6796274-1971_12_05.jpg
Digital In Arbeit

Der Budgetbrief

19451960198020002020

Am 8. Februar wurde er während eines „Sacher"-Mittagessens von Kreisky mit seiner Ernennung zum Minister überrascht — und Überraschungen blieben ihm seit diesem Tag nicht erspart: General und Verteidigungsminister Lütgendorf.

19451960198020002020

Am 8. Februar wurde er während eines „Sacher"-Mittagessens von Kreisky mit seiner Ernennung zum Minister überrascht — und Überraschungen blieben ihm seit diesem Tag nicht erspart: General und Verteidigungsminister Lütgendorf.

Werbung
Werbung
Werbung

Eine Woche nadi seiner Ernennung versuchte die Wiener Illustrierte ,;Stem" einen Gesprädistermln mit dem wehrhaften Minister zustande zu bringen. „In dieser Nacht hätte kein Krieg kommen dürfen", schrieb „Stem"-Reporter Hannes Schopf später nach zwölfstündiger Lütgen-donf-Suche: Denn „nicht nur die Redaktion, auch die Telephonistin der Stiftskaserne, der Torposten, der ministerielle Pressebeamte Doktor Krivinyi (Audi der Kanzler weiß nidit, wo sich Lütgendorf aufhält), Lütgendorf-Adjutant Schaffer (Der Minister war um etwa 19.30 Uhr noch kurz im Büro!), das Koordinationsbüro im Verteidigungsministerium (Der Herr Minister ist nach der Ministerratsvorbesprechung leider nidit mehr ins Haus gekommen), und selbst der Tür-an-Tür-Nadibar Lütgendorfs in der Stifts-kaseme, Oberst Fraydl (Wir haben sämtliche Hotels angerufen!), machten sich auf die Lütgendorf-Suche. Aber der Minister blieb verschwunden. Bis am 16. Februar, um 4 Uhr früh, war er — laut Fraydl — noch nicht in seine Wohnung zurückgekehrt. Keine Neuigkeiten, kein Rüdtruf, gar nidits, resignierte der Oberst."

Auch der Lütgendorf-Sohn wachte am Telephon, um seinen Vater zu erwarten oder sein Lebenszeichen weiterzugeben.

„Wo war aber österreidis Verteidi-

gungsminister?", fragte der „Stern" resümierend.

,Jch war in meiner Wohnung und bin sdilafend Im Bett gelegen. Vorher aber habe ich midi noch durch Abhören des heimisdien Rundfunks vergewissert, daß keine größeren Schneefälle zu erwarten sind und deshalb das Heer und der Minister audi nidit in Alarmbereitsdiaft versetzt werden müssen", meinte der Heereschef später und versichert: „Ich bin immer im Dienst und habe kein Privatleben mehr."

Zu diesen persönlichen Problemen kommen aber auch berufliche: Er selbst hätte nicht nur unter Kreisky, sondern audi unter einem ÖVP-Kanzler ein Ministeramt ange-

nommen. Seine Haltung steht sehr im Widerspruch zu der Kreiskys: Während Kreisky sein erstes Budget als gelungen betrachtet, meinte Lütgendorf, am 15. Juli 1970, „daß das Budget 1971 ausgesprochen ausbildungsfeindlich ist und einen Leerlauf begünstigt." Der auf dem offiziellen Briefpapier des Ministeriums geschriebene Brief (siehe Faksimile) an einen Nationalratsabgeordneten wird Lütgendorf nun vorgehalten werden, wenn er selbst ein Budget mitzuverantworten haben wird.

Gegensätze zu Kreisky? Überhaupt: Als ehemaliger Aus-

bildungsdief schwört Lütgendorf auf die Kleinkriegsausbildung unserer Präsenzdiener, zu der Kreisky meint: „Mit dieser Art von Ausbildung, die den jungen Menschen die brutalste und unmittelbarste Form des Tötens beibringt, wird viel weniger der Landesverteidigung ein Dienst erwiesen als den jungen Menschen Schaden zugefügt." Kreisky weiß nur zu gut um die Widerspenstigkeit seines Ministers und hat augenscheinlich seine Vorkehrungen getroffen. Nach der Verabschiedung der Wehrdienstzeit-gesetznoveUe im Ministerrat wurde Lütgendorf von Journalisten gefragt, warum im Entwurf Waffenübungen für einen Zeitraum von 40 Tagen vorgesehen sind, wo doch schon bei den Parteiengesprächen 50 Tage als allgemein annehmbar erachtet wurden. Warum?

Lütgendorf antwortete, daß er als „Fachminister" dazu keine Antwort geben kann, man solle den Herrn Bundeskanzler fragen. Die Grazer „Kleine Zeitung" ernannte darauf Lütgendorf frank und frei zum ,3undesminister m. b. H.".

Bundesheer bleibt umstritten

Zugegeben: Lütgendorfs Ressort ist und bleibt umstritten. Daran hat audi die von ihm konzipierte Regierungsvorlage zur Wehrdienstzeitverkürzung nichts geändert. Die Anti-Bundesheer-Bewegung unter Günther Nenning leidet zwar unter chronischem Geldmangel, die Gruppe ist aber fest entsdüossen, die begonnene Aktion zu Ende zu führen. Nidit unter Geldmangel leidet hingegen die Pro-Bundesheer-Volksbegehrens-Aktion für eine Stärkung der Landesverteidigung, jedoch macht sich dort eine berechtigte Skepsis breit. Nadidem bereits eine Art Präsenzdienst für Frauen und

Mädchen imd eine Forderung nach 14monatiger Wehrdienstzeit aus dem Text gestridien wurden, treten andere Schwierigkeiten auf: im Aktionskomitee wird offen darüber gesprochen, daß der Kameradschaftsbund, der zu 70 Prozent die Finanzierung des Volksbegehrens übernehmen würde, einen ansehnlichen Teil der Mittel aus ausländisdien Geldern aufbrädite. Nachdem in der

Präambel der „Aktion Landesverteidigung" manifestiert wird, daß die Landesverteidigung ein österreichi-sdies Problem ist, wird dadurch die Situation eher „tragisdi-komisdi". Die richtige Konsequenz aus dieser Konstellation zog lediglidi der Mittelschüler-Kartell-Verband, der sich noch rechtzeitig aus den Ge-sprädien zurückgezogen hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung