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Am Reformkern vorbei

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Die Kette ist nicht an einem Glied, schon gar nicht am letzten Kettenglied, dem Ausbilder Horst Wallech- ner gerissen. Selbstkritische Militärs, deren es allerdings nur wenige gibt, ziehen heute diesen Schluß aus dem Tod des Soldaten Wandl in Mautern.

Fürs erste ist man allerdings allenorts zur Tagesordnung übergegangen. Der Boulevard, unkritisch sich selbst und dem Ereignis gegenüber, war nicht bereit, über den Sensdtionsappeal des Einzelfalls hinaus eine Grundsatzdebatte zu führen. Einem einzigen Journalisten blieb es Vorbehalten, Zweifel an der Integrität seiner Berufskollegen zu üben. Denn die Affäre Wandl ist nicht nur ein dunkler Punkt in der kurzen Geschichte unseres Bundesheeres, sie ist sicher auch kein Ruhmesblatt für den heimischen Journalismus. Doch auch der Angegriffene, das Bundesheer, hat wenig Bereitschaft gezeigt, aus dem Ghetto herauszutreten, in dem man vorerst still seine Wunden leckt und denen grollt, die den Fall zum Spektakel gemacht haben. Daß ein Spektakel daraus wurde, ist allerdings dem Bundesheer selbst zuzuschreiben. Da man noch immer kein problemfreies Verhältnis zur Öffentlichkeit gefunden hat, daher deren Bedürfnisse nicht versteht, reagiert man auch inadäquat.

Schließlich die Politiker: Auch ihnen war die Kontinuität des Sommerurlaubs wichtiger als die bisher so geschickt verdrängte Grundsatzdebatte über eine zeitgemäße Verteidigung. So blieb es den Ideologen an den politischen Flügeln Vorbehalten, den Tod des Soldaten Wandl zur politischen „Masche” um- zufunktionierm. Mit der Forderung, das Bundesheer ersatzlos abzuschaffen, wurde der letzte Kern einer Bereitschaft zerstört, sich sachlich dem Problemkern zu nähern.

Die Arbeit läßt man vorerst den Gerichtep und den Disziplinar- senaten. Deren Urteil möge kurzfristig heilsame Abschreckungswirkungen zeitigen, die Ausbildungsanweisungen einzuhalten. Ohne den Entscheidungen vorgreifen zu wollen, können aber aus den bisher vorliegenden Untersuchungsberichten des Bundesheeres bereits genügend Schlüsse gezogen werden. Jeder, der mit dem Bundesheer in irgendeiner Form bisher zu tun hatte, kann erkennen, daß der Fall Wandl Symptome erkennen läßt, die der Patient Bundesheer nicht zum erstenmal zeigt.

Da ist der alte Vorwurf, das Heer werde nicht geführt, sondern verwaltet. Auch im Fall Wandl glaubten die verantwortlichen Offiziere, der Verwaltungsarbeit den Vorrang vor der Dienstaufsicht des Gefechtsdienstes geben zu müssen. Da findet man jene „Regenschirmbefehle” wieder, deren Konstruktion dem Untergebenen die Schuld überläßt. Der offenbar beste Konstrukteur solcher Weisungen ist durch die politische Entwicklung Minister geworden. Denn bis zur Übernahme des politischen Mandats war für die Ausbildung im Bundesheer Brigadier Lütgendorf verantwortlich. Sein Bekenntnis zu modernen Ausbildungsmethoden überrascht daher einigermaßen. War also dem Offizier Lütgendorf vieles verborgen geblieben, was erst dem Politiker Lütgendorf als Erkenntnis Vorbehalten blieb? Stand für ihn, den obersten Ausbildungsoffizier, vielleicht auch das System, die Struktur, die Hierarchie an erster Stelle? Wie ist es anders denkbar, wenn der Minister in einem Interview vorgibt, sein Amt im nächsten Jahr in der Gewißheit räumen zu können, die Weichen für eine grundsätzliche Reform des Bundesheeres gestellt zu haben?

Wohl sind neue Organisationsgrundsätze auf gestellt worden, die die Investitionen von mehr als 15 Jahren Bundesheer zunichte machen. In Kasernen, wo unter . großem finanziellen Aufwand, da alle Voraussetzungen fehlten, Panzereinheiten stationiert wurden, wird nach Lütgendorfs neuer Heeresgliederung die Landwehr einziehen. Vielleicht geben dann die Panzertankstellen Futter für die vierbeinigen Haflinger ab. An die eigentliche Reform dieses Heeres, der Einstellung seiner Spitzenmilitärs, aber auch aller anderen Dienstgrade zu den Problemen einer allgemeinen Wehrpflicht, hat sich der „Reformminister” nicht herangewagt.

Des Ministers Ansicht, ihm sollte ein politischer Mandatar, der mit einer politischen Hausmacht ausgestattet ist, folgen, der dem Heer mehr Nachdruck im Gerangel um Budgetmillionen geben könnte, zeigt jedoch, daß Minister Lütgendorf den Reformkern nicht erkannt hat. Nur mehr Vertrauen der Öffentlichkeit in das Bundesheer kann jenes Klima schaffen, in dem für den Politiker Investitionen in das Verteidigungsinstrument vertretbar werden. Angesichts des Mangels an inneren Reformen im Heer kann auf Lütgendorf nur jemand folgen, der diesen schwierigen Körper kennt, aber auch von der Notwendigkeit von Reformen überzeugt ist.

Die große Oppositionspartei hat auch diese Krise des Bundesheeres ungenützt gelassen, um sich als echte Alternative für staatspolitische Aufgaben zu profilieren. Gestand sich die Volkspartei bisher eher kleinlaut ein, das Wehrkonzept sei erst in Ausarbeitung, wurde auch sie vom Fall Wandl überrollt. Was blieb, war die Ankündigung, in Bälde werde man der Öffentlichkeit ein Konzept präsentieren, könne vorerst aber nur soviel sagen, daß an eine Mischung aus Berufsheer und allgemeiner Wehrpflicht gedacht sei.

Der Kanzler konterte auf seine Art. Ein Berufsheer sei angesichts der Erfahrungen der Vergangenheit indiskutabel. Das ungeborene Kind hat nunmehr die erste Chance, in den Wahlkampf geworfen zu werden. Es bleibt dem Bundesheer also nicht erspart, Wahlkampfmunition zu werden.

Mit dem einzigen Vorteil, daß österreichische Wahlkämpfe kaum Tote provozieren.

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