die Reserveoffiziere des Jägerbataillons, ihre Ausrüstung ausgefaßt und umgetauscht hatten, versammelten wir uns im Offizierscasino. Hier herrschte strenge Trennung: Um den einen Tisch die aktiven Offizier^, um die anderen die Reservisten, leicht an ihren Tarnanzügen zu erkennen.

Diese Trennung nach Kasten bleibt ein Grundübel während der ganzen Übung, und sie wirkt sich negativ auf die Einstellung des Reservekaders aus.

Eine wichtige Aufgabe des aktiven Kaders müßte nämlich die Motivierung der einrückenden Reservisten sein. Diese kommen nämlich im allgemeinen auch nur ihrer Verpflichtung nach. Je älter sie sind, mit umso geringerer Begeisterung.

Was geschieht aber? Die Kommandanten lassen sich vertreten: Der Regimentskommandant bei der Begrüßung (er hat eine ganz wichtige andere Verpflichtung) und der Bataillonskommandant sogar während der gesamten Übung. Er ist auf einem Kurs. Es muß schon ein ganz besonderer Kurs sein, wenn man bedenkt, daß sich das Bataillon nur einmal alle zwei Jahre für eine Woche versammelt. Oder nimmt man die Übung vielleicht gar nicht so ernst?

Weitere Fakten, die die Stimmung unter den Reservisten durchaus nicht verbessern: Es sind leider keine Zimmer für die Reserveoffiziere vorgesorgt (Ich wußte schon seit Jahresbeginn vom Termin der Übung), Reservisten dürfen ihre Autos nicht beim Casino abstellen (manche Offiziere ärgere dies) und aktive Offiziere und Reserveoffiziere essen zu verschiedenen Zeiten (wieder wird der Verdacht des Kastendenkens laut).

Mit der Motivation klappt es also offensichtlich nicht so recht. Dafür erwarte ich mir aber eine konzentrierte Einführung in meine bevorstehende Aufgabe: Immerhin habe ich rund 45 Personen zu führen und soll sie eine Woche lang sinnvoll beschäftigen.

Bedenkt man, daß ich in den vergangenen zwei Jahren kaum einen Gedanken an militärische Fragen verschwendet habe (und ich bin, wie sich herausstellt, kein Einzelfall), so gäbe es da schon einiges aufzufrischen: Ein Funkgerät zu bedienen und die Funkspräche zu wiederholen (wäre wichtig gewesen, denn mein Funker hatte, wie sich später herausstellte, noch nie, ein Funkgerät in

der Hand gehabt), die Kommandosprache wieder zu hören, wiederholen, wie man sich anhand einer Karte im Gelände orientiert (auf der Karte Krieg führen ist viel leichter als im Gelände), die Besonderheiten des neuen Maschinengewehrs kennenlernen (schließlich soll ich ja für die einrückende Truppe Unterricht halten), usw…

All das aber geschieht nicht. Vielmehr schleppt sich der Tag dahin—unterbrochen durch lange Pausen - mit allgemeinen Einführungen, der Darlegung der geplanten Übung im scharfen Schuß und (man höre und staune) mit einem einstündigen Vortrag über

das Ausfüllen eines Personalbogens (den übrigens keiner von uns gebraucht hat.)

Die einzige nützliche Information erhalten wir dann beim Unterricht zwischen acht und neun Uhr

abends (man fragt sich eigentlich, warum dies so spät geschieht; Eingeweihte verweisen auf die Uberstundenregelung…). Hier wird uns in Erinnerung gerufen, was man alles bei einem Befehl berücksichtigen müsse.

Der zweite Tag vergeht ebenfalls, ohne daß mein Wissensstand gezielt vermehrt wird: Wir besichtigen das Ubungsgebiet in Allentsteig.

Fazit dieser zwei Tage: Nach zwei Jahren ziviler Existenz bin ich weder, was meine Motivation, noch was meinen militärischen Wissensstand anbelangt, darauf vorbereitet, die am folgenden Tag einrückenden Unteroffiziere und Chargen, sowie die später folgenden Wehrmänner in geeigneter Weise von der Sinnhaftigkeit unseres gemeinsamen Tuns zu überzeugen, geschweige denn, ihre in Vergessenheit geratene militärische Ausbildung aufzufrischen.

Das wird allerdings ab dem dritten Tag von den Reserveoffizieren erwartet. Was dabei herauskommt? Unsicherheit, Lesungen aus den militärischen Vorschriften, die die Zuhörer einschläfern, Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Übung, schlechtes Gewissen, weil man dauernd so tut als ob… Was müßte sich ändern? Ich meine, daß vor allem die aktiven Offiziere .eine positivere Einstellung zum Reservisten bekommen müssen. Er ist kein Notnagel, sondern die Stütze des Milizheeres.

Das aktive Kader sollte sich als Helfer des Reservisten verstehen. Die Zeit der Kaderübung müßte dazu genützt werden, die Reservisten von der Sinnhaftigkeit des Geschehens zu überzeugen, sie mit der eigenen Begeisterung anzustecken. Vor allem aber sollte die Zeit für wirklich intensive Ausbildung verwendet werden. So tun, als ob die Reservisten ohnedies alles wüßten, ist eine Au- genauswischerei. An den aufgezeigten Mängeln etwas zu ändern, hätte den großen Vorteil nichts zu kosten. Es wären Reformen, die das Heeresbudget nicht belasten, die aber der Landesverteidigung sehr zugute kämen.

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