6836929-1975_20_04.jpg
Digital In Arbeit

Kitt gesucht

Werbung
Werbung
Werbung

Die Parteien sind in der Wehrpolitik wieder einmal am Ende ihrer Weisheit angelangt. Auch die bevorstehenden Wahlen konnten sie nicht zu neuen Ideen anspornen. Was für die Sozialisten in der Oppositionsrolle noch ein Wahlschlager war, der sogenannte Leerlauf, könnte in der neuen Rolle zum Bumerang werden; denn Leerlauf gibt's noch genug im Bundesheer. Die ÖVP wiederum hat seit dem Wahlslogan der Sozialisten: „Sechs Monate sind genug“ ein Trauma in Sachen Bundesheer. So versteckte man auch in den schwer geborenen „Leitlinien zur Wehrpolitik“ (das versprochene Wehrkonzept hatte als Totgeburt gar nicht erst das Licht der Öffentlichkeit erblickt) die Kritik an der Regierung hinter dem Appell zu einer gemeinsamen Wehrpolitik. Als Vorleistung gab man dem Kern der sozialistischen Heeresreform, der Verkürzung der Dienstzeit, seinen späten Sanktus. Das frühere Nein der Volkspartei, zu der von SPÖ und FPÖ in der sozialistischen Minderheitsregierung beschlossenen Wehrreform, hat damit den Charakter eines eingestandenen Irrwegs bekommen.

Dabei hatte es die Regierung der Opposition in der Wehrpolitik relativ einfach gemacht. Die angekündigten Reformziele samt ihren Terminen mußten mehrfach verschoben werden. Die Stärke der Bereitschaftstruppe entspricht noch immer

nicht den geplanten 15.000 Mann, von der Landwehr ist überhaupt nur ein Torso vorhanden. Die Regierung verläßt sich vorerst darauf, daß ihr die wirtschaftliche Unsicherheit gratis die Kasernen füllt. Fürs erste braucht das Heer nicht mehr um Nachwuchs zu zittern. Der Opposition wird dadurch die Kritikerrolle nicht leichter gemacht. Konnte doch schon bisher die Regierung alle Angriffe mit dem Argument parieren, Kritik am Heer würde potentielle Freiwillige nur abschrecken.

In der Tat hat das Wehrpapier der Volkspartei zu diesem Thema nur Verbalkritik zu liefern. Greifbare Reformen des Inneren Dienstes, dessen Form viele junge Menschen abhält, diesen Beruf zu ergreifen, werden nicht angeboten. Daß die schlechte Situation beim Berufskader bereits in der Ära Prader eingetreten war, verschweigt man diskret. Gleiches gilt für die Reservekader. Hier beweist die ÖVP aber immerhin Mut und deckt damit auch eine der Schwachstellen der Politik Lütgendorts auf. Unter dem allgemein schlechten Wehrklima der letzten Jahre litt besonders der Aufbau der Reservearmee.

Die „humane“ Politik der SPÖ hatte die totale Freiwilligkeit versprochen. Man sollte frei wählen können, ob man die Dienstzeit auf einmal ableisten wolle, also acht Monate, oder lieber auf zweimal, heißt sechs Monate Grundwehrdienst

und dann Wiederholungsübungen. Das Werben des Heeres und seines Armeekommandanten Spannocchi um möglichst viele 8-Monate-Diener wurde in der Volkspartei zuerst als Eingeständnis einer gescheiterten Reform gewertet Nun bietet man selbst im ÖVP-Wehrpapier diesen Weg und delikaterweise gerade Spannocchi zum Zeugen an. Wenn die Volkspartei nun vorschlägt, das Heer solle dem Grundwehrdiener vorschreiben können, ob er acht oder sechs Monate dient, zerstört man bisher geübte Kritik. Soviel Mut zur Unpopularität war sicher nicht geplant.

Dieses Schattenboxen zeigt, daß das Heer noch immer unter seiner Anfangskrankheit leidet, einem zu schwachen Knochengerüst an Berufssoldaten.

Freiwilligkeit war von der SPÖ auch hinsichtlich der Mehrdienstleistung für Kaderübungen versprochen worden. Nur wenige Idealisten fanden sich, um für wenig Geld einen oder den anderen Kragenstern zu erhalten. Hier kann der Mut der ÖVP nicht groß genug herausgestrichen werden; hier hat man nicht nur Kritik am Zustand geübt oder vage Alternativen angeboten, hier ist man vielmehr den Weg der Unpopularität gegangen. Die Entscheidung fiel insofern schwer, als man sich in der Zeit der Alleinregierung um dieselbe Frage herumgedrückt hatte. Denn die Schwäche an Führungskräften in der Reserve ist kein alleiniges Problem der derzeitigen Regierung.

Die finanzielle Spritze, die man Reservisten anbietet, einen sogenannten Bereitstellungssold, mit dem die Übungsfreudigkeit belohnt werden soll, belastet den ohnedies hohen Personalaufwand des Heeres neuerlich. Das auch von der ÖVP stets knapp bemessene Budgethemd der Landesverteidigung spannt eben hinten und vorne. Dem nun geäußerten Bekenntnis zu höheren Leistungen für das Heer steht das geringste Budget gegenüber, das auagerechnet in die Zeit der Alleinregierung fällt.

Zwischen pragmatischer und praktischer Wehrpolitik war in all den Jahren seit 1955 immer ein tiefer Spalt. Den kann auch das neue ÖVP-Wehrkonzept nicht überspannen. Einziger Kitt könnte eine gemeinsame Wehrpolitik sein. Das „Ja“ dazu müßte aber aus vollem Hals kommen. Sonst käme es bloß einer stillschweigenden Einigung gleich, ein leidiges Problem unter den Teppich zu kehren und darüber das abgesprochene Schweigen zu breiten.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung