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Der Stolperer

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Als am Donnerstag der vergangenen Woche der neue VP-General Kohlmaier um die Mittagszeit gegen Verteidigungsminister Lüttgendorf einen Mißtrauensantrag aus der Tasche ließ, war es im Plenum des Nationalrates mäuschenstill. Die sozialistische Fraktion schien glatt überrumpelt und die VP-Mandatare waren nicht weniger von der eigenen Courage übermannt. Lediglich die Mannen um Peter faßten sich schnell: an ihnen lag es auch, daß es schon sehr bald zu vorzeitigen Neuwahlen, zu Lütgendorf-Wahlen, nicht kommen wird.

Damit, daß aber nun Lütgendorf mit FP-Rückendeckung weiter ins Bundesheerreformgefecht zieht, hat die FPÖ ihre volle Zustimmung zur bisherigen Politik des Verteidigungsministers gegeben. Das bedeutet, daß theoretisch auch die Zustimmung zur diesbezüglichen Regierungsvorlage durch die Freiheitlichen schon feststeht. Denn es wird der FPÖ nunmehr schwerfallen, gegen den Mili- tärprofl ins Feld zu ziehen.

Im VP-Lager stellte man mit dem Mißtrauensantrag gegen Lütgendorf nicht nur unter Beweis, daß neue Besen grob kehren — was sicherlich auch ein Motiv für den Überraschungsangriff gewesen sein wird —, sondern daß man sich auch für die Zukunft abzusichern gedenkt. Sollte die Reform des Bundesheeres zum Rohrkrepierer werden, hat man noch immer das Alibi in der Tasche, dem Vater der Reform das Mißtrauen ausgesprochen zu haben.

Im Lager der Offiziere wurde allerdings der Mißtrauensantrag gegen den ehemaligen Kameraden und nunmehrigen Chef fast einhellig begrüßt, denn dort tappt man im Dunkeln. Je näher eine Dreiparteienlösung kommt, desto unruhiger wird es im Offizierskorps. Man weiß nicht, was die Politiker hinter dicken Polstertüren für gut und schlecht befinden, man erfährt nichts über die genauen Vorstellungen, wie es weitergehen soll. Es mehren sich auch Klagen darüber, daß Offiziere ihre Vorschläge für eine Reform nicht mehr ins Gespräch bringen können. Sie werden abgewiesen, „weil die Dinge sowieso laufen“. Mit Mißtrauen beobachten die Uniformierten aber auch alle Mutmaßungen und Pläne für „flankierende Maßnahmen“ zur Bundesheerreform. Wie, wenn nur jetzt — vor der Verabschiedung der Präsenzdienstzeitverkürzung — von „flankierenden Maßnahmen“ gesprochen wird und dann, wenn die Reform über die Bühne gegangen ist, die guten Vorsätze verklungen sind? Die Offiziere sehen ihre Angst begründet: auch bei der Schillingaufwertung wurden der Wirtschaft für den Export flankierende Maßnahmen zugesagt, jetzt will man davon nichts mehr wissen.

Je näher sich die politischen Parteien in einer Lösung kommen, desto größer wird die Kluft zwischen Politikern und Offizieren. Diese sehen mm auch im VP-Lager keinen Rückhalt mehr und fühlen sich „verkauft“. Denn die drei Parlamentfraktionen wallen offensichtlich in einer nicht absehbaren Neuwahlsituation ein tadelloses Gesicht zeigen.

Dieses Bemühen spiegelt sich deutlich im Weißbuch der SP-Abgeord- neten und Bundesräte wider, das über die Tätigkeit der Bundesregierung 1970/71 vorliegt. Die vielen Worte über das Bundesheer finden dort nur zweitrangige Beachtung. Lakonisch wird festgestellt, daß ein Gesetzentwurf für die Herabsetzung der Wehrdienstzeit fertig ist. Und mehr? „Neuregelung des Begriffes militärischer Haarschnitt (die seinerzeit erfolgte Festlegung der höchstzulässigen Haarlänge — 8 Millimeter — wurde nicht beibehalten).“ Zwar eine militärisch-kurze Berichterstattung, die jedoch einen tiefen Einblick in die Problematik gewährt: man gesteht mit dieser Formulierung zu, daß eigentlich nichts geschehen ist.

Lediglich Lütgendorf scheint mehr zu wissen: er will ja in seinem ministeriellen Panzerschrank ein Gesamtkonzept zur Reform des Bundesheeres bereitliegen haben. Dieses militärische Konzept enthält jedoch nur — so Lütgendorf — seine privaten Vorstellungen als Fachminister. Nicht nur die parlamentarische Opposition, auch die Regierungspartei ist von diesen Tatsachen einigermaßen überrascht. Doch Sorgen mit Lütgendorf ist man bereits gewöhnt.

Immer wieder stolpert eben der harte Kämpfer auf dem politischen Parkett, aber — gut wienerisch — „dersteß’n“ hat er sich dabei noch nicht. Das, obwohl er schon einige Male knapp daran war:

• Mit seiner Äußerung vor dem Kameradschaftsbund über „antidemokratische Jugendgruppen“,

• mit der „vorzeitigen Pensionierungsaktion für Generäle“.

Offiziell sollte die Pensionierungsaktion zwischen 50 und 100 hohe Offiziere treffen, doch wurde die Freiwilligkeit des Ausscheidens aus dem Dienst als oberstes Gebot hingestellt. Inzwischen steht bereits fest, daß es 59 Offiziere betrifft — keinen mehr und keinen weniger. Im SP-Klub hatte Lütgendorf die Katze aus dem Sack gelassen — wahrscheinlich vertraulich. Denn als man über die 59 Mann Aufklärung haben wollte, wurde heftig bestritten, daß es sich konkret um soviel Offiziere handelt. Scheinbar durch einen Redaktionsfehler hatte aber die „Arbeiter-Zeitung“ diesen vertraulichen Hinweis veröffentlicht.

So gesehen steckt das Bundesheer und seine ministerielle Leitung in einer Koordinationskrise, die das gegenseitige Mißtrauen zwischen dem Wiener Franz-Josefs-Kai und der Truppe immer größer werden läßt. Lütgendorf hat sich zuletzt gut geschlagen, zumindest konnte er noch immer rechtzeitig den Kopf aus der Schlinge ziehen. Fraglich ist nur, ob es ihm gelingt, das verlorengegangene Vertrauen der Offiziere wieder zu gewinnen. Denn erst dann kann die Bundesheerreform ein Erfolg werden, gleichgültig ob und wie sich die politischen Parteien einigen können.

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