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Kopf für amputierte Glieder

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Obleich den Ansätzen für den Verteidigungshaushalt des nächsten Jahres zu entnehmen ist, daß für Ausgaben außerhalb der laufenden Aufwendungen kein Spielraum vorhanden ist, begab sich Verteidigungsminister Lütgendorf in die Vereinigten Staaten, um, so die offizielle Sprachregelung, „Rüstungs-einrichtungen zu studieren“.

Man fragt sich unter Experten, ob das eine Traumreise Lütgendorfs, oder die Reise eines Träumers war.

Der fromme Wunsch des Brigadiers Lütgendorf nach 7 Prozent Budgetanteil für die Landesverteidigung erfährt plötzlich eine unverständliche Multiplikation mit dem Teuerungsindex. Die Rechnung stimmt nach Lütgendorf auf jeden

Fall. Nur so gelingt es ihm, die Wunschvorstellung von 7 Prozent, angeblich von ihm 1968 formuliert, mit 3,25 Prozent im AndroschJHaus-halt des Jahres 1973 gleichzusetzen: Und das ist immerhin auch eine Interpretation der Geldentwertung.

Doch nicht nur die Öffentlichkeit scheint an diesen Gedankensprüngen des Verteidigunigsministers keinen Anstoß mehr zu nehmen. Auch die

Opposition verfällt offenbar der Resignation. Die gelegentlichen Aussendungen des ÖVP-Wehrsprechers Tödling im Pressedienst seiner Partei wirken dagegen eher als Störfeuer von Platzpatronen, deren Pulver außerdem feucht ist. Weder die immer mehr offenkundig werdende personelle Misere, noch die finanzielle Aushungerung der Streitkräfte vermochten eine oppositionelle Reaktion auszulösen. Stillschweigend geduldet, erfährt somit das Bundesheer im zweiten Amts jähr des einstigen Brigadiers eine Demontage kaum noch zu verschleiernden Ausmaßes.

Mangels an Mitteln für die Bauinstandsetzung verfällt die größte Kaserne Österreichs, das von den amerikanischen Besatzungstruppen im Schnellverfahren gebaute Camp Reeder in Salzburg, voraussichtlich in einer kürzeren Zeit, als die Anlage selbst steht. Soldaten in Lienz müssen seit neuestem auf die dritte Matratze in ihrem ärarischen Bett verzichten, da keine Gelder vorhanden sind, um die verschlissenen Bettunterlagen naehzuschaffen. So sehr die Bemühungen des Verteidigungsministers Anerkennung finden mögen, den Generalsbaliast abzuwerfen, so steht diesem Plus ein totales Versagen in der Nachwuchsfrage entgegen. Bereits in wenigen Jahren sind nicht mehr genügend Offiziere vorhanden, um in den Kompanien die Stelle des zweiten Offiziers zu besetzen. Die vom Minister in dieser Frage angeordnete Geheimhaltung aller Daten auf dem Personalsaktor kann nicht auf Dauer einen Trend verschleiern, der selbst der Öffentlichkeit nicht mehr verborgen bleibt. Die Zahl der Unteroffiziere und nun bereits sogar der Offiziere, die dem Heer den Rücken kehren, ist nicht zu stoppen.

Das alles wird leichtfertig auf die Kappe der Ministerverantwortlich-keit genommen, unter der das Offiziers- und Beamtenkorps bereitwillig Schutz sucht. Ministerialrat Ellinger ist und wird ein Einzelfall in diesem Ressort bleiben. So sahen es die Verantwortlichen der Personalsektion des Verteidigungsministeriums für nicht notwendig an, den Ausführungen des Bildungsund Ausbildungsreformers der deutschen Bundeswehr, Professor Ellwein, beizuwohnen, als er sich in Wien aufhielt. Ellwein kann immerhin als Visitenkarte für seine Gedankenmodelle vorweisen, daß sie bereits, ohne noch in die Tat umgesetzt zu sein, ein Ansteigen des Offiziersnachwuchses der Bundeswehr um fast 50 Prozent bewirkten. Vielleicht wäre für Minister Lütgendorf ein Besuch im nahen Bonn daher besser gewesen.

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