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Licht im Tunnel

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Die Enttäuschung im sonst so beherrschten Gesicht des Verteidigungsministers war nicht zu übersehen; und vor allem — sie war echt. Karl F. Lütgendorf hatte gehofft, die neue Heerespolitik auf eine möglichst breite politische Basis stellen zu können. Daß die von ihm betriebene Umstrukturierung des Heeres — bekannter unter dem Arbeitstitel „Heeresgliederung 72“ — nicht die Zustimmung der Opposition fand, ist für ihn also mehr als ein optischer Makel. Dabei dürfte sich das versagte „Ja“ von ÖVP und FPÖ leider nur zu einem geringen Teil vom Inhalt des Ministerentwurfs ableiten lassen.

Die unausgeprägteste Kritik an den Vorstellungen des Ministers kam von Seiten der Volkspartei. Mangels eines eigenen Konzeptes und echter alternierender Vorstellungen suchte man Zuflucht in vager Pauschalkritik. Man bezieht außerdem gegenüber dem neuen Chefplaner Spannocchi eine ähnlich gezierte Haltung wie etwa zum Wirtschaftsboß und Alpine-Generaldirektor Sernetz. Obwohl sich beide oft genug als Sympathisanten der Partei deklarierten, gerieten sie allzusehr in den Geruch des Paktierens mit dem gegnerischen Lager. Opposition gegen Vorstellungen, die bereits in Ansätzen im Programm der Aktion 20 zu erkennen waren (Berater für Wehrfragen damals: General Spannocchi), wirkt schal. Dazu kam der unglückliche Versuch, den immer mehr in Isolation geratenen Generaltruppeninspektor Leeb und dessen ramponierte Position zu stützen. Leeb wird seit der Ministerschaft Schleinzers noch ein besonderes Nahverhältnis zum gegenwärtigen Parteivorsitzenden nachgesagt. Mag General Leeb in sicher vielen Punkten seiner Kritik recht haben, so haftet ihr doch im gesamten das Odium an, bloßes Kontra und nicht Reform zu sein.

Konkreter auf die Materie bezogen reagierten die Freiheitlichen. Aber in Wehrfragen sind die Freiheitlichen seit dem gemeinsamen Beschluß der Wehrgesetznovelle 1971 mit den Sozialisten verprellt. Zu oft mußte Parteiführer Peter offene Fragen reklamieren und vom Bundeskanzler wie vom Finanzminister das Versprechen einfordern, für die Heeresreform genügend Mittel bereitzustellen. FP-Wehrsprecher Zeil-linger sieht nach wie vor die gemeinsam gefaßten Beschlüsse der Heeres-reformkommission als den Boden der kommenden Arbeit an. Von diesen Vorstellungen hat man sich allerdings bereits in vielen Punkten entfernt.

Vergleicht man die Ausarbeitungen der Kommission mit den nun vorgelegten Konzepten, ist die Kritik daran und die Richtung, aus der sie kommt, nur unschwer abzuleiten. Zu sehr dominierten bisher in der Heeresreform letztlich jene Offiziere, denen die eigentliche Verantwortung über den Zustand jenes Heeres, dessen Reform nicht mehr aufzuschieben war, zukommt.

Die entscheidende Tat des Verteidigungsministers war, die gedankliche Reformarbeit aus den bestehenden Hierarchien herauszulösen. Dies provozierte verständlicherweise den Widerspruch der etablierten Generalität; manifestiert in dem von Leeb im Landesverteidigungsrat vorgelegten Generalsentwurf. Der Stab Spannocchi, gebildet aus Absolventen der letzten drei Generalstabskurse unter Beiziehung von initiativen Truppenoffizieren, brachte aber endlich frisches Blut in die weitgehend unbeweglich gewordenen Blutbahnen.

So ist unter anderem die Betrauung Spannocchis und seines Teams ja der Ausdruck eines gewissen Mißtrauens in die Arbeit der ministeriellen Bürokratie. Es wäre daher allerhöchste Zeit, wenn des Ministers Rotationsvorhaben nicht nur in der mittleren Führungsebene Platz griffen, sondern vor allem die Spitze erfassen würden. Die frische Truppenluft täte sicher wahre Wunder.

Was bedeutet nun aber die Beschlußfassung über die Neugliederung für das Heer wirklich? Steht man damit bereits am Ende oder erst am Anfang des Tunnels?

Ohne Zweifel stehen die Reformer erst am Anfang ihres Weges. Entscheidend dürfte sein, wie rasch und wie glaubhaft es gelingt, dem Heer ein neues Image zu geben. Eine Inseratenkampagne allein, die ein modernes, von zum Ballast gewordenen Traditionen gesäubertes, Sicherheit produzierendes Instrument ver-1 spricht, wird noch nicht den gewünschten Zuzug bringen. Reformiert muß sowohl an Haupt und Gliedern werden; werben kann und muß das Heer nur durch sich selbst.

Da trotz mancher Diskussion noch auf absehbare Zeit unser Heer auf dem Boden der allgemeinen Wehrpflicht fußen wird, gilt es vor allem, die Streitkräfte an ihren Nährboden anzupassen. Das Heer kann nur Teil der Gesellschaft, nicht ihr Gegenteil sein. Dieser Satz, in der benachbarten Bundesrepublik Leitmotiv der gedanklichen Arbeit von Baudissin bis Schmückle, muß auch hierzulande Eingang finden. Zapfenstreich, Grußpflicht, strikte Trennung in die Standesbereiche: Offizier, Unteroffizier, Chargen und Mannschaften dürfen nicht tabu bleiben. Der Komplex der Tradition bedarf einer sehr sorgfältigen Wertung. Mehrere Untersuchungen haben bewiesen, daß die Gründe für den ausbleibenden Nachwuchs im Soldatenstand nicht nur in der vergleichsweise geringen Bezahlung gegenüber der Privatwirtschaft zu suchen sind...

Die Lokomotive muß neu gestrichen und mit anderem Brennstoff gefahren werden. Denn nur so kommt man ans Ende des Tunnels.

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