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Lütgendorfs Kaiserschnitt

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Kreisky, dessen Kreation er war, bezeichnete den Generalminister anfänglich als einen „Mordssteher“. Die „Oberösterreichischen Nachrichten“ warfen dem Neuling in der Politik nach der Brüskierung des Parlaments im Dezember vergangenen Jahres vor, nur noch ein „großer Bleiber“ zu sein. Nach dem offenkundigen Debakel Lütgendorfs in der Frage des geteilten Grundwehrdienstes für Maturanten riskiert der Minister nunmehr, auch als der „große Umfaller“ abgestempelt zu werden.

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Kreisky, dessen Kreation er war, bezeichnete den Generalminister anfänglich als einen „Mordssteher“. Die „Oberösterreichischen Nachrichten“ warfen dem Neuling in der Politik nach der Brüskierung des Parlaments im Dezember vergangenen Jahres vor, nur noch ein „großer Bleiber“ zu sein. Nach dem offenkundigen Debakel Lütgendorfs in der Frage des geteilten Grundwehrdienstes für Maturanten riskiert der Minister nunmehr, auch als der „große Umfaller“ abgestempelt zu werden.

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Was im „Profil“ als „Späte Liebe“ bezeichnet wurde, nämlich das Verhältnis Kreiskys zu Lütgendorf, scheint langsam auf den geringen einfachen Nenner der Vorliebe beider für dezent gestreifte englische Hemden abzusinken.

So fehlte dem Verteidigungsminister entweder der Mut oder auch einfach das Vertrauen zu seinem Kanzler, um diesen rechtzeitig über die Kontroverse mit den Generalen in der Frage der Heeresgliederung zu informieren. Kreisky erfuhr den Inhalt des „Leeb-Papiers“ erst im Landesverteidigungsrat. Anstatt anschließend den Weg zu einer Fachdiskussion im Kreise seiner Berater zu suchen, trat der Freiherr die Flucht in die Arme seines Kameraden Spannocchi an. Des quirligen Generals Formulierungsgabe, eine Stärke, der sich bereits die ÖVP-Aktion 20 bedient hatte, sollte auch diesmal den verfahrenen Karren flottmachen. Überzeugen konnte der Generalskamerad mit seiner Studie zur Heeresgliederung 72 allerdings jetzt nur die SPÖ. Im eigenen Lager war ÖVP-Wehrsprecher Tödling und auch der einstige Vorgesetzte, Minister a. D. Prader, nicht von den Ausführungen des einstigen Mitstreiters zu überzeugen. Die ÖVP versagte der Heeresgliederung ihre Zustimmung.

Ob es Spannocchi allerdings gelingen dürfte, neben Mondl und Genossen auch die Offizierskameraden zu überzeugen, daß dieses Heer noch zu retten ist? Zu sehr mag vielen Soldaten noch Spannocchis Äußerung im Ohr liegen: „Bis 1973 ist das Heer hin.“

Was gab Generalmajor Spannocchi nun Anlaß und Grund zu dieser Flucht nach vorne? Die Lösung scheint im pragmatischen Optimismus des einstigen Seitenstetiner Stiftsgymnasiasten und Schulkameraden Praders zu liegen. Immerhin sind sowohl die 9. Panzergrenadierbrigade vor den Toren Wiens als auch die Landesverteidigungsakademie seine Schöpfung.

Heeresgliederung 72

Kündigt sich also in Spannocchi bereits ein Nachfolger für Lütgendorf an? Kreiskys Buhmann für die Jusos nützt sich nämlich langsam aber sicher immer mehr und mehr ab.

Vorerst kam es jedoch zu einem von der FPÖ initiierten Arrangement. Der parlamentarische Senior im Landesverteidigungsrat, FP-Wehrsprecher Zeillinger, brachte einen Kompromiß zustande, in dem die geplante Umstrukturierung der

Heeresspitze, Hauptkritikpunkt der Generale, zurückgestellt wird. Reformiert wird vorerst an der Basis. Der Fisch darf weiter vom Kopf her faulen.

Was ist bei dieser Zangengeburt zu erwarten? Als ersten Schritt hofft man, die mehr als vordringliche Teilung des Heeres in eine Bereitschaftstruppe und die Landwehr zu vollziehen. Damit wäre ein erster Schritt zur Verwirklichung der neuen Verteidigungsdoktrin (auch eher Spannocchis und nicht Lütgendorfs Werk) getan.

Dabei will man mit jenen Verbänden, deren Kader an Berufssoldaten noch einigermaßen intakt ist und die eine günstige Entwicklung in der Nachwuchsfrage erhoffen lassen, die Neutralitätsschutztruppe gründen. Das gegenwärtig noch in diese Verbände hineinfließende Kontingent an 6-Monate-Soldaten soll nun endlich der Ausbildung in der Landwehr zugeführt werden.

Diese Rangiervorhaben ziehen leider schon vor ihrem Start das Odium des Scheiterns mit sich. Denn -man ist am Franz-Josephs-Kai noch immer nicht bereit, Zahlen über die personelle Entwicklung, speziell die Freiwilligenmeldungen, zu veröffentlichen. Je mehr Geheimniskrämerei jedoch damit betrieben wird, um so mehr muß in der Öffentlichkeit — und viel mehr noch im Heer selbst — der Eindruck entstehen, daß es mit der Personalsituation eher zum schlechten steht. In diesem Klima an eine Werbeaktion für den Nachwuchs für Berufssoldaten zu denken, muß von vornherein negativ beurteilt werden. Hier kann nur noch die persönliche Initiative der Kommandanten Zuzug versprechen.

Doch wer unter den Offizieren bringt heute noch den Schwung und die Initiative dafür auf?

Die Schuld an dieser Situation muß heute eindeutig Minister Lütgendorf angelastet werden, der seine Kameraden noch immer mit dem Versprechen bei der Stange zu halten versucht, daß nur er noch den Ausverkauf des Heeres durch einen pazifistischen Jungsozialisten als nächster Minister verhindere. Für seine Kameraden wie auch Untergebenen aber ist Lütgendorf — spätestens, seit er dem Druck der Straße in der Maturantenfrage nachgegeben hat — eben nur ein Befehlsempfänger des Ballhausplatzes...

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