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Pappkamerad vom Dienst

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Daß Minister Lütgendorf für Schlagzeilen sorgt, ist nichts Neues. Neu daran scheint, daß diese Schlagzeilen diesmal offenbar mehr sind, als Kanzler Kreisky in sein Gesamtkonzept einzubauen geneigt ist. Boten doch die bisherigen Anlässe ihm oft genug die Möglichkeit, staatsmänni- sche Weisheit zu demonstrieren, hier sich für die Landesverteidigung auszusprechen, dort durch eine Zurechtweisung des vorpreschenden Generals die Jusos zu versöhnen und so ganz nebenbei von andern, vielleicht viel wichtigeren Problemen abzulenken, die gerade virulent zu werden drohten.

Zum „Fall Lütgendorf ließen sich verschiedene Gleichnisse denken: Der Herr (der SPÖ-Regierung) gleicht einem Feldherrn, der einen Phantomflugplatz aufbauen ließ - der Feind kam, warf dort seine Bomben ab und sah nicht, daß der Feldherr an anderer Stelle zum Angriff antrat. Oder: Der Herr gleicht einem Flugzeugkonstrukteur, der in seine Pläne eine Sollbruchstelle einplante - wenn schon, dann sollte dort der Bruch erfolgen, nicht an jenen Stellen, die für die Maschine lebenswichtig wären.

Minister Lütgendorf hat seit seinem Amtsantritt die Funktion des Watschenmannes treu erfüllt. Er hatte recht, als er meinte, mit sechs Monaten Dienstzeit wäre kein Heer zu halten - er hatte unrecht, als er glaubte, diese Binsenweisheit müßte genügen, einen billigen Wahlslogan außer Kraft zu setzen. Lütgendorf hatte recht, als er meinte, dann müßten wenigstens die Reservekader entsprechend ausgebaut werden - er hatte unrecht, als er glaubte, obligatorische Reserveübungen auch in die Praxis umsetzen zu können. Er hatte recht, als er meinte, die Verpflichtung zur eigenen Verteidigung der Neutralität schließe auch ein, daß die notwendigen Waffen - er dachte an Abfangjäger - beschafft werden müßten. Er hatte unrecht, wenn er dachte, gegen die allgemeine Unlust ankämpfen und die nötigen Milliardenbeträge dafür loseisen zu können. Er hatte schließlich recht, auch Raketen als notwendige Bewaffnung zu erwähnen und unrecht, als er dabei den Staatsvertrag und seine Hindernisse nicht in Rechnung setzte. Denn in diesem Punkt hatten sich schon seine Vorgänger vergeblich umgesehen.

In jeder dieser - und wohl noch etlichen anderen Konfrontationen - blieb er erfolglos, moralisch abgewatscht von seinem „obersten Kriegsherrn“, auch wenn dieser ihn gelegentlich gegen die Wut der antimilitaristischen Parteijugend in Schutz nahm, dann aber Wieder öffentlich desavouierte. Er gefiel sich als „Mordssteher“, nicht nur im sturen Vorbringen unpopulärer Forderungen, sondern ebenso auch im Einstecken aller jener Ablehnungen, die seine Stellung als Verteidigungsminister ad absurdum führen mußten.

Aber gar nicht so sehr dieses Eintreten für die Lebensinteressen seines Ressorts qualifizierte ihn zum „Pappkameraden vom Dienst“, der die Aufmerksamkeit des Gegners - sei es in der eigenen Partei, sei es der Opposition - auf sich ziehen sollte. Hierzu diente das schlafwandlerische Ins- Fettnäpfchen-Treten des Generals - Namen wie Ellinger, Aehrenthal, Pos- sanner, Tomschitz markieren diesen Weg -, das Schlagzeüen machte, ohne daß dabei echte Probleme im Spiel waren. Und der hohe Chef sah zu, gu- stierte es offenbar, lenkte doch dieses Tappen die Stoßrichtung des Gegners in eine ihm günstiger erscheinende Richtung, als wenn sich dieser so man-

ches andere Problem der Regierungspolitik näher angesehen hätte.

Daß die Opposition sichtbare Schwachstellen der Regierung entsprechend unter Feuer nimmt, ist ihre Aufgabe. Daß sie gerade durch ihre Angriffe den Angegriffenen zementierte, liegt im Paradoxismus parteipolitischen Denkens. Wurde aber auch in Rechnung gesetzt, ob nicht dann, wenn „Lü“ gerade für Schlagzeilen sorgte, wenigstens ein Teil der Aufmerksamkeit auch für andere „Kriegsschauplätze“ vonnöten gewesen wäre? Oder ob nicht der Angriff der Opposition griffiger und effektiver werden könnte, müßte der Kanzler seinen Watschenmann abbauen? Müßte dann nicht doch deutlicher werden, wie in Österreich mit Tricks regiert wird, statt mit Konzept?

Hatte Lütgendorf in letzter Phase seine undankbare Rolle doch schon satt bekommen? Suchte er nach einer Absprungbasis, als er dem Korrespondenten der „Welt“ das umstrittene Interview gab? Kalkulierte er: wenn schon nicht Raketen, dann wenigstens Abfangjäger - wenn keines von beiden, gehe ich als Märtyrer der Landesverteidigung?

Die Waffenaffäre mußte hier einen Strich durch die Rechnung machen - sie war wohl kaum einkalkuliert. Viel eher scheint sie von anderer Seite her inszeniert zu sein. Der berühmte Knüppel, über den jemand stolpern sollte.

Und hier müssen wir nun Kreisky recht geben: Diese Affäre gehört bis ins Letzte geklärt - nicht nur ä la Bauring. Wie es dazu kam und wer dahintersteckt. Daß das neutrale Österreich - bei allem Bemühen, keine Arbeitsplätze zu gefährden - keine Waffen in kriegführende Gebiete liefern kann, das steht doch wohl außer jeder Diskussion.

Aber das hat schon nichts mehr mit dem „Fall Lütgendorf ‘ zu tim. Es ist nun einmal ein oft erlebtes Paradoxon, daß der Tropfen, der den Topf zum Überlaufen bringt, meist aus einer ganz anderen Leitung kommt, als das Wasser, das ihn vorher l gefüllt ‘ hat! Wenn „Lü“ jetzt,gehen muß aj als Verantwortlicher für Dinge, von (fönen er kaum wußte, nicht wegen seir ner Politik. Aber wer geht schon in Österreich, wenn in seinem Amt Mißhelligkeiten bekanntwerden? Ist der Pappkamerad žum Abschuß freigegeben?

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