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3 Jahre nach der CSSR-Krise

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Eine Meldung dieser Tage hätte die Österreicher aus ihrem hochsommerlichen Zustand der Apathie aufschrecken lassen müssen, aber sie verfiel offenbar der österreichischen Philosophie des „Net-amol-Ignorierens“: Österreich ist zur Zeit nicht wehrbereit — die Folge von Maßnahmen, die eine Partei als Reform, die andere Partei als Demontage bezeichnet.

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Eine Meldung dieser Tage hätte die Österreicher aus ihrem hochsommerlichen Zustand der Apathie aufschrecken lassen müssen, aber sie verfiel offenbar der österreichischen Philosophie des „Net-amol-Ignorierens“: Österreich ist zur Zeit nicht wehrbereit — die Folge von Maßnahmen, die eine Partei als Reform, die andere Partei als Demontage bezeichnet.

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Wie man nun auch immer über die Verkürzung unserer — international gesehen — ohnehin sehr kurzen Wehrdienstzeit und ihre Folgen denken mag, Tatsache ist jedenfalls, daß hinsichtlich der militärischen Landesverteidigung zur Zeit tatsächlich eine bedenkliche Lücke besteht: Mit dem Abrüsten von rund 10.000 Prä- senzdienem Mitte August hat sich die Zahl des Mannschaftsstandes des Bundesheeres um die Hälfte verringert. Da darüber hinaus die im April Eingerückten noch nicht voll ausgebildet sind und die im Juni Eimge- rückten nur ein Überbrückungskontingent darstellen, mit dem nur die notwendigsten Punktionen besetzt •werden können, kann man nicht zu Unrecht von einem Schwäche- zustanid unseres Heeres sprechen.

Dabei jährte sich am 21. August zum drittenmal der Tag, an dem Österreich unvermutet in einen Zustand geriet, in dem sogar die größten Pazifisten die Notwendigkeit einer bewaffneten Streitmacht nicht mehr leugneten. Doch drei Jahre sind offenbar eine lange Zeit und während dieser Zeitspanne verfiel Österreich offenbar wieder in jenen Zusitand der völligen Abgestumpftheit in den Fragen der Landesverteidigung, die bereits vor der Tschechenkrise im Jahre 1968 üblich war.

Wie am Naschmarkt

Der Österreicher traut heute weniger denn je dem Bundesheer eine echte Funktion zu; er mißtraut jeder Aussage in Sachen Bundesheer — von welcher Partei sie auch kommen mag, für ihn ist sie eine Frage des lästigen Parteiengezänks geworden, mit dem er stich nicht identifizieren will. Viel beigetnagen zu diesem absoluten Standpunkt der Wurstigkeit haben zweifellos die Verhandlungen zur Reform des Bundesheeeres. Monatelang wurde hier vor den Augen der Öffentlichkeit ein Feilschen und Rangeln ausgetragen, das nicht nur von eingefleischten Antimilitaristen als degoutant empfunden werden mußte. Im besten Naschmarktstil wurde hier mit Wehrdienstzeit, Bereitschatftstruppe, Waf fenübungen und vielem anderen gefeilscht, als ginge es hier nicht um ein Instrument zur Wahrung unserer Souveränität, als vielmehr um Äpfel oder Birnen: Einmal durfte es ein bißchen mehr, ein andermal wieder ein bißchen weniger sein, je nach Situation und Popcudaritätsbedarf.

Die Ausgangssituation zu diesen Verhandlungen war bekanntlich von allem Anfang an verfahren. Die SPÖ war vor die Entscheidung gestellt, entweder ein voreilig abgegebenes Versprechen auf Biegen oder Brechen zu verwirklichen, oder ein weiteres Stückchen ihrer ohnehin schon etwas strapazierten Glaubwürdigkeit zu verlieren. Die ÖVP war in einer vielleicht noch größeren Verlegenheit. Für sie galt es, die Rolle der staatspolitisch denkenden Partei weiter zu spielen, Ohne jedoch als Verteidigerin des unpopulären Bundesheeres in der öffentlichen Meinung hoffnungslos abgehängt zu werden. Die relativ einfachste Rolle kam der FPÖ dabei zu. Unter dęm Deckmantel der Sachlichkeit und der Versicherung der Notwendigkeit einer Reform (ein Wort, das immer gerne gehört wird) leistete sie der SPÖ wertvolle Schrittmacherdienste, wohl in der nicht unberechtigten Hoffnung, diese bald honoriert zu erhalten.

So ergab sich jener Zustand, den niemand wollte: Keine der drei Parteien ist damit zufrieden, der Öster reicher ist endgültig enttäuscht, ja angewidert, und das Bundesheer selbst? Es befindet sich in der größten und schwersten Krise seit seinem Bestehen. Die österreichische Volkspartei hat in zehnjähriger Verantwortung zweifellos allzu vieles versäumt; der sozialistischen Minder heitsregierung aber gelang es, de’m Bundesiheer innerhalb eines Jahres auch noch den letzten Rest an Kredit zu nehmen. Tatsache ist: Von nun an bis Anfang 1972 leben wir mit einem Heer, das nicht einmal ein Viertel seines Sollstandes einsatzbereit und unter Waffen hat.

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