6808105-1972_19_04.jpg
Digital In Arbeit

Bundesheer im Ferieneinsatz?

19451960198020002020

Dem Bundesheer und mit ihm seinem Minister kommt auch in der Ära Kreisky die Aufgabe zu, als Abieiter mannigfaltiger Unzufriedenheit der Staatsbürger zu dienen. Was einem Klaus ein Prader war, dürfte nahtlos Lütgendorf für Kreisky werden. Und das gar nicht so ungewollt. Die Politik des Augenblicks, eh und je Hauptbestandteil der Parteienstrategie von ÖVP und SPÖ, triumphiert aufs neue. Auf der Strecke bleibt die staatspolitische Verantwortung. Denn was dem Effekt dient, kann der Sache längst schaden.

19451960198020002020

Dem Bundesheer und mit ihm seinem Minister kommt auch in der Ära Kreisky die Aufgabe zu, als Abieiter mannigfaltiger Unzufriedenheit der Staatsbürger zu dienen. Was einem Klaus ein Prader war, dürfte nahtlos Lütgendorf für Kreisky werden. Und das gar nicht so ungewollt. Die Politik des Augenblicks, eh und je Hauptbestandteil der Parteienstrategie von ÖVP und SPÖ, triumphiert aufs neue. Auf der Strecke bleibt die staatspolitische Verantwortung. Denn was dem Effekt dient, kann der Sache längst schaden.

Werbung
Werbung
Werbung

Mit einem „Buhmann“ Lütgendorf ist nur wenigen geholfen. Am allerwenigsten dem Heer. Das Image unserer Streitkräfte, seit Jahren unter dem Nullindex liegend, sackt weiter ab. Seine personelle Substanz, seit der Wehrgesetznovelle 71 fast ausschließlich auf die Freiwilligkeit abgestützt, wird kleiner und kleiner.

In dieser Situation bloß hämisch den Besserwisser zu spielen, wäre nicht weniger verantwortungslos, als das oben zitierte Vorgehen. Das wären Tiefschläge an einem Objekt, das längst aus dem Ring genommen gehört — aus dem Ring des tagespolitischen Streits, aus dem Seilgeviert des tagespolitischen Opportunismus.

Zugegeben, der Kritik gäbe es genug. Auch Kritik am Verteidigungsminister. Doch drängen sich jetzt besonders jene mit ihrem Spott nach vorne, die Kreiskys Locktönen vom „unpolitischen Fachminister“ Glauben schenkten. Lütgendorf ist und war in diesem Heer immer umstritten. Dieses Urteil inkludiert allerdings, daß neben Kritik auch die Anerkennung zu stehen hat. Und zweifelsohne hat gerade dieser Minister Sachfragen in Angriff genommen, die seinen Vorgängern insgesamt zu heiß waren.

Sicher ist viel von dem, was er als frisch gekürter Minister versprach, den selben Weg gegangen, wie manche Vorschläge seines Herrn und Regierungschefs. Daß Lütgendorf dabei nicht immer geschickt und diplomatisch vorgegangen ist, trifft ihn weniger als seine Berater. Denn die Offizierskameraden hätten Lütgendorf wohl aus vielen Jahren der gemeinsamen Arbeit kennen müssen. So ist man nicht ganz des Verdachts frei, daß hier so mancher Streit von gestern, mit neuen Klingen ausgetragen wird, und man den Minister

— wohl wissend, daß er anrennen wird — eben anrennen läßt.

Es wäre nun aber höchste Zeit, nach zweijähriger, permanenter Reformdiskussion einige Dinge klarzustellen. Denn wie man vergangene Woche sah, sind es nicht krakelende Linksextremisten, die Lütgendorf „hängen“ sehen wollen: Vielmehr ist es jener Zeitgeist, den man beschwor, indem man mit dem Mäntelchen der Demokratisierung Wertordnungen zu verschieben begann: Die Wehrpflicht gilt für jeden Staatsbürger. Mag sein, um mit Karl Kraus zu sprechen, daß sich's mancher richten kann; Richten, auch nicht nach ihrer Fasson, sollten es sich allerdings jene können, die einen Führungsanspruch in der nächsten Generation erheben, nämlich die Abiturienten.

Das Wehrgesetz sieht für Maturanten die gleiche Behandlung wie für andere Berufsgruppen vor. Der Maturantenerlaß Minister Lütgendorfs beseitigt daher nur ein bisher gewährtes Privileg. Von einer Schlechterstellung kann gar keine Rede sein. Nicht zu Unrecht sieht sogar die „Arbeiter-Zeitung“ in den Demonstrationen der Schüler und Studenten eine Aktion gegen die demokratische Wehrgerechtigkeit, die ja in Österreich schon seit langem viel eher gegeben war, als zum Beispiel in der benachbarten Bundesrepublik.

Ist also auch bereits den Sozialisten jene Demokratiereform entglitten, die sie so sehr forcieren? Ist die Pflicht für den Staat bereits so tief in ihrem Wert gesunken, daß man sie einem Ferien-Ernteeinsatz gleich hinter sich bringen will? Wohl anders kann der Vorschlag der jungen Demonstranten, den Wehrdienst auf zwei Teilen in den Sommerferien abzuleisten, nicht gewertet werden. Mag sein, daß die Wehrpflicht als eine von vielen staatsbürgerlichen Pflichten aus einer Zeitsituation bedingt, die Kritik am meisten auf sich zieht. Man kann es manchem jungen Menschen wohl nicht verübeln, wenn er angesichts des gezinkten Spiels, das von beiden Seiten heute etwa in In-dochina betrieben wird, an den Werten dieser Zivilisation verzweifelt. Doch könnte es nicht schaden, diese jungen Leute aufzuklären, daß Österreich nicht Vietnam ist, und dies hoffentlich in vieler Beziehung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung